Europa kann auch sozial

Vielen gilt die EU nur als freier Markt für Unternehmen. Dabei gibt es Sozialprogramme wie die Jugendgarantie von 2013. Wieviele Stellen für arbeitslose junge Leute hat dieses Vorhaben gebracht?

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Von Hannes Koch

24. Mär. 2017 –

Es klingt, als müsse Jean-Claude Juncker sich selbst zur Ordnung rufen. Einen Tag vor der 60-Jahr-Feier der EU am Samstag (25.3.) sagte der Präsident der Kommission, man solle die „soziale Dimension Europas“ betonen, um die Bürger „wieder stärker mit der europäischen Idee zu versöhnen“.

Während die Briten ihren Austritt aus der Gemeinschaft vorbereiten – am kommenden Mittwoch ist mit dem Brief aus London zu rechnen – überlegen die 27 übrigen Regierungen, wo es künftig hingehen soll. Was kann Europa seinen Bürgern bieten, damit diese nicht ebenfalls auf die Idee kommen, den Staatenbund zu verlassen?

Diese Debatte findet neuerdings auch wieder in der Öffentlichkeit statt. Etwa 65 Städte, viele davon in Deutschland, erleben jeden Sonntag Demonstrationen der EU-freundlichen Bewegung Pulse of Europe. Auch bei diesen Veranstaltungen geht es um das Selbstverständnis Europas. Welchen Zweck hat die EU? Ist sie vor allem ein freier Markt, der quasi automatisch für Wohlstand sorgt, oder muss sie die Rolle eines transnationalen Sozialstaats übernehmen?

Dass diese Dimension zu kurz komme, kritisieren Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände seit langem. Vielen Bürgern gilt das vereinte Europa als Veranstaltung zur Befriedigung von Unternehmensinteressen. Teilweise zu Unrecht – denn Brüssel entwickelt durchaus soziale Vorhaben, um die Marktwirtschaft auszubalancieren. Zwei davon sind die sogenannte Jugendgarantie und die Jugendbeschäftigungsinitiative (Youth Employment Initiative, YEI) von 2013.

Damals war die ökonomische Situation angespannter als heute. Die große Finanzkrise lag erst wenige Jahre zurück, Länder wie Griechenland, Spanien, Portugal und Italien litten unter extrem hoher Arbeitslosigkeit. Teilweise stieg die Erwerbslosigkeit unter jungen Leuten auf über 50 Prozent. Darauf reagierten die 28 Regierungen, indem sie die Jugendgarantie aussprachen.

„Allen jungen Menschen soll innerhalb eines Zeitraums von vier Monaten, nachdem sie arbeitslos werden oder die Schule verlassen, eine hochwertige Arbeitsstelle, Weiterbildungsmaßnahme
oder ein hochwertiger Ausbildungs- oder Praktikumsplatz angeboten“ werden, hieß es in dem Beschluss vom April 2013. Für den Zeitraum 2014 bis 2020 stellte man insgesamt 8,4 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt zur Verfügung. Was ist aus der Jugendgarantie geworden, hat sie Besserung bewirkt?

In ihrem Halbzeitbericht zum Programm nimmt die EU-Kommission für sich in Anspruch, dass Ende 2015 etwa 1,4 Millionen junge Leute weniger beschäftigungslos waren als drei Jahre zuvor. Die Arbeitslosenquote unter 15- bis 24-Jährigen sei von 24 auf 20 Prozent gefallen. In Spanien beispielsweise sei der Anteil von 55 auf 49 Prozent gesunken. „Diese ermutigenden Trends lassen den Schluss zu, dass die Jugendgarantie in der Praxis etwas bewirkt hat“, erklärt die Kommission.

Werner Eichhorst, Arbeitsmarktforscher am Institut Zunkuft der Arbeit in Bonn, teilt einerseits die positive Einschätzung: „Mit der Jobgarantie hat die Kommission europaweit das Prinzip verankert, dass kein Jugendlicher aufgegeben werden darf – für einige Staaten ein sinnvoller Anstoß.“ Andererseits ist Eichhorst weniger euphorisch als die Kommission: „Dass die Erwerbslosigkeit unter Jugendlichen abgenommen hat, ist auch auf die konjunkturelle Belebung zurückzuführen. Außerdem sind viele junge Leute beispielsweise aus Spanien zum Arbeiten nach Deutschland gezogen.“

In diesem Sinne argumentiert auch Karin Schulze Buschoff, Politikwissenschaftlerin der Hans-Böckler-Stiftung: „Die EU-Kommission liefert keine Belege, dass das Programm dazu beigetragen hat, die Jugendarbeitslosigkeit um 1,4 Millionen Personen zu verringern. Vielleicht haben die Maßnahmen etwas genutzt. Man weiß es aber nicht.“ Es fehle an einer genauen Auswertungen der konkreten Projekte, sagt Schulze Buschoff. Die Evalution seitens der Kommission habe nur den Charakter einer Vermutung.

Davon abgesehen: Auch wenn die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, Griechenland, Portugal und Italien bis zum Ende des Jugendgarantie-Programms 2020 tatsächlich auf die Hälfte gesunken sein sollte, hat die Kommission ihr Ziel, allen Jugendlichen innerhalb von vier Monaten eine Beschäftigung zu verschaffen, noch nicht erreicht. Trotz einiger Fortschritte bleibt für EU-Kommissionschef Juncker viel zu tun, wenn er seinen Appell zur „sozialen Dimension Europas“ umsetzen will.

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