Jagd nach umwälzenden Ideen

Sprind sucht nach Sprunginnovationen. Sie sollen Deutschland wirtschaftlich vorn halten

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Von Björn Hartmann

30. Dez. 2022 –

So richtig elektrisierend sieht die „Heimat für radikale Neudenker:innen“ hier in Leipzigs Nordosten nicht aus. Ehemaliges Güterbahngelände, Fläche mit sehr viel Potenzial würde es bei Maklern heißen. Zoobedarf, Baumarkt, um die Ecke der beste Leipziger Technoklub. Und doch: Hier sitzt seit 2019 eine deutsche Behörde, die Bundesagentur für Sprunginnovation. Sie soll die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands mitgestalten.

Warum braucht die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt so etwas? Und was ist eine Sprunginnovation? „Eine Sprunginnovation verändert die Welt. Und um diese Innovation herum entstehen weitere Innovationen, neue Industrien“, sagt Rafael Laguna de la Vera. Der 56-Jährige ist Chef der Agentur, ist Mehrfachgründer, Tech-Unternehmer, Risikokapitalgeber. Und treibender Kopf hinter Sprind, die im Auftrag von Bildungs- und Wirtschaftsministerium solche Innovationen finden soll.

„Wenn eine Idee nicht ein bisschen irre ist, ist sie nicht innovativ. Bei Sprunginnovationen gilt das noch ein bisschen mehr.“ Und: Ihre volle Wucht ist erst hinterher klar. Oder, wie es Laguna sagt: „Solche Ideen klingen von vornherein schon etwas verrückt. Wenn sie dann in die Welt kommen, wirken sie völlig normal.“ Ein typisches Beispiel: „Wenn jemand vor 30 Jahren gesagt hätte: ,Wir haben das Weltwissen in einem Gerät in der Hand abrufbereit‘, wäre die Person auch schief angesehen worden.“ Heute sucht fast jeder schnell auf dem Smartphone, um die Höhe des Eiffelturms nachzuschlagen oder das deutsche Bruttoinlandsprodukt.

((((Laguna nennt auch noch den Laser, bei dem man anfangs auch nicht gewusst habe, wozu er verwendet werden könne. Inzwischen kommunizieren Satelliten mit dem gebündelten Licht, schneidet es Präzisionsteile für die Industrie, hilft beim 3D-Druck. Die Wucht von Sprunginnovationen verdeutlicht für Laguna auch dieses Beispiel: „Das Auto ermöglichte erst die Tourismusindustrie“ – eine Multimilliarden-Branche.))))

Die Tücke der Sprunginnovation: „Wir können nur erkennen, ob eine Idee das Potenzial für eine Sprunginnovation hat“, sagt Laguna. Deshalb geben viele Staaten sehr viel Geld aus, um die richtigen Ideen zu entdecken. Vorbild auch für Sprind ist Darpa (Defense Advanced Research Projects Agency) des US-Verteidigungsministeriums, das unter anderem entscheidend für die Entwicklung des Internets war. Und Darpa finanzierte vor Jahren das Biotech-Unternehmen Moderna, das einen innovativen Impfstoff auf mRNA-Basis entwickeln wollte. Die Technik verhalf in der Pandemie sehr schnell zu einem Corona-Impfstoff.

Ideen schwirren im Deutschland der Tüftler reichlich herum. Es müssen also nur die richtigen gefunden werden. Menschen mit innovativen Projekten können sich bewerben. Etwa 1000 Projekte haben sich die Sprind-Mitarbeiter inzwischen genauer angesehen. 40 prüften sie gemeinsam mit Experten darauf, ob sie für eine Sprunginnovation taugen. Sechs fördert die Behörde inzwischen mit vier bis 15 Millionen Euro pro Jahr.

Außerdem schreibt die Behörde Innovationswettbewerbe zu bestimmten Themen aus. Vier solcher Sprind-Challenges gab es bisher, etwa dazu, wie sich CO2 aus der Luft entziehen und für Produkte nutzen lässt oder Energie langfristig gespeichert werden kann bei gleichzeitig sehr geringen Kosten. Von den jeweils rund 50 Vorschlägen wählt eine Expertenjury die vielversprechenden aus. Sie werden dann ein Jahr lang mit einer halben bis einer Million Euro finanziert. Danach wird bewertet, gesiebt und gegebenenfalls weitergefördert.

2022 hatte die Behörde etwa 80 Millionen Euro Etat, 2023 sollen es 175 Millionen Euro sein. Bei der Gründung hatte die Bundesregierung sich auf eine Milliarde Euro für zehn Jahre festgelegt. Das Geld fließt nicht einfach so: „Wir müssen um jeden Haushalt kämpfen“, sagt Laguna. Was vielleicht auch am Konzept liegt. „Wir sind keine typische Behörde, sondern ein Start-up, das projektbezogen mit den klügsten Köpfen des Landes arbeiten kann.“ Auf 200 bis 300 Experten aus Politik und Forschung kann Sprind zurückgreifen.

Neuartige effiziente Computerarchitektur, kognitive Datenbank der Zukunft, Revolution des Gesundheitswesens mit Nanogami – klingt alles noch nicht verrückt genug? Vielleicht das hier: die Holodeck-Brille nach einem technischen Gimmick der Star-Trek-Serie. Dort werden in einem Raum virtuelle Welten simuliert, in denen man sich normal bewegen kann. Sprind ist dran. „Die Holodeck-Brille soll einer normalen Brille ähneln, ins volle Sichtfeld sollen virtuelle Elemente eingeblendet werden“, sagt Sprind-Chef Laguna.

Die Brille ist für ihn ein gutes Beispiel wie die Behörde hilft, „sehr gute Forschung aus der Grundlagenforschung heraus auf die Straße zu bringen. Wir geben Geld und schieben an mit dem Ziel, dass neue Technologien im Rahmen einer profitabel arbeitenden Firma allein bestehen können.“ Die Idee zur Holodeck-Brille stamme von Mitarbeitern des Fraunhofer-Instituts für optische Systeme in Karlsruhe, denen allerdings das Geld fehlte. „Hier müssen wir alles selbst entwickeln: Brille, Projektor, Mikrospiegel, leichter, effizienter Rechner mit viel Leistung.“

Laguna ist zwar experimentierfreudig, doch: „Nicht jede Idee, die wir finanzieren, wird ein Erfolg werden. Wir werden auch Projekte haben, die scheitern.“ Grundsätzlich ist er aber optimistisch. „Die Menschheit hat in den vergangenen 200 Jahren immer Probleme gelöst. Wir leben heute gesünder, länger, besser. Es gab immer Fortschritt dank Wissenschaft und Technik. Das wird auch weiter so sein.“ Und Deutschland will da in Zukunft noch stärker mitverdienen.

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