Einwanderer zahlen unsere Alterssicherung

Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft (Teil 7): Ohne geregelte Einwanderung nach Deutschland sinkt bald nicht nur das Wirtschaftswachstum, sondern auch die Rente

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Von Hannes Koch

04. Jan. 2010 –

Viele konservative Wähler dürfte der Vorstoß beunruhigen, den Bundesbildungsministerin Annette Schawan (CDU) unlängst unternommen hat. Die deutschen Behörden sollen die Schulabschlüsse von Einwanderern aus der Türkei, dem Libanon, Russland und anderen Staaten schneller anerkennen. Schawans Überlegung, die das Bundeskabinett begrüßte: Die Immigranten können dann hier Arbeitsplätze besetzen, für die sich kein geeigneter deutscher Bewerber findet.


Dass die Regierung gerade jetzt auf diese Idee kommt, ist nicht erstaunlich. Trotz Wirtschaftskrise kündigt sich ein empfindlicher Mangel an Facharbeitern, Technikern und Ingenieuren an. Und diese Lücke wird in den kommenden Jahrzehnten vermutlich größer. Ein wesentlicher Grund: Die deutsche Bevölkerung schrumpft und altert. Die Zahl der einheimischen Arbeitskräfte nimmt ab. Wenn alles so weiterläuft wie bisher, werden in 20 Jahren mehrere Millionen Beschäftigte fehlen. Die demografische Entwicklung des Schrumpfens der Erwerbsbevölkerung hätte gravierende Auswirkungen für unser Wirtschaftssystem und den Sozialstaat. Weniger Menschen produzieren weniger Wachstum und damit auch weniger Wohlstand, den man in soziale Sicherheit investieren kann.


Wer dies verhindern will, muss darüber nachdenken, die Zahl der in Deutschland geborenen Kinder zu erhöhen. Das freilich ist schwierig bis aussichtlos. Einfacher ist es, jungen Menschen aus anderen Staaten die Einwanderung zu ermöglichen. „Wenn wir unser Wohlstandsniveau halten wollen, brauchen wir junge, produktive Leute“, sagt Professor Ruud Koopmans, Wanderungsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Gunilla Fincke vom Sachverständigenrat für Migration sieht es ebenso: „Zuwanderung kann die Probleme lindern, die sich aus der demografischen Entwicklung ergeben“.


Die Angst vieler Menschen davor, dass Einwanderer den Deutschen die Jobs wegnehmen und ihre Sozialbeiträge verfrühstücken, mag individuell und kulturell verständlich erscheinen - ökonomisch betrachtet freilich ist sie gegenstandslos. Unter einer Bedingung: Die Politik muss die Einwanderung steuern. Nicht jeder, der einreisen und bleiben möchte, kann die Möglichkeit dazu bekommen.


Bis heute fühlen sich Deutschland und andere europäische Staaten vom Druck der Einwanderung überfordert. Doch trotzdem steuern sie sie kaum. Das Ergebnis: In den vergangenen Jahrzehnten kamen vor allem niedrigqualifizierte Zuwanderer, die der Armut in ihrer Heimat entgehen wollten. Diese Menschen leisten einen geringeren Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung als gut ausgebildete Migranten. Die USA und vor allem Kanada haben einen anderen Weg gewählt. Dort sortieren Einwanderungskommissionen, welche Berufsqualifikationen auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden. Wer einen entsprechenden Abschluss besitzt, darf immigrieren, die anderen nicht. „Die EU sollte ein Steuerungssystem einführen, wie es Kanada bereits besitzt“, sagt Migrationsforscher Koopmans.


Die beiden nordamerikanischen Staaten verzeichnen eine legale Einwanderung besonders von hochqualifizierten Migranten. Für Europa würde ein solcher Weg bedeuten, dass die Zuwanderer nicht nur für Produktion, Nachfrage und Wachstum, sondern auch für die Finanzierung der Sozialsystems mitverantwortlich wären. Einfach gesagt: Gut integrierte Einwanderer bezahlen später einen Teil unserer Rente.


Um das zu erreichen, müsste Deutschland pro Jahr 100.000 bis 200.000 Zuwanderern eine Arbeitserlaubnis erteilen. Der Sachverständigenrat plädiert für ein Punkte- und Quotensystem zur

Steuerung der Einwanderung. Gunilla Fincke: „Wir brauchen ein legales Angebot für Zuwanderer“. Die Abschottungspolitik der Europäischen Union, die dazu führt, dass Tausende Flüchtlinge in Mittelmeer und Atlantik ertrinken, ist als alleinige Lösung auf die Dauer ein Irrweg.



Kasten

Zahlen zur Einwanderung

Gegenwärtig ist die Einwanderung nach Deutschland unter dem Strich gleich null. Bei einer vernünftigen Steuerung könnte Deutschland bis zu 200.000 Zuwanderer pro Jahr gut integrieren und in der Wirtschaft produktiv einsetzen, sagt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die UN schätzen, dass Deutschland 3,4 Millionen Einwanderer jährlich bräuchte, um das zahlenmäßige Verhältnis von Rentnern und Erwerbspersonen auf dem heutigen Stand zu halten. Acht bis neun Prozent der hier lebenden Menschen gelten heute als Ausländer, aber knapp 20 Prozent als Bürger mit Migrationshintergrund.

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