„Frühzeitig um Geschenke kümmern“

Experte rechnet mit Engpässen zum Fest. Große Lieferengpässe. Vor den Häfen stauen sich Schiffe. Es fehlen Container

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Von Björn Hartmann

13. Okt. 2021 –

Wer versucht, ein Fahrrad zu kaufen oder auch nur reparieren zu lassen, hört derzeit wilde Geschichten im Fachhandel. Etwa von Kollegen, die ihren Urlaub in Frankreich dazu nutzen, auf einem kleinen Umweg nach Bordeaux noch einige Ersatzteile für eine Shimano-Schaltung zu organisieren, die dann in Berlin eingebaut werden. Der Markt ist leergefegt, weil die Deutschen wie viele andere Europäer in der Corona-Pandemie ihre Liebe zum Fahrrad entdeckten – und weil Nachlieferungen aus Asien im Containerstau stecken. Wie viele andere Produkte für Verbraucher und Industrie auch.

Über Lieferprobleme klagen fast drei Viertel aller Einzelhändler, wie das Ifo Institut aus München ermittelt hat. Besonders groß sind die Nöte demnach im Fahrradhandel, bei Unterhaltungselektronik, in Baumärkten mit jeweils weit über 90 Prozent und bei Haushaltsgeräten und Computern. Wird es also eng mit Weihnachtsgeschenken? „Man sollte sich frühzeitig um Weihnachtsgeschenke kümmern. Es kann sein, dass Waren wegen der Staus an den Häfen erst nach den Feiertagen in die Läden kommen“, sagt Christian Kille, Professor für Handelslogistik in Würzburg und Experte des Logistikverbands BVL.

Was für Verbraucher misslich ist, hat in der deutschen Industrie dramatische Folgen, wie etwa bei den Autoherstellern zu sehen ist. So legt Opel sein Werk Eisenach bis zum Jahresende still, weil Halbleiter fehlen. Bei Daimler ist die Produktion gedrosselt. Auch Audi hielt die Bänder an.

„Rohstoffmangel und Lieferkettenprobleme treffen die deutsche Wirtschaft in ihrer ganzen Breite“, sagt Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). „Die aktuelle Entwicklung kann den wirtschaftlichen Erholungsprozess nach der Krise merklich erschweren.“

Wie konnte es soweit kommen? Ein Grund sei „die zum Teil deutlich höhere Nachfrage nach Rohstoffen, da sich die globale Wirtschaft schneller als erwartet erholt“, sagt Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW in Berlin. Darauf sind nicht alle vorbereitet gewesen. Manch Experte spricht auch von Fehlplanung der Industrie. Weil ungewiss war, wie lange Corona die Weltwirtschaft belastet, wurde weniger bestellt, die Produktion gedrosselt. Dann ging alles schneller vorbei, es wurde nachgeordert, die Lieferanten kommen nicht nach.

Dann sind da die Probleme bei den Lieferketten: „Zum einen wirkt die Sperrung des Suezkanals im Frühjahr immer noch nach, zum anderen war im August ein wichtiger chinesischer Hafen wegen Corona geschlossen. Jetzt stauen sich vor den Häfen in Europa die Schiffe“, sagt Logistik-Experte Kille. „Dann fehlen wegen des eingeschränkten internationalen Flugbetriebs Zuladekapazitäten in Passagierflugzeugen. Zudem fehlen in China Container, weil das Land im großen Umfang exportiert, aber nur vergleichsweise wenig importiert, entsprechend wenig Container nach China kommen.“

Ist die Ware erst in Europa, hapert es auch. Selbst wenn sie in Rotterdam oder Hamburg die Schiffe schneller entladen könnten: Es gibt nicht genug Transportkapazitäten etwa mit Lkw – unter anderem, weil Fahrer fehlen. „Wir gehen momentan allein von 60.000 bis 80.000 fehlenden Lkw-Fahrern in Deutschland aus“, sagt Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Logistikverbands BGL. Jährlich kämen bis zu 15.000 dazu.

Logistik-Experte Kille rechnet damit, dass sich die Engpässe vor allem in der Autoindustrie vermutlich im zweiten Halbjahr 2022 auflösen werden. Aber: „Es könnten dann als Reaktion auf die große Nachfrage heute neue entstehen.“ Denn derzeit bestellen Händler zum Beispiel 200 Teile, obwohl sie nur 100 benötigen, in der Hoffnung wenigstens 50 zu bekommen. In der Folge ordern die Hersteller mehr Rohstoffe und passen die Produktion an. „Das kann zu einer Teileschwämme führen.“

Viele Produkte werden sehr wahrscheinlich teurer – für den Endkunden und die deutsche Industrie. In einer Umfrage des Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik gaben 69,6 Prozent der befragten Einkaufsmanager an, dass die Preise zuletzt kräftig gestiegen sind. Weitere 27,3 sprachen von gemäßigten Preiserhöhungen.

Eine weitere Folge der Knappheit: Die Unternehmen verabschieden sich von der Just-in-time-Produktion, bei der Zulieferer Teile und Material genau dann liefern, wenn sie verbaut werden sollen. Stattdessen bauen die Firmen wieder eigene Lager auf, um in Zeiten von Lieferengpässen noch Material vorrätig zu haben. 45 Prozent der Firmen, die der BME befragt hat, sind dabei, um im vierten Quartal Kundenwünsche bedienen zu können. Der DIHK berichtet sogar von 57 Prozent der befragten Unternehmen. Der Nachteil: Lager kosten und werden die Preise zusätzlich treiben.

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