Gemischte Bilanz des Aufbaus Ost

20 Jahre nach dem Mauerfall hat das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) ein umfangreiches Zahlenwerk zum Stand des Aufholprozesses vorgelegt. Die Bilanz fällt zwiespältig aus.

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Von Wolfgang Mulke

07. Sep. 2009 –

Ist der Aufbau Ost gelungen?

 

Die Antwort ist eine Frage der Perspektive. Gemessen an den Lebensumständen in der früheren DDR und der Entwicklung in anderen ehemaligen Ostblockstaaten ist in den neuen Ländern viel erreicht worden. Drei von vier Haushalten besitzen heute ein Auto, vor der Wende war es lediglich ein Viertel. Mit Flachbildfersehern, PCs oder anderen langlebigen Konsumgütern ist die Bevölkerung nur wenig schlechter versorgt als im Westen. Die Wirtschaftskraft hat sich deutlich erhöht, ist beispielsweise in Sachsen-Anhalt zweieinhalb Mal so hoch wie 1989. Wirtschaftlich liegt Ostdeutschland unter den mitteleuropäischen Reformstaaten vorne und kann zudem eine moderne Industriestruktur vorweisen, etwa mit der Solarbranche.

 

Im Vergleich zu Westdeutschland fällt die Bilanz bescheidener aus. Die Unterschiede sind nach wie vor beträchtlich, vor allem bei den Einkommen und Vermögen. In den letzten Jahren stagnierte in das durchschnittliche verfügbare Einkommen in den neuen Ländern bei knapp 30.000 Euro, während es in den alten Ländern weiter auf mehr als 40.000 Euro anstieg. Die Schere öffnet sich nach einem langen Aufholprozess wieder. Auf jeden Ostdeutschen entfiel 2007 statistisch betrachtet ein Vermögen von gut 11.000 Euro im Westen auf mehr als 27.000 Euro.

 

Was hat die Einheit bisher gekostet?

 

Laut IWH sind bisher rund eine Billion Euro an Transferleistungen von West nach Ost geflossen. Diese Zahl ist allerdings nur begrenzt aussagekräftig. Denn auch westdeutsche Länder wie das Saarland oder Bremen erhalten Geld aus dem Finanzausgleich der Länder. Außerdem sind in den letzten 20 Jahren rund 1,8 Millionen gut ausgebildete Ostdeutsche in den Westen übergesiedelt. Ohne deren Leistung wäre der Boom in Bayern und Baden-Württemberg nach Ansicht von IWH-Chef Ulrich Blum gar nicht möglich gewesen. So haben die Ostdeutschen auch viel zur gesamtdeutschen Wirtschaftsleistung beigetragen. Eine genaue Nettorechnung der Einheitskosten ist jedoch nicht möglich.

 

Wie stehen die Bürger in den neuen Ländern heute da?

 

Die Angleichung der Lebensverhältnisse ist an vielen Stellen vorangekommen. Die Lebensstile nähern sich beispielsweise an, was sich etwa in einer deutlich gestiegenen Lebenserwartung in Ostdeutschland ausdrückt. Auch beim Hang zur Eheschließung oder bei der Scheidungsquote liegen Ost und West nahezu gleichauf. Wohnungsnot gibt es nicht mehr. Die Ausstattung des Wohnraums in Ostdeutschland ist jedoch weniger komfortabel als im Westen. Die niedrigeren Einkommen täuschen nach Ansicht der Experten etwas. Denn auch die Lebenshaltungskosten sind in den neuen Ländern in der Regel geringer. Der Abstand ist demnach nicht so groß, wie die Statistik nahe legt.

 

Warum ist die Wirtschaftskraft im Osten noch so viel geringer als im Westen?

 

Dafür gibt es viele Gründe. Am wichtigsten ist wohl die Struktur der ostdeutschen Wirtschaft. Es gibt so gut wie keine große Unternehmenszentrale in den neuen Ländern. Laut Blum schaffen die Zentralen allein bis zu 40 Prozent der Wertschöpfung eines großen Unternehmens. Die Betriebe der neuen Länder erbringen häufig nur industrielle Vorleistungen mit einer geringen Wertschöpfung. In der Folge mangelt es auch an anspruchsvollen und gut bezahlten Arbeitsplätzen. Allerdings lassen sich die neuen Länder schon lange nicht mehr über einen Kamm scheren. Es gibt aufstrebende Regionen rund um Städte wie Dresden und Erfurt, aber auch arme Gebiete wie große Teile Mecklenburg-Vorpommerns. Im Verarbeitenden Gewerbe ist die Aufholjagd noch lange nicht beendet. Die Produktivität der Betriebe hat sich seit 1991 zwar verfünffacht, beträgt aber trotzdem nur 78 Prozent des westdeutschen Vergleichswerts.

 

Haben die neuen Länder gute Zukunftsperspektiven?

 

Der Ostexperte Klaus von Dohnanyi ist zuversichtlich. „Die Voraussetzungen sind gut“, glaubt der frühere Hamburger Bürgermeister. Die gute Infrastruktur und die Nähe zu den osteuropäischen Märkten seien eine gute Basis für die weitere Entwicklung. Das IWH hält vor allem Investitionen in Forschung und Entwicklung für notwendig, um langfristig auch mehr gut bezahlte Arbeit in den Osten zu holen. Von einer raschen Angleichung der Leistungskraft von Ost und West spricht aber auch 20 Jahre nach dem Mauerfall niemand mehr.

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