Energie als Waffe

Deutschland löst sich von russischem Gas

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Von Björn Hartmann

22. Feb. 2023 –

Russland setzt im Krieg gegen die Ukraine auch Energie als Waffe ein – schließlich ist der Angreifer einer der größten Öl- und Gaslieferanten der Welt. Das traf vor allem Deutschlands Unternehmen und Haushalte. Inzwischen hat sich die Lage deutlich entspannt.

Wie konnte es zum Energiemangel kommen?

Jahrzehntelang hat Deutschland auf billiges Gas und Öl aus Russland gesetzt und sich so abhängig gemacht. 2021 kamen bis zu 55 Prozent des verbrauchten Gases aus Russland – unter anderem durch die Pipeline Nord Stream in der Ostsee. Öl floss durch die Druschba-(Freundschaft)-Pipeline. Der staatliche russische Energieriese Gazprom hatte über die Deutschland-Tochter Gazprom Germania zudem Zugriff auf deutsche Pipelines und Gasspeicher.

Als Russland die Ukraine überfiel, waren die Speicher recht leer. Und der Weltmarkt gab zunächst nicht genug Gas her, um die russischen Liefermengen zu ersetzen. Gleichzeitig drohte Russland mit Lieferstopps. Die Sprengung der Ostseepipelines durch Unbekannte trug zusätzlich zur Unsicherheit bei. In der Folge legten die Energiepreise kräftig zu – und heizten die Inflation an, die nach dem Ende der Corona-Pandemie ohnehin schon gestiegen war. Zudem verteuerten sich Produkte, für deren Herstellung viel Energie nötig ist, Brot etwa. Im Schnitt kosteten Waren im vergangenen Jahr 6,9 Prozent mehr als 2021.

Wie sehr hat es Deutschland getroffen?

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin beziffert die Verluste auf bis zu 100 Milliarden Euro. So viel hätte die Volkswirtschaft zulegen können, wäre Energie nicht infolge des Ukraine-Kriegs teurer geworden. Zudem musste der Staat in bisher ungeahntem Ausmaß  ins Marktgeschehen eingreifen: Er verstaatlichte Gazprom Germania, heute Sefe (Securing Energy for Europe), und Uniper. Den Düsseldorfer Energiekonzern, bisher größter Importeur von Gas aus Russland, vor der Pleite zu retten, kostet Milliarden. Zudem deckelt der Staat Gas und Strompreise für Industrie und Haushalte bis Frühjahr 2024. Und auch die schwimmenden Flüssiggastanker, über die jetzt Gas importiert wird, hat der Bund gemietet. Bezahlt wird das aus dem Bundeshaushalt und damit letztlich von allen. Das Ausmaß ist bisher nicht bekannt. Deutschland ist es allerdings binnen eines Jahres gelungen, sich von der Gasabhängigkeit zu befreien – ohne in eine tiefe Rezession zu stürzen.

Woher bekommt Deutschland jetzt Gas und Öl?

Norwegen ist zum wichtigsten Gaslieferanten Deutschlands aufgestiegen. Beide Länder sind über eine Pipeline in der Nordsee verbunden. Zuletzt kam nach Angaben des Branchenverbands Zukunft Gas gut ein Drittel des benötigten Gases aus dem skandinavischen Land. Über Pipelines liefern auch Belgien und die Niederlande, wo Gas per Schiff anlandet. Deutschland importiert inzwischen über mehrere schwimmende Flüssiggasterminals auch aus Qatar und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Experten erwarten, dass künftig die USA wichtigster Gaslieferant sein werden, weil sie viele Anlagen zum Verflüssigen des Gases haben und recht flexibel liefern können.

Bei Öl war Deutschland nicht so abhängig von Russland wie bei Gas. Der Rohstoff wird weltweit eingekauft und kommt zu großen Teilen per Tanker. Künftig soll Kasachstan durch die Druschba-Pipeline liefern.

Wird Energie wieder billiger?

Die Großhandelspreise sinken seit Monaten. Kostete eine Megawattstunde des wichtigen Dutch TTF Ende August mehr als 308 Euro, sind es inzwischen knapp über 50 Euro. Ein Grund: Deutschland hat LNG-Terminals eröffnet. Inzwischen ist genug Gas in Europa vorhanden, der Winter ist mild, die Speicher sind gefüllt. Dennoch: Die Preise liegen immer noch über jenen rund 20 Euro je Megawattstunde, die im Schnitt vor Corona bezahlt werden mussten. Das es je wieder so billig wird, bezweifeln Experten. Und bis die sinkenden Großhandelspreise beim Endkunden ankommen, kann es noch dauern. Denn die Gasversorger kaufen Gas überwiegend mit länger laufenden Verträgen. Und die Kunden haben meist ebenfalls länger laufende Verträge. So dauert es, bis höhere Preise beim Gaskunden ankommen, ebenso sinken die Preise später.

Welche Folgen hat der Ukraine-Krieg für die Energiewende?

Weil Gas teuer und vor allem knapp war, musste vor allem Strom aus anderen Quellen kommen – vor allem aus Kohlekraftwerken. Dabei sollten die wegen des hohen CO2-Ausstoßes nach und nach abgeschaltet werden. Der Anteil der Kohle an der Bruttostromerzeugung stieg nach den Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen von 27,8 Prozent 2021 auf 31,4 Prozent 2022. Allerdings legten auch Windkraft und Photovoltaik von 28,5 auf 32,4 Prozent zu.

Vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel heißt es, der Krieg habe den Umbau der deutschen Energieversorgung hin zu Erneuerbaren Energien beschleunigt. Wasserstoff-Technologie etwa wird plötzlich stärker verfolgt, weil energieintensive Industrien weg vom teuren Erdgas wollen. Neue Allianzen entstehen, etwa mit Australien oder Afrika, wo sehr viel Sonnen- und Windstrom zur Verfügung steht, um Wasserstoff umweltfreundlich herzustellen.

Hat Deutschland die Krise hinter sich?

Dank des milden Winters und weil viele Haushalte und Firmen sparen, verbraucht Deutschland weniger Gas als in einem durchschnittlichen Jahr. Deshalb sind die Speicher nach Zahlen von Gas Infrastructure Europe in Deutschland zu mehr als 71 Prozent gefüllt. Vor einem Jahr waren es am Vorabend des russischen Angriffs auf die Ukraine knapp 30 Prozent. Dennoch gilt der nächste Winter gilt als kritisch. Wichtig dabei: Haushalte und Industrie sparen weiter. Vor allem in der Industrie ist das nicht sicher. Denn einige Unternehmen haben schlicht Produktion still gelegt. Wenn die Nachfrage anzieht, sollten die Anlagen auch wieder hochgefahren werden.

Wie lässt sich die Speicherkapazität erweitern?

Deutschland gehört bereits zu den großen Speichernationen weltweit, steht für gut ein Viertel der europäischen Kapazität. Sind die Speicher voll, reichen sie für gut drei, ist es warm sogar für vier Monaten – für Haushalte und Industrie. Weil die Gasmengen so groß sind, werden sie unterirdisch gespeichert – in künstlich geschaffenen Hohlräumen in Salzstöcken oder natürlich entstandene Porenspeichern, oft ehemalige Gas oder Öllagerstätten. Neue Speicher ließen sich anlegen, das kostet allerdings. Bisher scheint sich das noch für kein Speicherunternehmen zu rechnen.

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