Haben, Sein und Beten

Wir retten die Welt

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Von Hannes Koch

19. Feb. 2016 –

In dem Flüchtlingswohnheim, in dem ich einmal pro Woche Deutschunterricht zu geben versuche, hängt an der Klassentüre eine Liste mit wichtigen Wörtern – der sprachliche Erste-Hilfe-Kasten. An erster Stelle: Mein Name ist..., ich komme aus.... Nummer zwei: das Verb „beten“. Weiter unten: Ich habe Halsweh. Wo ist der U-Bahnhof?

 

Das Beten gibt mir zu denken. Soll ich meinen Lehrplan ändern und die Konjungation der Verben beginnen mit: Ich bete, du betest, er betet, wir beten? Normalerweise fange ich an mit: Ich habe, du hast, sie hat - eine Wohnung, eine Arbeit, ein Auto. Meine intuitive Auswahl des ersten zu lernenden Verbs könnte auf einen fundamentalen kulturellen Unterschied hindeuten. Hier: Haben oder Sein. Dort: Haben oder Beten?

 

Nach den Attacken von Köln in der Silvesternacht 2015 habe ich überlegt, ob ich jedem meiner Schüler eine knappe Gebrauchsanweisung für Deutschland auf den Tisch lege. Inhalt: Hier genießt jeder Mensch den gleichen Respekt. Jeder Bürger hat die genau gleichen Rechte. Wer dagegen verstößt, wird bestraft. Man darf Gott kritisieren. Mehr Grundsätze aufzustellen, bedarf es eigentlich nicht. Was meinen Deutschunterricht betrifft: Ich beschließe, bei „haben“ zu bleiben.

 

Denn um was geht es bei uns? Beten tun die Leute hier zwar auch, sie machen aber kein Aufhebens davon. Haben, besitzen, kaufen sind Tätigkeiten mit viel größerer gesellschaftlicher Bedeutung. Ich will das nicht rechtfertigen, sondern beschreiben. Deshalb sollten diese Verben oben auf der Liste stehen. Es handelt sich um Kernbegriffe der Marktwirtschaft, in die sich die Flüchtlinge integrieren sollen, wenn sie hier bleiben wollen.

 

In meinem Flüchtlingswohnheim lässt sich übrigens beobachten, wie ökonomisches Ankommen funktioniert. Den Sicherheitsdienst stellen dunkel gekleidete, stämmige, etwas maulfaule, trotzdem höfliche Muskelmänner, die nicht nur deutsch, sondern auch bestens arabisch sprechen. Ihre Eltern kamen vor Jahrzehnten aus Beirut. Die Putzkolonne besteht aus Afrikanern, die in Ghana, Senegal oder Burkina Faso aufgewachsen sind. Und bald sollen die ersten Flüchtlinge aus dem Haus als Bufdis („Bundesfreiwilligendienst“) angestellt werden. Sie bekommen zwar nur ein Taschengeld auf Hartz IV-Niveau, haben dann aber ihren ersten bezahlten Job in Deutschland. Sehr gute Idee von Arbeitsministerin Andrea Nahles.

 

Vom Chef der Einrichtung abgesehen, sind wir Deutschen hier im Haus die Ehrenamtlichen. Wir verdienen kein Geld, kümmern uns um die Kleiderkammer, den Sprachunterricht, die Essensausgabe. Es besteht der Konsens, dass unsere Arbeit nicht entlohnt zu werden braucht, schließlich leben wir ja von irgendwas. Von was? Das frage ich mich tatsächlich, wenn ich mir einige meiner Freiwilligen-Kollegen ansehe.

 

Dabei fällt mir eine alte Idee wieder ein: bedingungsloses Grundeinkommen. Die Flüchtlinge könnten arbeiten, Lohn verdienen, Steuern zahlen. Aus diesen Einnahmen erhalten wir Deutschen, die wir nach 200 Jahren industrieller Revolution und permanter Produktivitätssteigerung ein bisschen müde sind, das staatliche Sozialeinkommen, das es uns ermöglicht, die Neuankömmlinge mit viel Zeit und Ruhe in ihre neue Umgebung einzuführen. Träum weiter, denke ich im nächsten Augenblick: So viele Einwanderer, dass das Geld dafür reicht, werden niemals kommen. Anregend ist die Vorstellung trotzdem. Zwei meiner Sprachschüler sind übrigens Journalisten aus Kairo. Vielleicht könnte einer von denen beim nächsten Mal solche Artikel hier schreiben.

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