Ein Skandalschreiber schafft sich ab

Thilo Sarrazins neues Buch „Europa braucht den Euro nicht“ ist erstaunlich normal

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Von Hannes Koch

21. Mai. 2012 –

Dies ist ein unspektakuläres Buch. Im Ton meist sachlich und argumentativ, verzichtet Thilo Sarrazin weitgehend auf die provokativen Thesen, die seinen Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ nach dem Erscheinen 2010 zum Skandal machten. Am Dienstag kommt das neue Werk des SPD-Mitglieds, früheren Berliner Finanzsenators, gescheiterten Bundesbankers und rechtsorientierten Publizisten Sarrazin heraus: „Europa braucht den Euro nicht – Wie uns politisches Wunschdenken in die Krise geführt hat“.

Der 67jährige gibt sich in seinem 461-Seiten-Buch als Volkswirt, der früher selbst an die Vorteile der gemeinsamen europäischen Währung Euro glaubte, aufgrund der vergangenen Krisenjahre seine Meinung aber geändert hat. Sarrazin arbeitet sich an einem Satz ab, den Kanzlerin Angela Merkel zum Kern ihrer Euro-Politik machte: „Scheitert der Euro, scheitert Europa“. Das stimme nicht, entgegnet der studierte Ökonom und promovierte Politologe: Europa könne auch ohne den Euro  leben und sich positiv weiterentwickeln.

So weit, so diskussionswürdig. An wenigen Stellen nur versucht der Autor erneut, mit dem kalkulierten Tabubruch in die Schlagzeilen zu kommen. So schreibt er, die Deutschen hätten auch deshalb ihre schöne D-Mark zugunsten des unheilbringenden Euro aufgegeben, weil sie  noch immer Sühne für den Nationalsozialismus und den Mord an Millionen Juden leisten wollten. Dieses sozialpsychologische Argument mag man für falsch oder übertrieben halten – keinesfalls aber taugt es als Auslöser gigantischer Empörungswellen wie die genetisch-eugenische Verirrung seines Deutschland-Buches.

Der Euro als gemeinsame Währung habe wesentlich mehr Nachteile als Vorteile, argumentiert Sarrazin. Dies gelte nicht nur für Deutschland und andere finanzpolitisch stabile Staaten wie Österreich, Finnland oder die Niederlande, sondern auch für Griechenland, Italien und Spanien. Durch das süße Gift der niedrigen Zinsen und billigen Kredite betäubt, hätten diese Länder nicht mehr an ihrer Konkurrenzfähigkeit gearbeitet. Jetzt säßen sie in der Tinte und seien pleite oder kurz davor. Umgekehrt erleide Deutschland Schaden, weil es für die Eskapaden der Südstaaten mit hunderten Milliarden Euro hafte, die man sinnvoller investieren könne.  

Nicht nur massive ökonomische Probleme hätten sich eingestellt, so Sarrazin weiter, sondern auch der versprochene politische Nutzen der gemeinsamen Währung sei ausgeblieben. Entgegen der Hoffnung, die unter anderem Helmut Kohl hegte, habe der Euro bislang nicht zu einer funktionsfähigen politischen Union Europas geführt. Diese sei auch nicht wünschenwert, erklärt Sarrazin, weil sie zur kompletten Entmachtung der Nationalstaaten führe. In der Abwehr eines übergriffigen europäischen Zentralstaates plädiert der Autor für ein Europa kooperativer Nationalstaaten.  

Hat man diese, mit vielen Verästelungen geführte Argumentation und den großen Teil des Buches hinter sich, bleibt noch eine heikle Frage offen. Sie lautet: Was nun? Bei der Antwort ist Sarrazin seltsam leidenschaftslos. In wenigen kurzen Sätzen schreibt er, dass Griechland die Eurozone in letzter Konsequenz verlassen und Deutschland keinesfalls noch mehr Geld in den tiefen Brunnen werfen sollte. Sarrazins Kritik ist ausgefeilt, seine Alternative zur herrschenden Politik aber bleibt blass.

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