„Eine Maut für Pkw hilft der Wirtschaft“

Wirtschaftsweiser Wolfgang Wiegard lehnt das von DGB-Chef Sommer geforderte Konjunkturprogramm ab. „Nein“ zur geplanten Senkung der Arbeitslosenbeiträge, „Ja“ zur Maut für Pkw

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Von Hannes Koch

22. Aug. 2008 –

Hannes Koch: Nach Wirtschaftsminister Michael Glos fordert nun auch DGB-Chef Michael Sommer ein Konjunkturprogramm, um dem wirtschaftlichen Abschwung entgegenzuwirken. Was halten Sie von dieser Idee?

 

Wolfgang Wiegard: Ein Konjunkturprogramm ist zur Zeit überflüssig wie ein Kropf.

 

Hannes Koch: Im zweiten Quartal 2008 ist die Wirtschaftsleistung gesunken, und auch das dritte Vierteljahr lässt nichts Gutes erwarten. Ist das keine Rezession?

 

Wiegard: Nein, diese Definition einer Rezession ist zu simpel. Da gehört etwas mehr dazu. Wir erleben jetzt keinen schweren Abschwung. Das sehen Sie schon daran, dass die Zahl der Erwerbslosen weiter sinkt, vermutlich auch im kommenden Jahr.

 

Koch: Die gängige Definition aber besagt, dass das Schrumpfen der Wirtschaftsleistung in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen eine Rezession anzeigt. Soll man diese Faustregel ad acta legen?

 

Wiegard: Wir sollten uns nicht sklavisch daran halten. Diese einfache Definition kann die komplexe Realität nicht ausreichend abbilden. Das Wachstum des Bruttoinlandprodukts könnte dieses Jahr durchaus zwei Prozent erreichen. Gerade augenblicklich halte ich die Debatte über Krise und Konjunkturprogramm für überzogen.

 

Koch: Seit den 1970er Jahren steigt die Arbeitslosigkeit in Deutschland mit jeder Krise auf ein höheres Niveau. In den Phasen guter Konjunktur sinkt sie dagegen wenig. Müssen wir jetzt wieder damit rechnen, dass der Sockel der langfristigen Arbeitslosigkeit zunimmt?

 

Wiegard: Nein, diese Entwicklung haben die rot-grünen Reformen der Agenda 2010 durchbrochen. Die strukturelle Arbeitslosigkeit geht zurück.

 

Koch: Woher kommt das?

 

Wiegard: Wer als Erwerbsloser Geld von der Bundesagentur für Arbeit bekommt, muss jetzt auch neue Jobs akzeptieren, wenn der Lohn geringer ist als früher. Sonst droht die Kürzung der Unterstützung. Der Druck ist gestiegen. Dadurch nimmt auch der Anreiz zu, eine neue Arbeit zu schlechteren Bedingungen zu akzeptieren.

 

Koch: Soll die Regierung angesichts der schlechteren Aussichten also abwarten und Tee trinken?

 

Wiegard: Natürlich muss sie beständig daran arbeiten, die ökonomischen Bedingungen und Wachstumsaussichten zu verbessern. Da kann man sich viele Dinge ausdenken, die sinnvoller sind, als ein Konjunkturprogramm, das nach kurzer Zeit verpufft.

 

Koch: Woran denken Sie?

 

Wiegard: Generell müssen die Investitionsbedingungen verbessert werden. Aber es gibt auch weniger nahe liegende Maßnahmen. So könnte die Regierung das gute Beispiel der Lkw-Maut ausbauen und auch eine Maut für Pkw einführen. Damit ließen sich die Verkehrsströme besser lenken und Staus auf den Straßen vermeiden.

 

Koch: Sind die Bürger durch die hohen Energiepreise nicht schon genug belastet?

 

Wiegard: Dieses Ziel der Einnahmeerhöhung darf nicht im Vordergrund stehen. Umgekehrt könnte die Pkw-Maut dazu beitragen, gesellschaftliche Kosten zu senken. Die ständigen Staus behindern den Verkehr auf den Autobahnen heute ja enorm. Die Lastzüge der Firmen müssen dauernd warten und kommen nicht voran. Wird der Verkehr dagegen besser verteilt, verdienen die Unternehmen mehr. Die Maut hilft, die Wachstumsaussichten insgesamt zu verbessern.

 

Koch: Plädieren Sie dafür, die Pkw-Maut auf Autobahnen und in Städten einzuführen?

 

Wiegard: Beides kann sinnvoll sein. In London gibt es die City-Maut bereits.

 

Koch: Wie soll die Maut dazu beitragen, den Verkehr besser zu verteilen?

 

Wiegard: Wenn man in verkehrsstarken Phasen höhere Preise verlangt, werden die Autofahrer versuchen, auf ruhigere Zeiten auszuweichen.

 

Koch: DGB-Chef Sommer fordert die Bundesregierung auf, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht wie geplant am 1. Januar 2009 auf drei Prozent zu senken. Das Geld solle man lieber in Reserve halten, um im Falle einer Krise zu intervenieren. Hat Sommer Recht?

 

Wiegard: Auch ich halte nichts davon, den Beitrag jetzt weiter zu senken. Die Belastung ist in den vergangenen Jahren bereits stark reduziert worden – von 6,5 auf 3,3 Prozent.

 

Koch: Die Regierung hat die Verringerung versprochen, um die Arbeitnehmer angesichts der Inflation zu entlasten. SPD-Parteichef Kurt Beck hat das Ziel gestern noch einmal bekräftigt.

 

Wiegard: Ich sehe keinen vordringlichen Handlungsbedarf. Der Arbeitsmarkt entwickelt sich auch ohne diese Maßnahme gut. Für die Zukunft befürchte ich, dass man diese Erleichterung im Falle eines Abschwungs doch wieder zurücknehmen müsste, um Geld für die Arbeitslosenversicherung zu beschaffen.

 

Prof. Wolfgang Wiegard (62) ist Mitglied des Sachverständigenrates für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der die Bundesregierung berät. Er lehrt und forscht an der Universität Regensburg, ist Mitglied der SPD und vertritt oft liberale, angebotstheoretische Positionen.

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