• Was tun, wenn die Fabriken weniger Leuten Arbeit geben?

Global, aber sozial

Politik nach Trump: Mehr für die ökonomisch Bedrohten tun

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Von Hannes Koch

22. Nov. 2016 –

Aus ökologischer Sicht mag es sinnvoll sein, möglichst schnell die Braunkohle-Tagebaue zu schließen und die dreckigen Kraftwerke abzuschalten. Klimapolitisch ist es richtig, 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen. Was aber sagen dazu die zehntausend Arbeiter in Brandenburg, deren Jobs die Klimapolitik bedroht? Wie finden es hunderttausende Beschäftigte der deutschen Autoindustrie, dass sie bald keine Motoren und Getriebe mehr herstellen können und dadurch überflüssig werden?

Nach dem Wahlsieg Donald Trumps in den USA muss man solche Fragen dringlicher stellen – und vielleicht anders beantworten als bisher. Vor allem aber steht nun das Geschäftsmodell, auf dem die deutsche Wirtschaft beruht, ganz grundsätzlich in Frage. Die oft rücksichtslose Politik der offenen Märkte, die seit den 1980er Jahren dominiert, darf so nicht weitergehen.

Denn unerwartet viele Menschen in den Industrieregionen des amerikanischen Nordostens haben für Trump gestimmt. Um deren möglicherweise rassistische, nationalistische, patriarchale und klerikale Haltung geht es hier nicht, sondern um ihre sozialen und ökonomischen Motive. Viele von ihnen sind wirtschaftlich bedroht. Vielleicht haben sie ihre industriellen Arbeitsplätze durch die Finanzkrise verloren. Vielleicht sind ihre Arbeitgeber wegen des Freihandelsabkommens Nafta nach Mexiko gezogen. Haben sie weiterhin Arbeit, ist wahrscheinlich ihr Lohn in den vergangenen Jahrzehnten kaum gestiegen. Sie fühlen sich abgehängt.

So hieß ein Buch, das die Journalisten Nadja Klinger und Jens König 2006 veröffentlichten. „Einfach abgehängt. Ein wahrer Bericht über die neue Armut in Deutschland.“ Darin ging es um die Folgen der Hartz-Reformen. Klinger und König portraitierten Menschen, die die rot-grüne Politik Gerhard Schröders und Joschka Fischers aus der Bahn geworfen hatte. Allerdings hielt der neue, rüde Liberalismus seinen Einzug schon früher - in den USA mit Präsident Ronald Reagan, in Großbritannien mit Premierministerin Margret Thatcher, hierzulande unter der Kanzlerschaft Helmut Kohls ab 1981.

Die Politik der offenen Märkte bedeutet für viele Menschen weniger ökonomische und soziale Sicherheit. Seit 2005 zahlen die Jobcenter hierzulande nur noch ein Jahr Arbeitslosengeld. Im Gegensatz zu früher rutscht man danach sofort auf das Niveau des Existenzminimums. Der ehemalige SPD-Vorsitzende und Bundesarbeitsminister Franz Müntefering prägte den Begriff „Heuschrecken“ als Bezeichnung für Investmentfonds, die Unternehmen systematisch kaufen, ausschlachten und schließen – auch das ein neues Phänomen der vergangenen 20 Jahre. Während die verfügbaren Einkommen der arbeitenden Schichten lange Zeit stagnierten, wuchsen die Boni der Investmentbanker und die Vermögen der Elite weiter, und zwar schneller als in der Vergangenheit. Das Ergebnis ist die zunehmende soziale Polarisierung.

Globalisierung bedeutet auch, dass die Smartphones nicht in den USA und Europa gefertigt werden, sondern in China. Die Textilien kommen aus Bangladesch und anderen Entwicklungsländern. Im Weltmaßstab bringen diese Entwicklungen zwar hunderten Millionen Menschen Anschluss an den Wohlstand des Nordens. Hier aber fehlt der Politik der offenen Märkte die soziale Balance. Viele Deutsche, Österreicher, Niederländer, Franzosen und US-Bürger fühlen sich von der Ökonomie überrollt. Dass sie rechte Parteien wählen, kann man als Reaktionen auf einen empfundenen Kontrollverlust interpretieren.

Und dann kommen noch die Grünen und die Bundesumweltministerin der SPD, die die Produktion von Benzin- und Dieselfahrzeugen in Deutschland stoppen wollen. Schätzungsweise erleben auch das hunderttausende Fabrikarbeiter bei Mercedes, BMW, Audi und VW als potenzielle Bedrohung ihrer sozialen Position. Politik gegen den Klimawandel ist zweifellos richtig. Aber vielleicht sollte man sie etwas behutsamer betreiben. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat manchmal Recht, wenn er den Ökologen dazwischengrätscht.

Der Überschwang der Klimapolitik ist jedoch nur eine Nebenerscheinung, die in die gleiche Richtung wirkt, wie die Strategie der offenen Märkte. Ein Alternativprogramm könnte so aussehen: Die neue Bundesregierung beschließt Ende 2017, jedem Hartz-IV-Empfänger 100 Euro pro Monat mehr zu überweisen. Ohnehin rechnen die Wohlfahrtsverbände vor, dass der derzeitige Regelsatz von 404 Euro plus Wohnungskosten nicht das Existenzminimum deckt. Die Erhöhung wäre ein deutliches Signal der Regierung, dass ihr die Situation der ärmeren Hälfte der Bevölkerung nicht egal ist. Das würde rund sieben Milliarden Euro pro Jahr kosten.

Auch Europa braucht dringend eine Imageverbesserung. Dafür könnte die Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung sorgen. Ein Prozent der deutschen Bruttolöhne sollten in EU-Kassen fließen, um das Einkommen der Erwerbslosen in Griechenland, Spanien und Portugal aufzubessern. Das würde etwa 13 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Die Bundesregierung könnte dieses Geld in einen gemeinsamen EU-Topf zahlen – aus dem in Notsituationen auch deutsche Arbeitslose einen Zuschuss erhielten. Millionen Menschen würden bemerken: Europa tut etwas für mich.

Finanzieren ließe sich dieses Programm durch eine Steuererhöhung für die reichsten zehn Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung. Höhere Sätze der Einkommenssteuer für Großverdiener und eine schärfere Erbschaftssteuer für große Vermögen müssten auf jeden Fall zum Instrumentenmix dazugehören. Unter dem Strich sollten die Reichsten ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr mehr an den Staat abführen. Die öffentlichen Einnahmen stiegen damit um etwa 30 Milliarden Euro. Dieses Programm gegen das Gefühl des Abgehängtseins könnte am ehesten eine rot-rot-grüne Bundesregierung umsetzen.

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