Eine Wette auf die Zukunft
Investoren zahlen hohe Preise für Internet-Aktien wie Zalando. Ob sich die Hoffnungen erfüllen, steht in den Sternen
03. Okt. 2014 –
Was ist das Besondere an den Börsengängen von Zalando und Rocket Internet in dieser Woche, sowie Alibaba Mitte September? Diese Firmen sitzen nicht in den USA. Die Brüder Samwer, die hinter Zalando und Rocket stehen, sind Deutsche, Jack Ma von Alibaba lebt in China. Mindestens sind Ihre Aktivitäten Lebenszeichen einer Internetwirtschaft außerhalb Nordamerikas, vielleicht wird man sie später als erfolgreiche Angriffe auf die weltweite Vorherrschaft der US-Konzerne betrachten.
Diese dominieren bisher die Ökonomie des Netzes: Amazon beherrscht in vielen Ländern den Online-Handel, Facebook die Welt der sozialen Netzwerke, Google die Branche der Suchmaschinen. Deshalb sagt Irene Bertschek vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim: „Es ist ein positives Signal, dass nun auch wieder Internet-Firmen aus anderen Ländern als den USA etwas zu bieten haben.“
Der deutsche Online-Händler Zalando hat sich am Mittwoch bis zu 600 Millionen Euro Kapital besorgt, indem er erstmals Aktien öffentlich verkaufte. Die Firmengründungsfabrik Rocket Internet folgte am Donnerstag mit bis zu 1,6 Milliarden – kleine Summen im Vergleich zu den knapp 20 Milliarden Euro, die der chinesische Online-Händler Alibaba hereinholte. Dabei geht es jedoch nicht nur um einzelne Firmen, sondern auch um diese Fragen: Wer hat später die Verfügungsgewalt über die modernen Technologien, wo entstehen Arbeitsplätze, wo landen die Gewinne – auch mal in Europa?
Klar ist: Einen Giganten wie Google kann man nicht aus dem Boden stampfen. Aber mittlerweile ist in Europa eine neue Dynamik entstanden. Zahlreiche Internet-Unternehmen werden gegründet, neue Geschäftsmodelle ausprobiert. Und auch die „europäische Politik ist aufgewacht“, sagt ZEW-Ökonomin Bertschek. „Die EU gibt sich Mühe, den Anschluss in der globalen Internet-Ökonomie nicht völlig zu verpassen.“ Ein Beispiel ist die Digitale Agenda der Bundesregierung, ein Programm unter anderem für Forschungsförderung und den Ausbau der Dateninfrastruktur.
Was aber sagen die Börsengänge über die Lage am Finanzmarkt? Erinnerungen werden wach an die Internet-Börsenblase zum Ende der 1990er Jahre. Netz-Firmen holten sich damals Milliarden-Beträge von den Anlegern, die Börsenkurse stiegen rasant. Ab März 2000 allerdings folgte der Absturz, eine Wirtschaftskrise schloss sich an. So warnen prominente US-Investoren wie Marc Andreessen schon wieder vor einer neuen Technik-Blase. Manch einer fürchtet, dass die Börsenneulinge das eingesammelte Kapital verfeuern, anstatt sinnvoll zu investieren.
Fest steht, dass Aktien von Internetfirmen mitunter viel höher bewertet werden als die konventioneller Unternehmen. Ein Indikator dafür ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Im Falle von Facebook liegt es gegenwärtig beispielsweise bei 128, wie die Börse Frankfurt/M. ausweist. Das bedeutet: Der Aktienkurs beträgt ungefähr das 128-Fache des Gewinns, den das Soziale Netzwerk pro Aktie erwirtschaftet. Im Vergleich zur Ertragskraft der Firma ist die Facebook-Aktie also teuer. Zum Vergleich: Siemens, der 150 Jahre alte Konzern mit 360.000 Beschäftigten, verzeichnet ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 19.
Ist dieser Unterschied gerechtfertigt? Einerseits ja. Denn Facebook ist viel profitabler als Siemens. Die Umsatztrendite des sozialen Netzwerks liegt bei knapp 20 Prozent. Bei 100 Dollar Einnahmen verbucht die Firma rund 20 Dollar Gewinn nach Steuern. Die Kosten sind vergleichsweise gering, die Firma kommt mit wenigen Beschäftigten aus, und die Werbeeinnahmen sprudeln. Weil die Investoren unter anderem auf eine Beteiligung an den horrenden Gewinnen hoffen, zahlen sie einen hohen Preis für die Aktie.
Bei Siemens dagegen beträgt die Umsatzrendite den Zahlen der Börse Frankfurt/M. zufolge vergleichsweise bescheidene sechs Prozent. Pro 100 Euro Umsatz bleiben nach Steuern sechs Euro Profit übrig. Denn das Unternehmen hat hohe Kosten für seine Fabriken, die Rohstoffe und die hunderttausenden Beschäftigten. Ein Industriekonzern wie Siemens ist deshalb nicht so profitabel wie eine florierende Internet-Firma – das schlägt sich im Preis nieder, den Käufer an der Börse zu zahlen bereit sind.
Von dieser Sichtweise profitieren auch Unternehmen wie Alibaba, Zalando und Rocket Internet. Im Falle des chinesischen Online-Händlers vermutlich zurecht, denn der scheint extrem profitabel zu sein. Von Zalando kann man das nicht behaupten. Für das erste Halbjahr 2014 hat die Firma erstmals einen kleinen Gewinn ausgewiesen. Und Rocket Internet sagt über seine Tochterbetriebe im Börsenprospekt: „Nahezu alle Unternehmen machen derzeit bedeutende Verluste.“
Warum sind die Anleger trotzdem bereit, so viel zu bezahlen? Sie nehmen an, dass der Online-Markt, auf dem die Samwer-Firmen unterwegs sind, weiter stark wächst. Denn das Potenzial der Menschen, die weltweit irgendetwas im Internet kaufen wollen, ist noch lange nicht ausgeschöpft. Allerdings lautet die Frage, welchen Anteil Unternehmen wie Zalando und Rocket an diesem Markt erobern können. Die Antwort ist reine Spekulation. Insofern ist der hohe Aktienpreis, den Banken und Fonds in dieser Woche für die Samwer-Firmen bezahlten, nicht mehr als eine Wette auf die Zukunft.
Insgesamt könne man jedoch nicht von einer neuen Internetblase sprechen, meint Michael Schröder, Ökonom am ZEW. „Klare Indizien für eine Überbewertungen der Internet-Aktien fehlen. Die hohen Kurs-Gewinn-Verhältnisse der späten 1990er Jahre sehen wir heute nicht.“ Kleinanleger mit geringer Börsenkenntnis und wenig Kapital sollten trotzdem vorsichtig sein, ergänzt Hermann-Josef Tenhagen, Chefredateur des Verbraucherportals Finanztip. „Einzelaktien zu kaufen ist eine spekulative Investition. Diese eignet sich in der Regel nicht für Kleinanleger, die ihr Vermögen für die Zukunft sicher anlegen und mehren wollen. Für diese Zwecke kommen am Aktienmarkt in erster Linie Indexfonds in Betracht.“