Finanzkrise und Mafia

Roberto Saviano und Nouriel Roubini diskutieren in New York. Von Lia Petridis Maiello

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Von Hannes Koch

11. Dez. 2011 –

Nouriel Roubini, international gefeierter Finanz-Popstar, fordert die Lehre einer neuen Disziplin an den Universitäten der Welt, die der „kriminellen Wirtschaftswissenschaften“. Zusammen mit Roberto Saviano, dem von Mafia-Paten gesuchten italienischen Enthüllungsjournalisten im temporären New Yorker Exil, präsentierte er einen Vortrag zum Thema „Italien und die USA – Zwei Perspektiven zur Krise“ an der renommierten Stern School of Business der New Yorker Universität (NYU). So vage der Titel, so beliebig die Inhalte des Abends und die Zusammenhänge bisweilen unklar.


Während Saviano die Anfälligkeit einiger US-Banken für Geldwäsche und Wirtschaftskriminalität erläutert, um dann einen Zusammenhang zur Finanzkrise und der italienischen Mafia herzustellen, erklärt Roubini soziale Ungleichheit zum Grundübel der Finanzkrise und solidarisiert sich ein weiteres Mal mit den jungen Demonstranten der „Occupy Wall Street“ (OWS) Bewegung. Spürbar ist an diesem Abend die Lust der New Yorker an kritischer Auseinandersetzung und eine Renaissance politischer Offenheit, die ebenfalls der brandneuen sozialen Bewegung vor den Toren der Stadt zu verdanken ist.


Die Sicherheitsvorkehrungen für Roberto Saviano´s Auftritt sind gründlich, die New Yorker sind das seit dem 11. September gewohnt und lassen auch an diesem Abend ihr Hab und Gut mit großer Gelassenheit inspizieren. Saviano ist ein italienischer Volksheld, und das weiß er. Zwei Sicherheitsbeamte folgen ihm in auffällig unauffälliger Manier, das ehrfürchtige Raunen mündet in brandenden Applaus. Das Publikum besteht zum größten Teil aus Italienern die in New York leben, viele verließen ihre Heimat aufgrund von mangelnden Aufstiegsperspektiven oder politischer Erschöpfung. An diesem Abend sind sie nicht gekommen, um Nouriel Roubini zu lauschen - sie wollen den charismatischen Saviano feiern.


„Ich bin ein komplizierter Gast“, sagt Saviano entschuldigend, „umso mehr bewundere ich den Mut meiner Gastgeber.“ Der Autor, der seit 2006 untergetaucht ist und nie ohne Begleitschutz das Tageslicht erblickt, wirkt an diesem Abend erleichtert, er lächelt viel, obwohl man ihm in der internationalen Presse eine große Ernsthaftigkeit nachsagt, die in Anbetracht seiner Situation wohl niemanden verwundern dürfte. Der Abend wird zu einem Heimspiel für einen Heimatlosen, der die Einsamkeit der kompromisslosen Wahrheit nicht zu fürchten scheint.

 


Saviano richtet in seinem Vortrag zuerst das Augenmerk auf die Machenschaften einiger Finanzinstitute in den USA und die Summen, die jährlich „gewaschen“ werden. Ungefähr 372 Milliarden bis 750 Milliarden Euro, Gewinne aus kriminellen Aktivitäten wie Drogen und Menschenhandel, sollen jährlich weltweit bei verschiedenen Banken eingezahlt werden. Experten schätzen, dass die Hälfte des Geldes in die Vereinigten Staaten gelangt. Saviano beruft sich dabei auf Statistiken der US-amerikanischen Drogenbehörde DEA (Drug Enforcement Administration).


Seit Anfang Dezember ermitteln einige Kongressabgeordnete gegen dieselbe Behörde, deren Agenten im Rahmen verdeckter Ermittlungen mehrere Millionen Euro für mexikanische Drogenkartelle gewaschen haben sollen. Die Ermittler hätten damit herausfinden wollen, welche Wege die illegalen Profite nähmen. Auch die mexikanische Regierung hält diese Methode für wenig hilfreich. Die USA befinden sich  seit 1971 im vom damaligen Präsidenten Richard Nixon erklärten „Krieg gegen die Drogen“.


„Citibank, Wachovia, Wells Fargo.“ Mit sichtlichem Vergnügen bennent Saviano die US-amerikanischen Finanzsünder und befindet sich damit in Gesellschaft einiger US-Politiker und Wissenschaftler, die sich ebenfalls ausgiebig mit diesem Thema beschäftigen. Der Linguist und nach eigener Angabe „libertäre Sozialist“ Noam Chomsky, US-Senator Carl Levin und der Soziologe James Petras publizierten in der Vergangenheit immer wieder zur Verstrickung einiger US-Banken in illegale Finanztransaktionen.

