Jede Region hat ihre Begabung

25 Jahre Mauerfall – was haben wir gelernt? Teil 1: Wie Städte und Regionen sich neu erfinden

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Von Hannes Koch

01. Sep. 2014 –

Bis vor wenigen Jahren war Glaucha, ein Stadtteil von Halle an der Saale, ein trister Ort. Viele der Wohnhäuser standen leer und verfielen. Die Eigentümer interessierten sich nicht für ihre Immobilien, weil keine Mieter zu finden waren. Das hat sich geändert. Heute ist Glaucha ein begehrter Wohnort, junge Leute, aber auch Familien mit gutem Einkommen ziehen hin. Zahlreiche der im 19. Jahrhundert errichteten Gebäude sind renoviert. Ein Teil des Erfolgsgeheimnisses besteht darin, dass es der Hallenser Stadtverwaltung gelungen ist, die Anwohner an der Planung teilhaben zu lassen.

 

In diesem Herbst ist es 25 Jahre her, dass die Mauer zwischen der DDR und der BRD fiel. Am Anfang klappte es nicht mit den blühenden Landschaften, die Kanzler Helmut Kohl versprochen hatte. Jetzt jedoch, fast eine Generation später, sieht vieles viel besser aus. Wie ist es ostdeutschen Städten und Regionen geglückt, eine positive Entwicklung in Gang zu setzen?

 

Stadtplaner Steffen Fliegner aus Halle erklärt, dass die Stadtverwaltung, nachdem alles nichts geholfen hatte, ein neues Konzept ausprobierte. „Für Glaucha haben wir einen sogenannten Eigentümermoderater beauftragt, der Besitzern von Wohnhäusern in schlechtem Zustand Beratung und öffentliche Mittel zur baulichen Sicherung anbot.“ Der Moderator war ein externer Fachmann für Sanierung. Er konnte den Hausbesitzern erklären, wie der Verfall mit vertretbarem Aufwand zu stoppen war. „Dadurch gelang es, bei vielen Eigentümern neues Interesse für ihre Immobilien zu wecken“, sagt Fliegner. Auch ökonomischer Erfolg stellte sich ein: Plötzlich waren Wohnungen im Stadtteil wieder vermietbar.

 

Ein zweiter Faktor kam hinzu. Junge Leute, die dem Niedergang nicht mehr zusehen wollten, begannen Konzerte und Ausstellungen zu organisieren. Ein Grundstücksbesitzer stellte ihnen seine Brache zur Verfügung, auf der früher mal ein Wohnhaus gestanden hatte. Dann räumte die Initiative auf, buddelte und pflanzte – so entstand eine Grünfläche für die gemeinsame Nutzung durch die Anwohner. Auch damit wurde Glaucha wieder ein wenig lebenswerter. Stadtplaner Fliegner: „Die Veranstaltungen des Vereins Postkult mit Unterstützung der Stadt und die beispielhafte Nutzung des Stadtgartens spielten eine wesentliche Rolle dafür, die Dynamik in Glaucha ins Positive zu wenden.“

 

Nicht nur in Halle kam man auf solche Ideen. „Die Verwaltungen von Görlitz und Leipzig fanden ebenfalls Wege ihre Bürger intensiver in die Stadtentwicklung einzubeziehen“, sagt Ricarda Pätzold vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) in Berlin. Die Stadt an der Neiße wurde beispielsweise durch die Aktion „Probewohnen“ bekannt. Bewohner von Görlitz, aber auch Bürger aus anderen Gegenden des Landes, konnten Wohnungen in der Innenstadt für eine Woche mietfrei ausprobieren. Der Sinn: Görlitz wollte zusätzliche Leute in die Jugendstilviertel im Zentrum locken – schließlich mit einem gewissen Erfolg.

 

Leipzig machte mit sogenannten Gestaltungsvereinbarungen gute Erfahrungen. Dabei können Grundstücksbesitzer ungenutzte Flächen vertraglich abgesichert an Zwischennutzer übertragen. Erstere müssen beispielsweise keine Grundsteuer zahlen, Letztere dürfen vorübergehend ihre Projekte verwirklichen – Vereinbarungen zum beiderseitigen Nutzen, von denen die ganze Stadt profitiert. Leipzigs Ruf, ein attraktiver und kreativer Ort zu sein, hat wohl auch mit solchen Experimenten von oben zu tun. „Eine wichtige Voraussetzung für Erfolge in der Stadtentwicklung ist, dass die jeweilige Verwaltung die Interessen der Bürger ernstnimmt und offen ist für neue Ideen“, so Pätzold.

 

Wenn zusätzliche Bürger in eine Stadt ziehen, existiert eine wichtige Voraussetzung für Aufschwung: Dann nimmt die Nachfrage zu, Geschäfte und Firmen können neue Stellen einrichten, die Steuereinnahmen wachsen. Hinzukommen sollte aber auch eine Wirtschaftspolitik, die die „regionalen Begabungen“ berücksichtigt, sagt Difu-Mitarbeiterin Pätzold.

 

Was ist das? Viele Städte und Regionen haben über die Jahrhunderte ökonomische Spezialisierungen entwickelt. So spielten in Sachsen Textilfertigung und Maschinenbau eine große Rolle, im Ruhrgebiet Kohleförderung und Metallerzeugung. An solche Traditionen anzuknüpfen und sie zu modernisieren, ist Dresden mit der Elektronikindustrie geglückt, Chemnitz mit dem Maschinenbau und Jena in der Fertigung optischer Geräte.

 

Aber es gibt auch Beispiele in Ostdeutschland, wo derartige Versuche scheiterten. Frankfurt/ Oder gehört dazu. In der Nachfolge des DDR-Halbleiterwerks wollte man dort mit Hilfe ausländischer Investitionen eine Fabrik für Computerchips aufbauen. Möglicherweise war das Projekt auch deshalb erfolglos, weil „die Netzwerke der Elektronikfertigung aus Großindustrie, Mittelstand und Forschung dort weniger gut aufgestellt“ waren als etwa in Dresden, sagt Martin Rosenfeld, Stadtökonom des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. Monostrukturen, die ihrer Umgebung fremd bleiben, bringen eher neue Probleme als den Aufschwung.

 

Kasten

Die Serie: 25 Jahre Mauerfall

Im November werden 25 Jahre seit dem Fall der Mauer vergangen sein. Im Osten ist kräftig saniert worden. Was kann die Republik aus dem Umbau lernen - für das Leben in der Stadt, für die medizinische Versorgung, für die Ansiedlung von Industrie, für die Landwirtschaft oder für den Solidarpakt? Und: Wie geht es weiter? Die Serie in 6 Teilen – heute: Wie Städte sich neu erfinden.

 

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