Etwas Osten ist überall

Kommentar

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Von Wolfgang Mulke

22. Dez. 2008 –

Jammern konnten die Deutschen immer schon besonders gut. Darin unterscheiden sich Ost und West nur wenig. Erst waren es die Ostdeutschen, die sich nach der Wende über die Besserwessis und über die gar nicht blühenden Landschaften ärgerten. Mittlerweile blicken viele im Westen neidvoll auf die teilweise bestens ausgestattet Infrastruktur im Osten, auf die prachtvoll hergerichteten Stadtzentren in Dresden, Erfurt oder Berlin, während im Ruhrpott das Straßennetz kollabiert oder in Bremerhaven die Armut grassiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist die Stimmungslage nicht entgangen. Infrastrukturinvestitionen würde sie gerne vornehmlich in den alten Bundesländern vorantreiben.

 

Prompt entbrennt eine neue Debatte um die innerdeutsche Verteilungsgerechtigkeit, steht der Jammerossi wieder protestierend auf der Matte. Doch beide Seiten liegen falsch. Es gibt weder den einen Osten noch den einen Westen. Es gibt vielmehr ein Land mit vielen unterschiedlichen Regionen, zwischen denen die Wohlstandskluft wächst.

 

Doch zunächst ein Blick zurück. Im kommenden Jahr wird ein historisches Jubiläum gefeiert. Im November vor zwanzig Jahren fiel die Mauer. Zwei Welten prallten aufeinander. Der moderne Westen mit einer bestens ausgebauten Infrastruktur und der marode, von Verfall gekennzeichnete Osten. Der Aufbau Ost war eine Selbstverständlichkeit, zumal der Zustand der neuen Länder letztlich eine Folge des gemeinsam verlorenen Zweiten Weltkriegs war. Seither sind über 100 Milliarden Euro an Aufbauhilfen geflossen. Bis Ende des nächsten Jahrzehnts wird sich der Betrag locker verdoppeln. Vorwürfe, die alten Länder wollen nun die Solidarität aufkündigen, sind angesichts dieser Leistung schamlos.

 

Die Ergebnisse können sich sehen lassen, auf den Autobahnen, in den Innenstädten und schmucken Promenaden an der Ostsee. Der Blick hinter die Fassaden zeigt ein anderes Bild. Es gibt keinen bedeutenden Konzern mit Sitz in den neuen Ländern. Die Arbeitslosigkeit in manchen Regionen doppelt so hoch wie im Durchschnitt des Landes, Talente wandern scharenweise ab und ganze Dörfer werden mangels Einwohnschar dicht gemacht. Armut verbreitet sich viel stärker als im Westen, vor allem bei den alten Menschen. Umgekehrt ist im Westen bei weitem nicht alles so schlimm, wie es in dieser Diskussion gerne dargestellt wird. Vor allem die wohlhabenden Südländer haben keinen Grund zur Klage. Und gerade die Westwirtschaft hat von den Folgen des Mauerfalls am meisten profitiert. Denn am Ende war dieses Ereignis auch der Auftakt zur Globalisierung zum Nutzen der Exportunternehmen.

 

Es gibt auch im Osten etwas Westen. Die zukunftweisende Solarindustrie erobert die Welt aus Brandenburg und Sachsen heraus. Dresdens City lockt Millionen Touristen aus aller Welt. Es gibt aber auch den Osten im Westen, zum Beispiel im darbenden Duisburg oder den strukturschwachen Regionen des Saarlands oder der Oberpfalz. Die Diskussion muss also andere Fragen ins Zentrum stellen. Wie viel Ungleichheit darf es in Deutschland geben? Wie helfen Bund und Länder strukturschwachen Gegenden auf die Beine?

 

Die wachsenden Ungleichgewichte sind keine Folge der Einheit. Sie haben brandaktuelle Ursachen. Die demographische Entwicklung schlägt hüben wie drüben zu, der ländliche Raum droht zu verkümmern. Der Sog der Ballungszentren mit seinen Arbeitsplätzen nimmt zu. Randgebiete verlieren dagegen Unternehmen und Wirtschaftskraft. Dies sind die Prozesse, die einer tieferen Analyse bedürfen und durch eine Neiddebatte nicht ansatzweise erklärt werden.

 

 

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