„Es ist mehrheitsfähig, die Reichensteuer zu erhöhen“

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück im Interview

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Von Hannes Koch

07. Apr. 2009 –

Hannes Koch: Unser letztes Interview fand Mitte September statt, genau an dem Tag, als die US-Bank Lehman Brothers pleite ging. Sie sagten, dass „die Auswirkungen in Deutschland sehr begrenzt“ sein würden. Haben Sie damals Sicherheit simuliert oder tatsächlich daran geglaubt?

Peer Steinbrück: Man kann nur das wiedergeben, was man als Informationsstand hat. Die gesamte spätere Entwicklung der Finanz- und Wirtschaftskrise habe ich nicht in dieser Tiefenschärfe sehen können, wie übrigens auch Tausende anderer Fachleute, Banker und Journalisten nicht.

Koch: Fühlen Sie sich manchmal hilflos angesichts der Wucht der Ereignisse?

Steinbrück: Nein, nicht hilflos. Ich glaube, wir haben Schlimmeres verhindert. Wir haben richtige Antworten auf die Krise gegeben – national und international. Ob diese Antworten allerdings zureichend sind für die notwendige Vertrauensbildung auf den Finanzmärkten, wird sich erst noch herausstellen.

Koch: Die Politiker in Deutschland hätten in den vergangenen Jahren zu sehr der marktradikalen Ideologie angehangen, räumten Sie kürzlich ein. Welche Fehler haben Sie selbst gemacht?

Steinbrück: Soll ich jetzt „mea culpa“ rufen?

Koch: Wie wäre es mit Ehrlichkeit?

Steinbrück: Seit den 90er ist von vielen das marktradikale Modell, das Paradigma der Deregulierung, vorangetrieben worden – von Managern, Wirtschaft, wissenschaftlicher Expertise und nicht zuletzt auch von vielen namhaften Teilen der Wirtschaftspresse. Selbstkritisch gesprochen: Dem hat sich die Politik zu lange ergeben. Wir haben uns der angloamerikanischen Definitionshoheit zu wenig widersetzt. Aber daraus jetzt ein Politik- und Staatsversagen zu konstruieren, wie es etwa die FDP tut, ist eine Frechheit. Wenn jemand dieser Marktideologie aufgesessen ist und sich gegen jedwede Regulierung gewandt hat, dann doch wohl die FDP.

Koch: Der große G20-Gipfel, das Treffen der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, vergangene Woche in London ist von den Beteiligten als großer Erfolg gefeiert worden. Sind Sie mit dem Ergebnis wirklich zufrieden?

Steinbrück: Ich bin nicht euphorisch. Aber in der Tat haben wir Vereinbarungen getroffen, die ich vor einem dreiviertel Jahr nicht für möglich gehalten hätte.

Koch: Für Ihre scharfen Worte gegen Steueroasen und die Forderung einer schwarzen Liste haben Sie im Vorfeld viel Ärger bekommen. Nun wurde auf Druck der G20 tatsächlich eine Liste veröffentlicht, aber da standen nur vier Länder drauf: Costa Rica, Malaysia, Philippinen und Uruguay. Das sind nicht gerade die problematischsten Steueroasen. Und selbst die wurden inzwischen wieder gestrichen. Ist das nicht ein mageres Ergebnis, das lediglich Aktivität simuliert?

Steinbrück: Durchaus nicht. Schließlich hat ja schon die Drohung mit der Liste gewirkt. In den vergangenen drei, vier Wochen haben sich jede Menge Steueroasen bei uns gemeldet, die plötzlich die Transparenz-Standards der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) anerkennen wollten. So haben sie sich von der schwarzen auf eine graue Liste derjenigen Länder gerettet, die Besserung geloben, dies aber noch nicht umgesetzt haben.

Koch: Gegen die nicht kooperativen Länder soll es Sanktionen geben. Gilt das nur für die, die auf der schwarzen Liste stehen, oder auch für die Staaten der grauen Liste?

Steinbrück: Man muss diesen Ländern die Chance geben, ihre Ankündigungen in die Tat umzusetzen. Das mahne ich aber auch an.