 

1998 veröffentlichte der Oberste Rechnungshof der Vereinigten Staaten ein kritisches Gutachten mit dem Titel „Raul Salinas, Citibank und die mutmaßliche Geldwäsche“, in dem die Behörde das Vorgehen der Citibank hinterfragte. Der Bruder des damaligen mexikanischen Präsidenten Carlos Salinas, Raul, hatte mithilfe von Citibank ungefähr 75 Millionen Euro in Schweizer Bankkonten eingezahlt. Bei der Summe handelte es sich um Geld aus dem Drogenhandel. Citibank hatte die Spuren durch komplexe Transaktionen zu verwischen versucht und zudem die Quelle von Salinas Vermögen nicht verifiziert.


„Die vorsätzliche Blindheit, das Wegsehen vieler Bankangestellter aber auch einiger Behörden ermöglichen diese illegalen Geschäfte“, ergänzte Saviano seine Ausführungen. Markige Rhetorik ist Saviano bisweilen zueigen und so bezeichnet er den jüngsten Skandal um die US-Bank Holding Wachovia als einen „Terroranschlag auf das internationale Finanzsystem“.


Die Holding, die 2008 mit der Bank Wells Fargo fusionierte, war nach Aussage von US-Bundesanwälten in die Geldwäsche mexikanischer Drogenkartelle involviert. Die Gesamtsumme soll sich auf 313 Milliarden Euro belaufen. „Diese Geschichte kam raus, weil eine Person im System seine Pflicht erfüllt und es gemeldet hat“, führt Saviano aus, um dann Oberstaatsanwalt Jeffrey Sloman zu zitieren: „Wachovias himmelschreiende Missachtung unserer Bankengesetze hat internationalen Kokainkartellen einen Blankoscheck zur Finanzierung ihrer illegalen Machenschaften ausgestellt.“


Finanzkartelle dieser Art, die mit der Unterstützung von Behörden operieren, tragen, so Saviano, zur Schwächung des globalen Finanzsystems bei. Seine Glaubwürdigkeit werde in höchstem Maße beeinträchtigt, das Vertrauen der Menschen in ihre Regierungen und Finanzinstitutionen geschwächt. Dann schlägt Saviano den Bogen zum Thema, das ihn umtreibt, das sein Leben seit seiner Kindheit bestimmt. Er nennt amerikanische Banken und die Mafiaclans Camorra, Cosa Nostra, 'Ndrangheta und Sacra Corona Unita in einem Atemzug, um zu verdeutlichen, dass es für ihn beim Gesetzesbruch keine qualitativen Unterschiede gibt. 


„Gleichzeitig profitiert eine Organisation wie die Camorra von der Finanzkrise. Die Mafia hilft kleinen Unternehmen in Not, wenn die Banken keine Kredite mehr gewähren. Das Geld wird auch dann ausgezahlt, wenn kaum Chancen auf Kompensation bestehen, denn dann gehört das Unternehmen dem organisierten Verbrechen.“


Im Jahr 2008 veröffentlichte der italienische Unternehmerverband Confesercenti den Bericht „SOS Impresa“ (SOS Unternehmen) in dem angegeben wird, dass etwa 180.000 Händler bei ihrem Paten in der Schuld stehen und mehr als zwölf Millionen Euro Zinsen zahlen. Die Mafia ist zudem liquide genug, um Immobilien und in Not geratene Firmen zu Schleuderpreisen aufzukaufen. „Und sollte ihnen einmal das Bargeld ausgehen, bringen sie sich gegenseitig um“, bemerkt Saviano. Davon scheinen die Padroni weit entfernt, denn der Gesamtumsatz aller Familien betrug 2008 geschätzte 82 Milliarden Euro. Damit avancierte die Mafia zum größten Unternehmen Italiens.


Insgesamt 127 Mafiosi machte das FBI im Januar diesen Jahres in New York, New Jersey und Rhode Island dingfest. Greg Smith, Autor des Buches „Nichts als Geld – Wie der Mob die Wall Street infiltrierte“, erklärt in einem Interview: „Mafiosi finden immer neue Wege Geld zu verdienen, egal in welchem Zustand sich die Wirtschaft befindet. Nachdem der Immobilienmarkt in den USA zusammengebrochen war haben sie ihr Geschäft von der Korruption des Baugewerbes ganz einfach zum Hypothekenbetrug verlagert.“


Kein Abend der stringenten, wirtschaftswissenschaftlichen Analyse, denn ob und in welchem Maße die italienische Mafia eine Mitverantwortung an der Finanzkrise trägt bleibt letztendlich unklar. Aber Saviano liefert einen Überblick über kriminelle Machenschaften legtitimer Finanzinstitute, deren Kultur der Ignoranz gegenüber dem Gesetzesbruch derer der Mafia oftmals zu ähneln scheint.

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