Gewinner der Krisen

Nicht nur Energiekonzerne profitieren

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Von Björn Hartmann

18. Okt. 2022 –

Krise, Krise, Krise: Deutschland steuert in eine Rezession, die Energiepreise steigen, die Teuerung belastet die Haushalte, Corona kehrt zurück, dazu noch der Krieg in der Ukraine. Und alles überlagert sich. Es wird dringend Zeit, einmal zu schauen, wer in dieser trüben Lage zu den Gewinnern zählt – abseits der Energiekonzerne, die jedes Vierteljahr Rekorde melden.

Autokratische Länder: Russland lässt Europa spüren, wie abhängig es bei Gas und Öl ist. Weil sich die EU und vor allem Deutschland als größte Wirtschaftsmacht in der Staatengemeinschaft nicht gefallen lassen will, muss es vor allem Gas woanders einkaufen. Die größten Vorkommen besitzen Staaten, die bisher nicht so wohlgelitten waren – wegen ihrer autokratischen Regime und weil sie sich wenig um Menschenrechte scheren. Katar zum Beispiel. Nicht nur Deutschland hofiert es, um überhaupt an Gas zu kommen. Auch der Iran besitzt große Gasreserven.

Bundeswirtschaftsministerium: Die zahlreichen Krisen treffen vor allem die deutsche Wirtschaft und damit den Kern des Wohlstands. Plötzlich zeigt sich, wie wichtig das Bundeswirtschaftsministerium ist und welche Gestaltungsmacht es hat, wenn denn ein Minister an der Spitze steht, der auch gestalten will – und im Mehrfachkrisenfall auch muss. In der Rückschau ist schon erstaunlich, was das Ministerium in den vergangenen 20 oder 25 Jahren alles hätte bewegen können – wenn die Minister gewollt oder gekonnt hätten. Rund 2200 Beschäftigte arbeiten unter Robert Habeck (Grüne), dazu kommen weitere in nachgelagerten Behörden wie der Bundesnetzagentur oder dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Sie müssen die Gasversorgung sicherstellen, die Energiepreise im Griff behalten, Firmen vor dem Absturz bewahren und nebenbei auch noch die Energiewende vorantreiben.

Dollar: In krisengesättigten Zeiten zeigt sich, welchen Währungen Anleger und Banken weltweit vertrauen. Und auch wenn die Euro-Zone zu den wichtigsten Wirtschaftsräumen der Welt zählt, die Gemeinschaftswährung gehört nicht dazu. Der Dollar dagegen erlebt gerade einen Höhenflug. Vor einem Jahr kostete ein Dollar noch um 0,86 Euro, inzwischen sind es mehr als 1,02 Euro. Ein Grund: Die weltweiten Verwerfungen treffen die US-Wirtschaft offenbar nicht so stark wie andere Regionen. Das gibt der Zentralbank mehr Spielraum, um die Inflation zu bekämpfen. Sehr vereinfacht ist der Dollar deshalb gefragt. Die Schwäche des Euro allerdings hat auch Vorteile: Länder wie Deutschland, die vom Export leben, können ihre Waren billiger in die USA verkaufen.

EU: Schon die Corona-Pandemie hat die Staaten der EU, die durch den Abschied er Briten (Brexit) etwas in Schockstarre waren, enger zusammengebracht. Der Angriff Russlands auf die Ukraine zeigt den Mitgliedern, wie wichtig es ist, nach außen einheitlich aufzutreten. Das ist vielleicht immer noch nicht bei allen angekommen und es wird weiter gestritten. Doch gemeinsame Sanktionen gegen Russland, der gebündelte Einkauf von Gas, wie er jetzt beschlossen wurde, oder der Ausbau des europäischen Raketenschutzschilds, das alle tragen, lässt hoffen, dass der Block seiner wirtschaftlichen macht entsprechend auch politisch auftritt.

