"Fisch ist im Grund Bio"

Die Fischbestände erholen sich langsam / Der Stör ist wieder in der Ostsee

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Von Wolfgang Mulke

04. Aug. 2013 –

Belustigt hält Verbraucherministerin Ilse Aigner einen erwachsenen Dorsch vor die Kameras der Fotografen. Den Meeresräuber hat sie per Netz zuvor aus der Ostsee ziehen lassen, zusammen mit Schollen, Flundern, den ortstypischen Quallen und einem Seestern, den sie ziemlich süß findet. In den Bottichen neben ihr verenden derweil die weniger attraktiven Meerestiere, die nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Doch damit nutzen sie der Wissenschaft.

 

Ein paar Meter weiter hinten auf dem Forschungskutter Clupea, auf deutsch Hering, steht der Meeresbiologe Daniel Stepputtis und misst die Länge jedes Teils der Beute. So bekommen die Forscher ein Bild des Fischbestands im Binnenmeer vor Warnemünde. Mit den dort und an vielen anderen Stellen von anderen Ländern erhobenen Daten können die Forscher den Bestand an jungen oder alten Fischen ermitteln und so Prognosen für die zukünftig möglichen Fischereierträge erstellen. Daraus entstehen am Ende jene Fangquoten, an die sich alle Länder halten müssen, damit der Fisch auch dauerhaft auf der Speisekarte stehen kann.

 

Die Fischerei ist ein vergleichsweise kleiner, mitunter aber lukrativer Wirtschaftszweig. Der vom Aussterben bedrohte rote Thunfisch bringt pro Stück auf dem japanischen Markt satte 100.000 Dollar ein und wird deshalb trotz Verbotes im Mittelmeer gejagt. So ein Fang kann eine Tonne wiegen und zu vielen Sushi-Portionen verarbeitet werden. Da ist nach Einschätzung der Fachleute im Agrarministerium auch die Mafia mit im Spiel.

 

Dagegen nehmen sich die 1,70 Euro für das Kilogramm Ostseedorsch mickrig aus, obwohl auch der heimische Fisch lange Zeit übermässig "geerntet" wurde, wie es die Wissenschaftler des bundeseigenen Thünen-Instituts für Ostseefischerei bezeichnen. Polnische Fischer haben den Fisch lange derart nachgestellt, dass am Ende der Bestand gefährdet war. Mittlerweile hält sich das Nachbarland an die verordneten Fangquoten.

 

Waren da nicht lange die Warnungen der Umweltverbände, dass die Meere bald leergefischt sein werden, Kabeljau und Seezunge aussterben? Der Chef des Thünen-Instituts, Christopher Zimmermann, beschwichtigt. "Die 14 kommerziell genutzten Fischbestände werden ab 2015 nachhaltig gemanagt", erklärt er. Damit ist die Ostsee Vorreiter für die großen Weltmeere. "Wir können hier testen, was wir anderswo später implementieren", sagt Zimmermann. Die bisherige Bilanz der Arbeit kann sich sehen lassen. Die Dorschbestände haben sich vollständig erholt, es gibt wieder mehr Kabeljau in der Nordsee und der Bestand an Schollen ist auf Rekordniveau. Bei Seelachs und Hering beobachten die Forscher allerdings Nachwuchsprobleme. "Wir haben die Bestände deutlich erhöht", zieht Aigner Bilanz. Auch die Artenvielfalt nimmt wieder zu. "Wir haben den Stör zurückgegeben", berichtet Mecklenburg-Vorpommern Agrarminister Till Backhaus. 800 Exemplare wurden ausgesetzt, die sich bester Gesundheit erfreuen. Auch der Steinlachs soll auf diese Weise wieder heimisch werden.

 

Die Reformen in der Fischereipolitik zeigen Wirkung. Durch eine Mischung aus verstärkten Kontrollen und Strafen für die illegale Fischerei und einer besseren Steuerung der Bestände wird eine nachhaltige Bewirtschaftung der Meere erreicht. Galten 2007 noch 94 Prozent der Arten im Nordatlantik als überfischt, sind es heute noch 39 Prozent. Aber auch der Beifang soll entweder genutzt oder vermieden werden. Das Thünen-Institut entwickelt zum Beispiel zweckmäßigere Netze, aus denen zum Beispiel kleine Fische fliehen können.

 

Einfach ins Meer zurückwerfen, was nicht gebraucht wird, hilft den Fischen wenig. "90 Prozent des Beifangs stirbt bei einem Rückwurf", weiß der TV-Koch Tim Mälzer, der die Kampagne Fish Fight ins Leben gerufen hat. Eine Million Tonnen Fisch werde derzeit noch sinnlos geopfert. Das wird sich bald ändern, weil die EU die Fischer dazu zwingen will, ihren gesamten Fang im Hafen abzuliefern. Dann soll der eiweisreiche Beifang auch genutzt werden, zum Beispiel als Futterbeigabe. Die besten Stücke landen weiter als wertvoller Ernährungsbestandteil auf dem Teller, auch wenn der Fang industriell organisiert ist. "Fisch ist im Grunde Bio", sagt Zimmermann.

 

 

 

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