Koch: Und wie viel Zeit geben sie ihnen?

Steinbrück: Jedenfalls nicht fünf Jahre. Das muss möglichst schnell gehen.

Koch: Bisher sind selbst Institute wie die Commerzbank, die jetzt ja zum Teil dem Staat gehört, noch in Steueroasen aktiv. Wäre es nicht notwendig, das als erstes zu verhindern, wenn man im Kampf gegen Steuerflucht glaubwürdig sein will?

Steinbrück: Die Antwort lautet: Ja.

Koch: Und was gedenken Sie zu tun?

Steinbrück: Wir haben bereits die ersten Schritte eingeleitet. Alles Weitere werden die nächsten Wochen zeigen.

Koch: Genauer geht das nicht?

Steinbrück: Ich kündige hier nichts an. Sonst habe ich nur wieder einen Tag Aufräumarbeit. Aber ich sage Ihnen: Wir werden uns um diesen Missstand kümmern.

Koch: Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass der G20-Gipfel überwiegend die Symptome bearbeitet hat. Kaum ein Finanzprodukt, das die Krise auslöste, wurde bislang verboten. Müsste man nicht eine Art TÜV einführen, um Wertpapiere zu testen, bevor sie auf den Markt losgelassen werden?

Steinbrück: Ja, wir bräuchten eine Art Zulassungsstelle für Finanzprodukte – so ähnlich wie bei der Überprüfung von Arzneimitteln. Aber das ist sehr schwer umzusetzen. Denn diverse Leute denken sich Finanzmarktprodukte nicht nur in Deutschland aus, sondern auch weltweit. Beim Versuch, diese zu erfassen, stoßen Sie sofort an institutionelle und administrative Grenzen. Trotzdem: Der Gedanke ist nicht falsch.

Koch: Ebenfalls kaum debattiert wird derzeit die Frage, wer die Rettungspakete später bezahlen soll. Müssten Sie sich nicht dafür einsetzen, dass diejenigen, die im Boom besonders profitiert haben, in der Krise auch besonders zur Kasse gebeten werden?

Steinbrück: Das ist eine Stimmung, die es in der Bevölkerung gibt. Das ist nachvollziehbar, und ich nehme das sehr ernst. Angesichts der sittenwidrig hohen Abfindungen der Manager auf der einen und den sittenwidrig niedrigen Löhnen auf der anderen Seite haben viele Menschen das Gefühl, dass da etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Und zwar zu Recht.

Koch: Aber was tun Sie dagegen?

Steinbrück: Bei der Bundestagswahl wird auch darüber entschieden, wie die künftige Einkommensbesteuerung in Deutschland aussehen wird. Ohne dass ich da Beschlüssen meiner Partei vorgreifen will, glaube ich, dass die SPD die Steuern im oberen Bereich angehen wird – sowohl bei den Sätzen als auch bei den Einkommensgrenzen.

Koch: Was heißt das genau?

Steinbrück: Ich gehe davon aus, dass es mehrheitsfähig ist, die Reichensteuer von heute 45 Prozent zu erhöhen. Parallel sollte die Einkommensgrenze sinken, ab der sie erhoben wird. Bisher gilt der höchste Satz erst ab 500.000 Euro für Verheiratete und 250.000 Euro für Singles. Dieser Wert kann verringert werden – sofern wir klar machen, wofür wir das Geld brauchen, vornehmlich für Bildung.

Koch: Aber an der 90-Prozent-Steuer, die US-Präsident Obama für Bonuszahlungen an Pleite-Banker plant, wollen Sie sich nicht orientieren?

Steinbrück: Das muss ich gar nicht. Wir haben das nämlich früher gelöst: Bei uns sind bei Banken, die Staatshilfe in Anspruch nehmen, Managergehälter auf 500.000 € gedeckelt und Bonuszahlungen ausgeschlossen. Das haben wir Monate vor Präsident Obama gemacht, sind allerdings dafür nicht ganz so gefeiert worden.

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