„Eine lange Depression ist möglich“

Der Ökonom Nouriel Roubini warnt davor, dass die Rettungspakete gegen die Finanzkrise wirkungslos bleiben

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Von Hannes Koch

29. Jan. 2009 –

Hannes Koch: An die große Finanzkrise wollte beim Weltwirtschaftsforum im vergangenen Jahr kaum jemand glauben. Was war der Grund für diese Ignoranz?

 

Nouriel Roubini: Das war schon 2007 so. Als ich damals vor der Finanzkrise warnte, wollte es niemand hören. Später, als die Krise da war, glaubten die Leute, sie werde kurz und sei einfach zu überwinden.

 

Koch: War dafür das Meinungskartell aus Wirtschaft, Politik und Medien verantwortlich?

 

Roubini: Einerseits ja. Die Leute an der Wallstreet wollten die Krise nicht herbeireden. Sie verdienten ja gut an ihren neuen Produkten. Andererseits ist es komplizierter. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass ökonomische Modelle die Entwicklungen nur fortschreiben, nicht aber die Wendepunkte vorhersagen können. Die Menschen glauben zudem, dass die Dinge immer so weitergehen wie bisher - nur weil sie eine Zeit lang so waren. Das Ergebnis ist eine kollektive Selbsttäuschung.

 

Koch: Der Finanzhistoriker Niall Ferguson hält es für möglich, dass der westlichen Welt ein „verlorenes Jahrzehnt“ mit allgemein niedrigem Wachstum droht. Wie lange kann die Krise dauern?

 

Roubini: Es gibt zwei Szenarien. Das erste sieht aus wie der Buchstabe U. Auf zwei Jahre schwerer Krise folgt 2010 eine schwache Erholung. Wenn das System einigermaßen repariert ist, geht es wieder aufwärts. Allerdings sehe ich eine Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent, dass es eher zu einer L-Kurve kommt. Dem Abschwung würde dabei eine lange Depression folgen, die mit der japanischen Erfahrung vergleichbar wäre.

 

Koch: Was halten Sie von der Hypothese einer „großen Repression“, die Ferguson in Anlehnung an die große Depression der 1930er Jahre formuliert?

 

Roubini: Da ist was dran. Viele Menschen hängen dem Glauben an, wir könnten uns schnell am Schopf aus dem Sumpf ziehen. In diesem Sinne kann man davon sprechen, dass die Realität weggedrückt wird. Wir müssen einkalkulieren, dass die keynesianische Nachfragepolitik, die Rettungspakete und Investitionssprogramme möglicherweise keine entscheidende Verbesserung bewirken.

 

Koch: Warum könnte die antizyklische Politik scheitern?

 

Roubini: Der Ökonom John Maynard Keynes hat seine Thesen in den Zeiten des Nationalstaates entwickelt. Heute sind die nationalen Märkte zum Weltmarkt zusammengewachsen. Jetzt kaufen die Konsumenten mit nationalen Rettungsmilliarden auch ausländische Produkte. Ein Teil der Anstrengungen verpufft wirkungslos, wenn die Staaten ihre Maßnahmen nicht koordinieren.

 

Koch: Die Regierungen der Industrie- und Schwellenländer stellen Rettungspakete bereit, die zusammen mehrere Billionen Euro umfassen. Was passiert, wenn sich die Regierungen solche riesigen Summen auf den Finanzmärkten leihen müssen?

 

Roubini: Ersparnisse und Vermögen sind in der Krise dahingeschmolzen. Ich habe deshalb Angst, dass die öffentliche Schuldenaufnahme in den USA, Europa und Japan auf eine zu geringe Finanzierungsbereitschaft der Märkte trifft. Das könnte die Zinsen in die Höhe treiben und die beginnende Erholung erschweren.

 

Koch: Werden die Investoren überhaupt bereit sein, den Regierungen das Geld zur Verfügung zu stellen?

 

Roubini: Bei manchen Staaten habe ich Zweifel.

 

Koch: Schweben auch reiche Industrieländer wie Deutschland, Großbritannien, Japan oder die USA in der Gefahr des Staatsbankrotts?

 

Roubini: Nein, denn dort halten sich die Schulden im Vergleich zur Wirtschaftsleistung einigermaßen in Grenzen. Aber für kleine Staaten wie Island, Irland, Griechenland oder sogar die Schweiz könnte dieser Fall durchaus eintreten.

 

Koch: Wie sollte eine neue politische Regulierung der Finanzmärkte aussehen?

 

Roubini: Wir brauchen dringend bindende Regeln. Die so genannte Selbstregulierung der Banken hat nicht funktioniert. Das Bankenabkommen Basel II, das für solide Geschäftspraktiken sorgen sollte, war schon gescheitert, bevor es in Kraft trat.

 

Koch: Sollte man den Internationalen Währungsfonds mit der Aufsicht über die Banken und Investoren betrauen?

 

Roubini: Wenn der IWF ausreichend ausgestattet wird und unabhängig genug ist, könnte das klappen. Aber es reicht nicht, eine internationale Aufsichtsbehörde zu gründen und schöne Reporte zu schreiben, die keiner liest. Wir brauchen auch Institutionen, die Sanktionen durchsetzen.

 

Koch: Welche internationale Institution hat diese Macht?

 

Roubini: Die Regierungen müssen ein Basel-III-Abkommen mit bindenden Regeln für die Banken beschließen. Durchsetzen können diese Regeln vorläufig nur die nationalen Kontrollbehörden.

 

 

Nouriel Roubini (50) hat als einer der wenigen Ökonomen bereits vor zwei Jahren vor einer ernsten Finanz- und Wirtschaftskrise gewarnt. Er ist Professor an der Stern School of Business der New York University und betreibt gleichzeitig eine Firma für Kapitalmarkt- und Wirtschaftsinformationen. Anfang der 2000er Jahre war der Harvard-Absolvent Berater der US-Regierung.

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