Gerechtigkeit kann billig sein
Schuh-Gigant Deichmann: Billig und gleichzeitig sozial - wie passt das zusammen?
14. Mär. 2012 –
Das beherrschende Objekt in den Filialen der Schuhkette Deichmann ist der Pappkarton. Sandalen, Herrenschuhe und Damenstiefel werden direkt aus ihren Verpackungen verkauft. Ganze Regalreihen sind ausgestattet mit dem Hinweis: „Jedes Modell 19,90 Euro“. Teurere Modelle findet man aber auch: Das kostspieligste Paar Lederstiefel kostet 89,90 Euro.
Vornehmlich mit dem günstigen Preis ist das Familienunternehmen Deichmann in die europäische Spitze der Branche aufgestiegen ist. Dennoch gibt die Firma ihren Kundinnen und Kunden ein dreifaches Versprechen. Auch für modischen Chic will man stehen, weshalb aktuell die Schauspielerin Halle Berry von Deichmann-Werbeplakaten lächelt. Und für die Verbraucher, die es interessiert, liefert die Schuhkette zusätzlich etwas gutes Gewissen.
Deichmann ist eines dieser Geschäfte, die angeblich für alle das Beste aus der Globalisierung machen. Einerseits bietet man niedrige Preise für Konsumenten in Europa, andererseits nimmt man aber auch für sich in Anspruch, den Arbeitern in den Fabriken Indiens, Chinas oder Vietnams einen vernünftigen Lebensstandard zu gewährleisten. Wie kann dieser Spagat funktionieren?
Wenn am Mittwoch die Schuhmesse in Düsseldorf beginnt, steht Deichmann wieder einmal gut da. Im Jahr 2011 stiegen Verkaufszahlen und Umsatz erneut an (siehe Info-Kasten). Ziemlich unangefochten ist Deichmann Deutschlands größter Schuhhändler. Auch europaweit rangiert die Kette mit ihren über 3.000 Geschäften wohl an der Spitze, wenngleich es keine eindeutigen Branchenzahlen gibt. Zugleich wird Heinrich Deichmann (Jahrgang 1962), der das Unternehmen in dritter Generation leitet, nicht müde, sein christliches Ethos zu betonen.
Das Geheimnis, die Kombination von gutem Preis mit gutem Gewissen, steckt in einem Satz des Deichmann-Sprechers Ulrich Effing: „Wir entwickeln die Schuhe zusammen mit den Produzenten.“ Das läuft ungefähr so: Das Konzept eines neuen Modells entwerfen die Deichmann-Designer in Deutschland. Konkret ausgestaltet und hergestellt werden die Schuhe dann in den ausländischen Zulieferfabriken, die sie direkt zu Deichmann schicken. Externer Zwischenhandel, der die Produkte mit zusätzlichen Kosten belasten könnte, existiert nicht.
Weil Deichmann außerdem über eine so große Zahl von Geschäften wie kein anderer Anbieter verfügt, ordert die Firma bei ihren Lieferanten große Mengen von beispielsweise 50.000 Paaren eines einzigen Modells. Mit steigender Produktionsmenge aber sinkt der Preis pro Paar. Deichmann profitiert hier schlicht von seiner Größe.
Das ist die eine Seite. Die andere beschreibt Effing so: „Die Lohnkosten sind nicht der entscheidende Faktor. Unsere Preise liegen nicht deshalb so günstig, weil unsere Lieferanten schlechte Löhne zahlen.“ Dazu muss man wissen: Inklusive Überstunden erhalten junge Arbeiterinnen in Schuhfabriken der chinesischen Provinz Wenzhou nach Firmenangaben Löhne in der Größenordnung von 2.500 Renmimbi monatlich. Das sind etwa 300 Euro, was auf einen Stundenlohn von umgerechnet 1,30 Euro hinausläuft.
In dieser einen Stunde gehen Dutzende Schuhe durch die Hände einer Arbeiterin – viele Modelle bestehen ja nur aus wenigen Kunststoffteilen, die schnell zusammengeklebt sind. Der Lohnkostenanteil am Endpreis eines Schuhs ist deshalb verschwindend gering. Er liegt in der Größenordnung von wenigen Euro-Cent.
Wie viele andere Konzerne auch drückt Deichmann seine Herstellungskosten und Preise, indem man in den Billiglohn-Ländern dieser Welt produziert. Bedeutet das, dass in dem Unternehmen Ausbeutung herrscht? Einerseits nein. Der gesetzliche Mindestlohn in Wenzhou liegt bei knapp 1.000 Renmimbi monatlich (etwa 120 Euro). Weil dafür aber niemand mehr arbeite, zahlt Deichmann nach eigenen Informationen mindestens das Doppelte.
Die Frage jedoch, ob dieser Lohn den Arbeitern ein halbwegs erträgliches Leben ermöglicht, ist schwer zu beantworten. Für eine junge Arbeiterin ohne Kinder, die im Wohnheim der jeweiligen Fabrik lebt, mögen 2.500 Renmimibi gut ausreichen. Wollen chinesische Eltern damit aber eine Familie ernähren, das Kind zur Schule schicken, eine eigene Wohnung in der Stadt bezahlen und die Großeltern auf dem Lande unterstützen, kann es finanziell schnell sehr eng werden.
Dabei laufen Deichmanns Geschäfte ziemlich gut. Zum Gewinn sagt das Unternehmen zwar offiziell nichts, eine zweistellige Umsatzrendite aber ist nicht unwahrscheinlich. 2011 hätte Heinrich Deichmann damit etwa 400 Millionen Euro Gewinn gemacht. Schon mit einem Teil davon könnte er die Löhne der Arbeiterinnen in China, Indien und Indonesien spürbar erhöhen. Deichmann aber steckt das Geld lieber in immer neue Geschäftseröffnungen. Christlich, unchristlich?
Zugunsten des Unternehmens sei gesagt, dass Bürgerrechtsorganisationen wie die Kampagne für Saubere Kleidung Deichmann keine Verstöße gegen Sozialstandards vorwerfen. Außer in einem Punkt, der aber für alle Firmen gilt, die in China produzieren lassen. Entgegen den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation sind freie Gewerkschaften in China verboten. Aus das macht Arbeit dort so billig.
Info-Kasten
Das ist Deichmann
Das Unternehmen ist im Besitz der Familie. 2011 machte der größte Schuhhändler Europas in seinen insgesamt 3.175 Geschäften einen Umsatz von 4,13 Milliarden Euro (plus fünf Prozent gegenüber 2010). In 22 Ländern Europas und den USA verkaufte die Firma 156 Millionen Paar Schuhe (plus 2,6 Prozent). Die Zahl der Mitarbeiter stieg auf 32.500. Dieses Jahr sollen rund 190 neue Geschäfte eröffnet werden.
Info-Kasten II
Sozialstandards
Im firmeneigenen Sozialkodex sichert Deichmann unter anderem zu, dass allen Beschäftigten in den Zulieferfirmen ein Lohn zusteht, der die Grundbedürfnisse befriedigt und ein „gewisses frei verfügbares Einkommen“ ermöglicht. Die Zahl der Überstunden und andere Arbeitsbedingungen sollen nicht gegen die Gesetze des jeweiligen Landes und internationale Regeln verstoßen. Von Zeit zu Zeit wird dies überprüft, wobei man durchaus Verstöße registriert. Deichmann arbeitet nach eigenen Angaben mit den Zulieferfirmen zusammen daran, die Sozialstandards zu erhöhen.