„EU sollte Ausnahmen bei Freizügigkeit akzeptieren“

Nach dem Brexit plädiert Ulrich Hoppe, der Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer, für einen Kompromiss mit Großbritannien

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Von Hannes Koch

01. Jan. 1970 –

Hannes Koch: Sie vertreten die Interessen der deutschen Unternehmen in Großbritannien. Deshalb liegt Ihnen der Freihandel zwischen der EU und den Inseln am Herzen. Würden Sie dafür in Kauf nehmen, dass die Briten die Niederlassungsfreiheit für EU-Bürger einschränken?

 

Ulrich Hoppe: Diese Entscheidung müssen die Politiker treffen. Für die Unternehmen ist es wichtig, dass alle Grundfreiheiten erhalten bleiben. Denn auch die deutschen Firmen, die in Großbritannien arbeiten, brauchen Talente aus aller Welt. Unter Umständen können sie aber mit vorübergehenden, kurzfristigen Beschränkungen leben. Langfristig müssen die Grundfreiheiten jedoch gelten.


Koch: Die sogenannten vier Freiheiten stellen eine Grundlage der EU dar – Freizügigkeit für Waren, Dienstleistungen, Kapital und Bürger. Dabei dürfe man den Briten kein Rosinenpicken erlauben, sagt Kanzlerin Angela Merkel. Glauben Sie, dass die EU zu einem Kompromiss bereit sein wird?


Hoppe: Die neue britische Regierung muss jetzt erst einmal ihre Verhandlungsposition festlegen. Anfangs wird immer viel gefordert. Schließlich trifft man sich dann meistens in der Mitte.


Koch: Sie plädieren für einen sogenannten „Soft-Brexit“. Was verstehen Sie darunter?


Hoppe: Die EU sollte akzeptieren, dass Großbritannien gewisse Ausnahmen bei der Freizügigkeit machen darf. Dieses Recht behielten sich Deutschland und die meisten anderen EU-Länder ebenfalls für einige Jahre nach der ersten EU-Osterweiterung vor, als unter anderem Polen und die baltischen Staaten der EU beitraten. Damals führte Großbritannien die Personenfreizügigkeit sofort ein. Das wäre ein Anlass, nun auch umgekehrt Verständnis zu zeigen.


Koch: Bräuchten dann beispielsweise BMW-Ingenieure eine Arbeitserlaubnis, wenn sie im britischen Mini-Werk arbeiten wollen?


Hoppe: Das glaube ich nicht. Das wäre für Unternehmen im Vereinigten Königreich, die auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen sind, sehr unpraktisch und fügte der Wirtschaft vor Ort ernsten Schaden zu. Eher sind Beschränkungen für EU-Bürger vorstellbar, die keinen Arbeitsvertrag in Großbritannien nachweisen können.


Koch: Das beträfe vor allem Arbeitnehmer und Selbstständige aus Osteuropa, die sich künftig nicht mehr einfach in Großbritannien niederlassen dürften?


Hoppe: In den vergangenen Jahren sind viele Bürger der östlichen EU-Staaten nach Großbritannien gekommen. London wird aber wohl keine Einschränkungen für einzelne Nationalitäten festlegen. Deshalb werden von den neuen Regeln grundsätzlich auch Deutsche betroffen sein.


Koch: Könnte die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA), in der Großbritannien bis zum EU-Beitritt 1973 Mitglied war, den Rahmen für einen Soft-Brexit bilden?


Hoppe: Theoretisch ja. Das EFTA-Mitglied Schweiz ist nicht gleichzeitig Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), der die Anerkenntnis der vier Freiheiten voraussetzt.


Koch: In bilateralen Verträgen mit der EU hat aber auch die Schweiz die vier Grundfreiheiten akzeptiert.


Hoppe: Nach der Mehrheit gegen Freizügigkeit in der Schweizer Volksabstimmung muss dieser Punkt jetzt jedoch neu verhandelt werden. Eventuell kann das ein Vorbild für das künftige Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien sein. Aber bisher zeigt die EU-Kommission wenig Bereitschaft, sich auf einen Kompromiss einzulassen.


Ulrich Hoppe (51) ist Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer in London.

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