• Textilfabrik bei Dhaka, Bangladesch |Foto: Koch
    Textilfabrik bei Dhaka, Bangladesch |Foto: Koch

Für ein paar Euro mehr

Textilproduktion in Bangladesch

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Von Hannes Koch

10. Nov. 2015 –

Das rote Motorrad mit den verdreckten Reifen ist widerspenstig. Gerd Müller sitzt drauf, dreht am Gasgriff, doch nichts passiert. Nun wird dem Entwicklungsminister geholfen. Knatternd springt der Motor an. Auch einen Helm bekommt Müller aufgesetzt. Jetzt ist die Szene perfekt. Lächeln für die Kameras. Die Manager der Textilfabrik applaudieren dem Gast aus Deutschland.

 

Dhaka, Hauptstadt von Bangladesch: Gerd Müller ist hergekommen, um sein Anliegen voranzutreiben. Kleidung, die Geschäfte in Deutschland anbieten, soll nicht unter ausbeuterischen Bedingungen hergestellt werden. Deswegen hat die dem Entwicklungsminister unterstellte Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) die roten Motorräder bezahlt. Inspektoren können damit zu abgelegenen Produktionsstätten fahren. Sie kontrollieren, ob die Fabrikgebäude stabil gebaut sind, intakte Feuerlöscher an den Wänden hängen, Fluchtwege existieren und die Arbeiterinnen nicht wie Sklaven gehalten werden.

 

Zwei Stunden hat sich Müllers Fahrzeug-Konvoi mit Polizeibegleitung erst durch den Verkehrsinfarkt der 14-Millionen-Stadt Dhaka, dann über sandige Schlaglochwege durch die Hüttenvororte gequält. Hier steht ein modernes, achtstöckiges Fabrikgebäude. An den Straßen auf dem Firmengelände stecken rote, grüne, gelbe und weiße Fähnchen im ordentlich gemähten Rasen. Alles sieht toll aus, nicht nach Entwicklungsland, sondern nach „Leuchtturm für eine faire Globalisierung“, wie Müller betont.

 

Tatsächlich scheint das Familienunternehmen Dulal Brothers Ltd. seinen 22.000 Beschäftigten - überwiegend jungen Frauen - Bedingungen zu bieten, die deutlich über dem Standard der üblichen Produktion in Bangladesch liegen. Zwar arbeiten auch hier hunderte Leute auf einem Stockwerk dicht an dicht. Sie fertigen beispielsweise Oberhemden, die man in Deutschland bei H&M, Esprit, G-Star oder Lidl kaufen kann. Die Stoffe werden geschnitten, genäht, Kragen werden angesetzt, Knöpfe angenäht, Etiketten angebracht, die fertigen Hemden kontrolliert, gebügelt, gefaltet, verpackt. Der Weg jedes Textilstücks ist unterteilt in hunderte kleiner Arbeitsschritte, die die Frauen mit den gelben Kopftüchern tausende Male täglich in erstaunlichem Tempo wiederholen.

 

Es ist eine erschöpfende, monotone Industriearbeit – dennoch besser organisiert, als in vielen anderen Fabriken. So hängen keine lauten Propeller unter den Geschossdecken, die anderswo nervtötenden Lärm verbreiten. Die Klimatisierung übernehmen stattdessen Ventilatoren in den großen Fenstern der Halle. Es ist nicht heiß, die Luft angenehm. Auch die Nähmaschinen rattern nicht ohrenbetäubend. Ihren Beschäftigten bietet die Firma einen speziellen Laden, in dem sie Lebensmittel und andere Konsumgüter billiger als normal einkaufen können. Die Medizinstation auf dem Gelände gewährleistet kostenlose ärztliche Versorgung. Dieser Arbeitgeber übernimmt dadurch Dienstleistungen, die das Entwicklungsland Bangladesch seinen Bürger nicht zur Verfügung stellt.

