„Gewinn darf nicht auf Kosten der Allgemeinheit gehen“

Peter Klasvogt, Direktor des katholischen Sozialinstituts Kommende in Dortmund, fordert „eine neue Kultur der Verantwortung“

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Von Hannes Koch

22. Dez. 2009 –

Hannes Koch: Das Jahr 2009 förderte erstaunliche Gegensätze zu Tage. Die Lebensmittelkette Kaisers kündigte einer Verkäuferin wegen der Unterschlagung eines Pfandbonds im Wert von 1,30 Euro. Gleichzeitig erhielten gescheiterte Bankmanager wie Dirk Nonnenmacher von der HSH Nordbank Millionengehälter. Fehlt es der Wirtschaftselite an moralischer Kompetenz?


Peter Klasvogt: Unsere Gesellschaft muss umsteuern. Das gilt für uns alle, aber im Besonderen für die wirtschaftlichen und politischen Eliten. Die Gier der Manager, die gibt es unbestreitbar. Und doch wäre es zu kurz gegriffen, sich auf einige Sündenböcke zu stürzen. Das Fehlverhalten mancher Wirtschaftsführer ist nur deshalb möglich, weil sich in der Gesellschaft insgesamt eine fragwürdige Mentalität durchgesetzt hat – die Geisteshaltung der Ich-AG.


Koch: Worin besteht diese Einstellung?


Klasvogt: Darin, sich selbst Freiheit auf Kosten der anderen zu genehmigen. Wir erleben einen schleichenden Prozess der Entsolidarisierung. Manche Menschen und Interessengruppen klinken sich aus dem Wertekonsens der Gesellschaft aus.


Koch: Können Sie ein Beispiel aus der Welt der Unternehmen nennen?


Klasvogt: Das Prinzip der Gewinnmaximierung um jeden Preis hat in vielen, besonders großen Firmen um sich gegriffen. Gerade hat die Zeitschrift Finanztest ermittelt, dass viele Institute ihre Kunden noch immer schlecht beraten. Offenbar geht es den Vorständen nur um ihre Provisionen, und nicht darum, den Kunden gerecht zu werden. Entgegen den offiziellen Beteuerungen steht nicht der Mensch im Mittelpunkt.


Koch: Das Gewinnprinzip gehört zum Wesen des Kapitalismus. Wer seinem Egoismus fröhne, diene damit dem Gemeinwohl, behauptete Adam Smith. Wollen Sie diesen Grundsatz angreifen?


Klasvogt: Natürlich lebt die Marktwirtschaft von Profit. Wer einen Betrieb besitzt, will und muss Gewinn machen. Insgesamt kann das aber nur funktionieren, wenn der politische und ethische Rahmen stimmt. Die Orientierung am Gemeinwohl muss immer bewusster Bestandteil ökonomischer Entscheidungen sein. Deshalb darf die Höhe des Gewinns nicht auf Kosten der Allgemeinheit gehen.


Koch: Wie hoch darf ein Firmengewinn maximal sein, damit er nicht gegen die Interessen der Allgemeinheit verstößt?


Klasvogt: Das kann man nur im Einzelfall genau sagen. Das Ziels einer Eigenkapitalrendite von 25 Prozent, das die Deutsche Bank definiert, scheint mir allerdings überzogen. Manche Unternehmensvorstände stellen sich zu selten die Frage: Wer sind die Verlierer unserer Geschäftspolitik? In den vergangenen Jahren mussten wir beobachten, dass besonders Geldinstitute gegen das Gebot des Anstandes verstießen. Sie versuchten, alles unter die Leute zu bringen, was möglich war – selbst faule Papiere.


Koch: Sie kritisieren überzogene Gewinnerwartungen von Unternehmen. Gilt das auch für den Verdienst des Einzelnen?


Klasvogt: Ja, manche Exesse sind unerträglich. Managerboni von Dutzenden oder gar Hunderten Millionen Euro können als Anreiz wirken, nur den eigenen Vorteil zu sehen und alles andere auszublenden. Man sollte darüber nachdenken, die Boni stark zu begrenzen, zum Beispiel auf 30 Prozent des Festgehaltes.


Koch: Jetzt beklagen Sie die Exesse auf den Finanzmärkten. Zum Teil sind diese seit Jahren bekannt. Warum hat die Katholische Kirche nicht gewarnt, bevor es zur Krise kam?


Klasvogt: Die Kirche muss selbstkritisch feststellen, dass sie sich in den vergangenen Jahren nicht immer ausreichend mit fatalen gesellschaftlichen Tendenzen auseinandergesetzt hat. Die allgemeine Stimmung ist auch an uns nicht spurlos vorbeigegangen. Der Sozialstaat ist aus der Balance geraten. Der alte Konsens der Sozialen Marktwirtschaft wurde in Frage gestellt, indem man dem Privatinteresse oft Vorrang vor den Anliegen der Gemeinschaft einräumte.

 

Koch: Wie reagiert die Katholische Soziallehre konkret auf die Finanzkrise – gibt es nun eine neue Agenda?


Klasvogt: Vor wenigen Wochen hat die Deutsche Bischofskonferenz ihr Papier „Auf dem Weg aus der Krise“ veröffentlicht. Darin setzen sich die Bischöfe dafür ein, die Soziale Marktwirtschaft zu erneuern und ermuntern alle, nach einer neuen Ausgewogenheit von Freiheit, Gemeinwohl und Gerechtigkeit zu suchen.


Koch: Wenn Sie mit Managern sprechen – sagen sie denen auch, dass sie es zu toll getrieben haben?


Klasvogt: Ich habe den Eindruck, dass bei den Vorständen, die ich treffe, eine neue Nachdenklichkeit eingesetzt hat. Man leistet sich neuerdings wieder den Luxus zu überlegen: Wohin steuert das Ganze? Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen, dass eine neue Wertedebatte beginnt.


Koch: Wie lautet Ihr dringenster politischer Wunsch für 2010?


Klasvogt: Wir sollten uns daran machen, eine neue Hierarchie unserer Werte zu entwickeln. Es wäre gut, wenn wir mehr Mut hätten, die Sinnfrage zu stellen: Was bringt das, was wir tun? Das gilt gerade für Unternehmen und wäre ein erster Schritt zur einer neuen Kultur der Verantwortlichkeit.



Bio-Kasten

Prälat Dr. Peter Klasvogt (52) ist einer der modernen Theologen, die gesellschaftlichen Konflikten nicht aus dem Weg gehen. Seine diversen geistlichen und weltlichen Ämter managed er mit Notebook und Mobiltelefon. Zur Entspannung besucht er das Fitnessstudio. In Dortmund leitet Klasvogt das Katholische Sozialinstitut Kommende, das sich der Weiterentwicklung der Katholischen Soziallehre widmet. Gegründet wurde es vor 60 Jahren als eine Reaktion auf Nationalsozialismus und 2. Weltkrieg. Klasvogt studierte Theologie und Philosophie in Paderborn, Jerusalem und Augsburg. Er beherrscht Latein, Altgriechisch sowie Hebräisch und spricht Englisch, Italienisch und Französisch. 1984 wurde Klasvogt zum Priester geweiht. 2005 arbeitete er in einer Gemeinde in Chicago/USA. 2006 gründete er Amosinternational, eine Zeitschrift für Christliche Sozialethik. Seit 2007 ist Klasvogt Mitglied des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem.


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