Eine Allianz für Arme
Für eine Jahresprämie von nur einem Euro können sich arme Bauern in Indien bei der Allianz versichern. Für den Konzern soll sich das dennoch rentieren.
12. Mär. 2008 –
Es waren bemerkenswerte Zahlen, die die Herrschaften im Vorstand der Allianz-Versicherung nach dem Tsunami auf den Tisch bekamen: An Weihnachten 2004 hatte die große Flutwelle die Küstenstriche Indiens, Thailands und anderer Länder Ostasiens verwüstet. Hunderttausende Menschen kamen ums Leben, Milliardenwerte wurden vernichtet. Doch in der Bilanz des Konzerns schlug sich diese Katastrophe kaum nieder. Ein paar Millionen Euro wurden an die Geschädigten ausgezahlt - nicht der Rede wert und außergewöhnlich für einen der größten Versicherungskonzerne der Welt, der sein Geld damit verdient, dass sich die Leute gegen solche Schäden versichern.
Die Schlussfolgerungen aus der damaligen Ratlosigkeit hat die Allianz am Dienstag in Bonn präsentiert. Zusammen mit der Entwicklungsorganisation Care stellte sie ein neues Versicherungsprodukt vor, das sich speziell an Arme richtet, die die üblichen Preise für Versicherungen nicht bezahlen können. Bauern, Fischer und Kleinhändler in vier Regionen südlich der indischen Stadt Chennai können künftig für eine Prämie ab 60 Rupien pro Jahr - das entspricht etwa einem Euro - Kranken- und Lebensversicherungen abschließen. Wenn dieser Probelauf erfolgreich ist, will die Allianz das Angebot fortführen und ausweiten.
In den Verträgen enthalten sind je nach Wunsch der Kunden auch die Unterstützung bei Beerdigungen und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die Auszahlung im Notfall erreicht bis zu 25.000 Rupien (etwa 430 Euro), was nach europäischen Maßstäben wenig ist, in Indien aber betroffenen Familien über die ersten Wochen nach Katastrophen und Todesfällen hinweghelfen kann.
"Ein solches Paket von Versicherungsleistungen für arme Bevölkerungsgruppen gibt es bislang nicht", sagt Anuj Jaine, in Bangkok ansässiger Versicherungsexperte von Care. Die Hilfsorganisation, die in Europa durch die Hilfspakete der Nachkriegsjahre bekannt wurde, ist auf die Allianz zugegangen, um künftige Vorsorge für Katastrophen wie den Tsunami zu treffen. Bei dem Versicherungskonzern war Interesse vorhanden: Der Vorstand hatte festgestellt, dass man kaum über Produkte verfügte, die auf die Bedürfnisse armer Menschen zugeschnitten waren. Wegen der sehr niedrigen Prämien werden solche Verträge als "Mikroversicherungen" bezeichnet. Bis vor wenigen Jahren haben sich die großen Versicherungsunternehmen mit derartigem Kleinkram nicht beschäftigt, weil er als zu kompliziert und wenig gewinnträchtig galt.
Das ändert sich allmählich. Wegen des hohen Wirtschaftswachstums und der schnellen Entwicklung in Ländern wie Indien sehen die Unternehmen nun einen Markt. "97 Prozent der Menschen in Asien haben keine private Versicherung", sagt Brigitte Klein von der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, einer öffentlichen Entwicklungsorganisation. Die Allianz schätzt den Markt für Kleinversicherungen alleine in Indien "auf deutlich über 250 Millionen Kunden".
Bei Mikroversicherungen ist "die Allianz einer der Vorreiter", sagt GTZ-Expertin Martina Wiedmaier-Pfister. Wie die Konkurrenz von der American International Group oder ICICI Lombard hat das Münchner Unternehmen in den vergangenen Jahren Pilotprojekte entwickelt. So haben rund 200.000 Inder seit 2005 Minilebensversicherungen der Allianz gekauft. Mit dem neuen Produktpaket hofft man nun auf mindestens 75.000 zusätzliche Kunden pro Jahr.
Großartige Gewinne werde man damit wahrscheinlich nicht erwirtschaften, sagt Allianz-Sprecher Michael Anthony, "aber es ist ein Einstieg in den Markt". Arme Leute, die heute einen kleinen Vertrag unterschreiben, können sich künftig vielleicht eine umfangreichere Police leisten.
Neben ihrem ökonomischen Interesse geht es Unternehmen wie der Allianz auch um die Demonstration von Wohlverhalten. Im Jahr 2000 haben die Vereinten Nationen das Ziel ausgegeben, die Zahl der sehr armen Menschen bis 2015 zu halbieren. Die Wirtschaft soll dazu ihren Beitrag leisten.
Hier Bewegung zu zeigen, ist wichtig für Unternehmen. Denn die Konzerne haben gerade in den reichen Ländern ein Imageproblem. Das sieht man an Fällen wie der mutmaßlichen Steuerhinterziehung von Expostchef Klaus Zumwinkel, der Korruption bei Volkswagen und Siemens, der geplanten Schließung des Nokia-Werks in Bochum. Kriminelles Verhalten, aber auch normales Geschäftsgebaren vieler Konzernvorstände lassen in der Öffentlichkeit den Eindruck entstehen, die Unternehmen würden keine gesetzlichen oder ethischen Grenzen mehr akzeptieren. Vorhaben wie das der Allianz in Indien sollen nicht nur rentabel sein, sondern ebenso unternehmerische Verantwortung beweisen und dadurch helfen, den schlechten Ruf aufzubessern.