 

Außerdem sei die Bezahlung besser als üblich, erklären die Manager. Eine durchschnittliche Näherin könne hier rund 15.000 Taka pro Monat verdienen. Das entspricht gegenwärtig etwa 170 Euro. Bei 60 Arbeitsstunden wöchentlich beträgt der Lohn zwar für deutsche Verhältnisse lächerliche 70 Euro-Cent pro Stunde. In Bangladesch liegt er damit allerdings bei 300 Prozent des Mindestlohns, den die Regierung als Untergrenze festgesetzt hat. Im Gegensatz zu vielen Millionen Beschäftigten in der Textilindustrie des südasiatischen Landes scheint es den Näherinnen bei Dulal Brothers also einigermaßen gut zu gehen.

 

Allerdings nicht gut genug, wie die Gewerkschafter der Asiatischen Fabriklohn-Kampagne sagen. Deren Berechnungen zufolge müssten Arbeitnehmerinnen in Bangladesch etwa 250 Euro monatlich erhalten, um die Grundbedürfnisse ihrer Familien decken zu können. Dieser sogenannte Existenzlohn (living wage) soll nicht nur Ausgaben für Essen, Wohnen und Kleidung ermöglichen, sondern auch für Mobilität, Kommunikation, soziale Sicherheit, Bildung der Kinder und Sparen. Das Konzept des Existenzlohns spielt gegenwärtig eine große Rolle in der Auseinandersetzung über die Zustände in den weltweiten Zulieferfabriken der europäischen und amerikanischen Textilkonzerne. Während beispielsweise die Kritikerorganisation Kampagne für Saubere Kleidung fordert, dass Händler wie H&M, Otto, KiK oder Walmart den Existenzlohn in Bangladesch, China oder Kambodscha durchsetzen, verweisen die Unternehmen darauf, dass sie sich immerhin an die staatlich festgelegten, wenn auch niedrigeren Mindestlöhne halten.

 

Entwicklungsminister Müller hat die umständliche Reise in Dhakas ländlichen Norden auch deshalb unternommen, weil Dulal Brothers aus seiner Sicht einen weiteren Vorteil hat. Die vier Eigentümer waren die ersten in Bangladesch, die Müllers Textilbündnis beitraten. Dieses existiert seit einem Jahr. Mittlerweile haben sich über 150 schwerpunktmäßig in Deutschland aktive Textilkonzerne, Verbände und Organisationen angeschlossen. Müller übernimmt damit den ehrgeizigen und auch risikoreichen Versuch, die ökologischen und sozialen Bedingungen in der globalen Textilproduktion zum Besseren zu verändern.

 

Wenn Müller, 60 Jahre alt, bayerischer Bauernsohn mit großen Händen, darüber redet, klingt er wie ein christlicher Marxist. Der CSU-Politiker, der früher mal die Jugendorganisation seiner Partei leitete, ist zornig, dass sich Milliarden-Firmen wie H&M, die Tengelmann-Tochter KiK oder die britische Billigkette Primark aus dem sozialen Konsens verabschieden. Wenn die Konzerne den Produzenten nur einen Euro pro T-Shirt zugeständen, reiche das einfach nicht, um vernünftige Arbeitsbedingungen zu finanzieren, verkündet er im Ausstellungsraum von Dulal Brothers. Die westlichen Konzerne sollten ihren Lieferanten in Bangladesch und anderswo bessere Preise bieten, damit diese ihren Beschäftigten höhere Löhne zahlen könnten. Um das durchsetzen, so Müller, müsse die Politik der Wirtschaft auch weltweit Regeln vorschreiben.