Exyte: Hinter dem Kunstnahmen verbirgt sich ein klassischer deutscher Anlagenbauer, gegründet 1912. Eine zeitlang hieß die Firma aus Stuttgart M+W Zander, dann M+W Group. Das Unternehmen baut vor allem Anlagen für wichtige Branchen: Halbleiter, auch Chips genannt, Batteriezellen und Biotech. Chips sind Mangelware, Batteriezellen wichtig für die Energiewende und und der Bedarf an Impfstoffen etwa gegen Corona wird auch hoch bleiben. Exyte jedenfalls meldet regelmäßig Rekorde. 2021 setzte das Unternehmen 4,9 Milliarden Euro um, in diesem Jahr sollen es sieben Milliarden sein. 9000 Beschäftigte werden Ende des Jahres für die Stuttgarter arbeiten, 2020 waren es noch 4900.

Fahrräder: Schon während der Hochphase der Corona-Pandemie war das Fahrrad sehr beliebt. Bot es doch gute Chancen, sich trotz Ausgangsbeschränkungen zu bewegen. Offenbar haben die Deutschen Gefallen am Rad gefunden. Die hohen Energiepreise tun ihr übriges. Jedenfalls nutzen 39 Prozent der Bundesbürger das Fahrrad häufiger, wie die Umfrage des Technologieverbands Bitkom ergeben hat. Der große Gewinner, heißt es. Allerdings gibt es keinen Angaben dazu, wie oft das Rad genutzt wird. Einmal statt zweimal im Jahr wird genauso erfasst wie jeden Tag statt nur am in der Woche.

Heizlüfter: Weil sich im Frühjahr und Sommer bereits abzeichnete, dass es eng und vor allem teuer mit der Öl und Gasversorgung werden kann, haben sich die Deutschen mit Heizlüftern und Ölradiatoren eingedeckt. Den Marktforschern der GfK zufolge verkaufte die Branche im ersten Halbjahr 600.000 solcher Geräte, ein Drittel mehr als im gleichen Zeitraum 2021. Mancherorts bildeten sich Schlangen vor Elektrofachgeschäften. Manch Baumarkt gab die Geräte direkt von der Palette ab. Konkrete Zahlen der Heizlüfterbranche gibt es nicht. Es dürfte aber ein ordentlicher Zusatzgewinn zusammengekommen sein. Ein Nachteil der Geräte, auch wenn sie es schön warm machen: Der Strombedarf ist sehr hoch, was auch hohe Kosten bedeutet.

Nato: Auch das nordatlantische Verteidigungsbündnis ist plötzlich wieder wichtig – und mächtig. In den vergangenen Jahren war ihre Bedeutung vor allem aus westlicher Sicht geschrumpft – einzelne Mitglieder, vor allem die Türkei, verfolgten eigene Interessen, und wurden kaum gebremst. Viele Staaten, darunter Deutschland, steckten weniger Geld in das Bündnis, als zugesagt. Donald Trump, Präsident des wichtigsten Mitglieds USA, hielt das Bündnis vor allem für teuer für die USA. Sein Nachfolger Joe Biden sieht das anders – glücklicherweise. Durch Russlands Überfall auf die Ukraine lebt das Bündnis plötzlich wieder auf, weil es bedroht ist. Sicherheit und Schutz kosten. Jetzt ist klar, dass das Geld auch sinnvoll investiert ist.

Öffentlicher Nahverkehr: Ein Viertel Jahr lang konnten die Bundesbürger jeweils für neun Euro im Monat überall in Deutschland den Nahverkehr nutzen. Nicht überall waren die Züge so brechend voll wie etwa zwischen Berlin und der Ostsee, Hamburg und Sylt oder München und den Bergen. Aber immerhin 41 Prozent der Deutschen gaben in einer repräsentativen Umfrage des Technologie-Branchenverbands Bitkom an, sie hätten ihr Verhalten wegen des Tickets verändert. Das Statistische Bundesamt kam nach einer Analyse von anonymisierten Mobilfunkdaten auf 42 Prozent mehr Fahrten über mehr als 30 Kilometer. Und was noch viel wichtiger ist: Der Erfolg, 52 Millionen Tickets wurden insgesamt verkauft, zwingt Deutschlands Verkehrspolitiker, endlich die Kleinstaaterei zu überwinden und deutlich einfachere, übergeordnete Angebote zu entwickeln. Sogar über bessere und kundenorientiertere Angebote wird ernsthaft geredet. Der Bitkom-Studie zufolge überdachten 41 Prozent der Deutschen ihr Fahrverhalten wegen der hohen Spritpreise.

