Hoffen auf Wasserstoff
Das Projekt Desertec 3.0 könnte die Energieprobleme Europas lösen
04. Nov. 2022 –
Wie alle wirklich guten Ideen klingt sie einfach: In Nordafrika und dem Nahen Osten scheint die Sonne in großen Mengen, auch Wind ist vorhanden. Warum also nicht dort billig Strom erzeugen, damit Wasserstoff herstellen und nach Europa transportieren, wo große Mengen des Brennstoffs benötigt werden, um Erdgas und Öl abzulösen? Die Regionen mit ihren Wüsten profitieren und die Staaten der EU bringen die Energiewende hin zu Klimaneutralität zügig voran. Doch bisher steht das Desertec 3.0 genannte Konzept noch am Anfang. Und besonders mit dem Transport hapert es.
Vor allem Deutschland könnte profitieren. Die Industrie benötigt sehr viel Gas fossilen Ursprungs für sogenannte Prozesswärme, ohne die viele Produkte nicht hergestellt werden können. Wird das Gas verbrannt wird CO2 freigesetzt, das die Erderwärmung beschleunigt. Eine Alternative ist Wasserstoff. Wird er verbrannt, bleibt Wasser übrig. Der Bedarf ist riesig. Zurzeit sind es etwa 57 Terawattstunden, wie der Nationale Wasserstoffrat (NWR) der Bundesregierung ermittelt hat. Bis 2030 rechnet der Rat mit bis zu 202 Terawattstunden jährlich. 2040 könnten es sogar 738 Terawattstunden sein.
Deutschland habe nicht genug Kapazität, um diese Mengen selbst aus erneuerbaren Energien herzustellen, sagte NWR-Vorsitzende Katherina Reiche bei einem Treffen zu Desertec 3.0 in Kairo vor der UN-Klimakonferenz in Scharm el-Scheich. Reiche leitet auch den Energieversorger Westenergie, der zum Eon-Konzern gehört. Helfen könnte billiger Wasserstoff aus Nordafrika und dem Nahen Osten, weil die Regionen günstig erneuerbaren Strom aus Sonne und Wind erzeugen können.
Hinter dem Konzept Desertec 3.0 steht Dii Desert Energy mit Sitz in Dubai. Die Initiative verzeichnet inzwischen zahlreiche Projekte. Länder in Nordafrika und dem Nahen Osten bauten alle Solar- und Windenergie aus, sagte Cornelius Matthes, Chef von Dii Desert Energy. Auch Wasserstoff und Ammoniak-Produktion ist geplant. Es gebe konkrete Wasserstoffprojekte mit einer Leistung von mehr als 20 Gigawatt. In den nächsten Jahren rechnet er mit insgesamt 100 Gigawatt.
Größter Erzeuger in der sogenannten MENA-Region ist Ägypten. Allein 24 der 61 Wasserstoffprojekte in der Region werden in dem Land umgesetzt. Auch in Marokko und dem Oman wird an Wasserstofffabriken gearbeitet. Ägypten baut Matthes zufolge auch den größten Wasserstoff-Verladehafen in der Suez-Freihandelszone.
Viele der Projekte sind allerdings erst im Bau, schnelle Lieferung grünen Wasserstoffs ist nicht zu erwarten, zumal Möglichkeiten fehlen, den Wasserstoff in großen Mengen zu transportieren. Am günstigsten wären Pipelines. NWR-Vorsitzende Reiche sagte, bestehende Gaspipelines von Algerien und Marokko nach Spanien sowie von Algerien über Tunesien nach Italien könnten umgebaut werden. Nötig sei aber auch eine neue Pipeline von Ägypten nach Griechenland und weiter nach Italien.
Dii-Chef Matthes nannte eine Planungs- und Bauzeit von drei bis fünf Jahren. Dazu müsste allerdings klar sein, wer die neue Pipeline finanziert. Das gleiche gilt für den Umbau bestehender Anlagen. Zudem sind Algerien und Marokko gerade nicht gut aufeinander zu sprechen. In Deutschland ließen sich 85 Prozent der bestehenden Pipelines so umbauen, dass statt Erdgas Wasserstoff transportiert werden könnte, sagte NWR-Chefin Reiche. Bisher fehlen auch Pläne für große Verladeterminals an Häfen.
Bis günstiger grüner Wasserstoff in großen Mengen von Nordafrika oder gar Saudi-Arabien aus nach Europa und Deutschland strömt dauert es also noch. Allerdings kennt sich Dii mit solchen Situationen aus. Alles begann 2009, als die Initiative unter dem Namen Desertec in Deutschland startete. Damals war die Idee, vor allem die Sonne in den nordafrikanischen Wüstenregionen zu nutzen, um im großen Stil günstig Strom zu erzeugen und per Kabel Europa und vor allem der deutschen Industrie zur Verfügung zu stellen. Richtig voran kam das Projekt nicht, trotz illustrer Partner wie Deutsche Bank, Eon, RWE und Siemens sowie Acwa Power aus Saudi-Arabien und der staatlichen chinesischen Netzgesellschaft State Grid Corporation.
Desertec 2.0 konzentrierte sich dann darauf, in Nordafrika und dem Nahen Osten Wind- und Solaranlagen zu unterstützen, Dii zog von München nach Dubai in die Vereinigten Arabischen Emirate. Anteilseigner sind heute Acwa Power und State Grid Corporation, der deutsche Stahlkonzern ThyssenKrupp will sich beteiligen. Dazu kommen inzwischen 93 Partner – vom staatlichen französischen Energiekonzern EDF über den Gasehersteller Linde, Siemens und den staatlichen saudischen Ölkonzern Aramco bis zum Windanlagenbauer Vestas aus Dänemark plus Unternehmen aus Nordafrika.
Auch Neom ist Partner von Dii. In die Planstadt im Nordwesten Saudi-Arabien will der staatliche Investitionsfonds bis zu 500 Milliarden Dollar stecken. Unter anderem soll in Technologien investiert werden, die Saudi-Arabien unabhängiger vom Öl machen. Acwa Power baut hier gerade eine Wasserstofffabrik, die 2026 täglich so viel produzieren soll, wie 20.000 Linienbusse verbrauchen können. Weitere ähnlich große Fabriken sind in Ägypten und im Oman geplant. „Wasserstoff könne das neue Öl und Gas werden“, sagte Dii-Chef Matthes. Möglicherweise begibt sich Europa dann in eine neue Abhängigkeit, was keine gute Idee wäre.