 

Des Ministers Ansinnen ist auch eine Reaktion auf die Katastrophe von Rana Plaza. Nicht weit von Dulal Brothers entfernt brach vor zweieinhalb Jahren ein Gebäude mit Textilfabriken zusammen. Über 1.000 Arbeiterinnen und Arbeiter starben. Viele wurden schwer verletzt. Mit seinem Textilbündnis will Müller auch einen Beitrag dazu leisten, dass so etwas nicht wieder passiert. Im Aktionsplan des Bündnisses stehen viele gute Punkte: So geht es um Arbeitssicherheit, Unfall- und Gesundheitsschutz, maximale Arbeitszeiten – und sogar zum Existenzlohn haben sich Otto, C&A, KiK, H&M und Co. bekannt.

 

Allerdings hat die Veranstaltung einen Schönheitsfehler. Als Bedingung für ihr Mittun haben die Konzerne und Firmenverbände den Zeitplan rausgeschmissen. Müller willigte trotzdem ein, um sich die Unterschriften der Unternehmen als Erfolg anrechnen zu können. Das Resultat: Nun gibt es zwar gemeinsame Ziele - wann diese aber erreicht werden, steht in den Sternen.

 

Ein weiterer Minuspunkt: Vor einem Jahr, am 16. Oktober 2014, ließ der Entwicklungsminister das Textilbündnis offiziell gründen. Außer bürokratischen Aktivitäten ist bis heute aber nichts passiert. Maik Pflaum, der für die Kampagne für Saubere Kleidung im Bündnis mitwirkt, sagt: „Auf der Ebene der Produktion, bei den NäherInnen, hat das Textilbündnis bisher keine Aktivitäten entwickelt und deswegen noch keine Fortschritte bewirkt.“ Das sei auch kein Wunder, betont dagegen Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie: „Innerhalb nur weniger Monate grundlegende praktische Veränderungen bei den Arbeitsverhältnissen in den Zulieferfabriken zu erwarten, entspricht nicht der Komplexität des Themas. Hier sind auch die Produktionsstaaten und die Bundesregierung in der Pflicht. Ich bin allerdings sicher, dass wir in einigen Jahren wesentliche Verbesserungen erreichen können und auch werden.“

 

Auf der Reise in Bangladesch möchte der Entwicklungsminister von den Firmen jedoch etwas mehr hören. Konferenzraum eines Oberklasse-Hotels in Dhaka Anfang Oktober: Der Minister hat Einkäufer großer Textilhändler eingeladen. Am Tisch sitzen unter anderem Tschibo, Aldi, H&M und C&A. Und, fragt Müller, wo stehe denn der Preis einer Jeans gegenwärtig im Einkauf? Bei neun Euro? Er will sagen: Ihr dürft die Preise nicht ständig drücken, Ihr müsst den Zulieferern in Bangladesch etwas mehr Geld lassen. Zusagen in dieser Richtung bekommt Müller jedoch nicht. Theoretisch reden die Firmenvertreter gerne über Nachhaltigkeit. Wird es konkret, sprechen sie lieber darüber, dass die Zulieferer ihre Produktivität steigern sollten. Eigentlich, so muss man sagen, lassen sie Minister Müller hängen.

 

Info-Kasten

Textilindustrie in Bangladesh

Das Land ist knapp halb so groß wie Deutschland, hat aber doppelt so viele Einwohner: rund 160 Millionen. Die Wirtschaftsleistung pro Kopf und Jahr beträgt knapp 1.000 Euro (Deutschland: etwa 35.000). Der wichtigste industrielle Wirtschaftszweig mit einem Exportwert von über 20 Milliarden Euro ist die Textilindustrie. Nach China ist Bangladesch der größte Bekleidungsexporteur weltweit. Verkaufen Textilkonzerne eine dort produzierte Jeans in Deutschland für 100 Euro, erreichen davon vielleicht zwei oder drei Prozent die Arbeiterinnen in Bangladesch. Wenn sie wollten, könnten die Firmen den Lohn der Beschäftigten dort verdoppeln, ohne dass der hiesige Endkundenpreis steigt. Sie müssten eine minimale Verringerung ihres Gewinns hinnehmen. (Koch)

 

Die Reise fand auf Einladung des Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) statt.

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