Porsche: Dass auch in einem schwierigen Umfeld ein spektakulärer Börsengang möglich ist, zeigt Porsche. Der Stuttgarter Autobauer gehört zum VW-Universum, das wiederum mehrheitlich vom Porsche-Familienclan gesteuert wird. Neue Aktionäre können also kaum Einfluss nehmen. Gleichzeitig sinken die Aktienkurse an den Börsen weltweit, weil Geld wegen steigender Zinsen teurer und damit knapper ist und viele Menschen wegen der Inflation auch mehr für das tägliche Leben ausgeben müssen. Dennoch vertrauen offenbar viele Anleger auf den Nimbus von Porsche. Der Autohersteller, jetzt als Dr. Ing. H. C. F. Porsche an der Börse, gehört zu den profitabelsten der Welt, die Marke ist bekannt und seit Jahrzehnten weltweit beliebt – trotz oder gerade wegen der sehr hohen Preise. Eine Investition, so die Idee, lohnt sich da immer. Der Börsengang brachte VW Ende September 9,1 Milliarden Euro, Anleger der ersten Stunde können sich über sechs bis sieben Prozent Kursgewinn freuen.

Rüstungshersteller: In den vergangenen Jahren zählten sie eher zu den Firmen, die im Hintergrund tätig waren: deutsche Rüstungshersteller. Der Branche hing ein Ruf von anstößigen an. Ganz abgesehen davon, dass die Produkte für das Töten von Menschen hergestellt wurden. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist allerdings klar, dass Frieden in Europa auch tatsächlich geschützt werden muss. Die Bundeswehr lieferte lange Jahre eher wegen Ausrüstungsmängeln und Fehlverhalten Nachrichten. Oder sie wurde als günstiger Personalpool genutzt: in der Hochphase von Corona und für Hilfe in Überschwemmungsgebieten. Jetzt also wird die vernachlässigte Truppe mit 100 Milliarden Euro aufgemöbelt. Und davon profitieren Unternehmen wie Airbus (Flugzeuge, Hubschrauber), Rheinmetall (Panzer), ThyssenKrupp (U-Boote, Fregatten), Krauss-Maffei Wegmann (Panzer) und Diehl (Lenkwaffen). Die Branche setzte in Deutschland 2020 mit 55.500 Mitarbeitern 11,2 Milliarden Euro um. Es dürfte deutlich mehr werden.

Uhren: „Luxus geht immer“, heißt eine Weisheit. Möglicherweise hat sich die Industrie der hochpreisigen Koffer, opulenten Kleider und ausufernden Yachten den Slogan selbst ausgedachten. Der Aktienkurs des französischen Konzerns LVMH (Louis Vuitton, Rimowa, Moët & Chandon, Marc Jacobs) hat sich binnen zwei Jahren von gut 80 auf um die 125 Euro erhöht. Und Luxusuhren sind offenbar auch gefragt, nicht nur als Sammlerstück, sondern als Wertanlage. Denn besondere Uhren sind nur begrenzt verfügbar, die Marktpreise höher als der ursprünglich angesetzte Verkaufspreis. Der Verband der Schweizer Uhrenindustrie, immer noch das Maß der Dinge, berichtet für das erste Halbjahr 2022 von einem Exportplus von 8,1 Prozent. Der Onlinehändler Chronos meldet gar ein Preisplus bei Luxusuhren von mehr als 70 Prozent seit 2020. Was genau einen Luxusuhr ist, ist nicht festgelegt. Grob lässt sich ein Preis ab 3000 Euro annehmen. Für viele sollte er deutlich fünfstellig sein. Ob es fünf vor zwölf ist, zeigt solch eine Uhr unabhängig vom Preis.

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