Jedes sechste Kind in Deutschland von Armut bedroht

Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Kinderarmut

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Von Wolfgang Mulke

26. Mai. 2008 –

 

 

Wie wird Armut überhaupt gemessen?

 

Es gibt verschiedene Definitionen von Armut. Die meisten Menschen verbinden mit dem Begriff die so genannte „absolute Armut“, eine Lage, in der sich jemand weder Essen noch Kleidung leisten kann. In entwickelten Gesellschaften wie Deutschland wird die „relative Armut“ gemessen. Dazu wird das mittlere Einkommen ermittelt, bei dem die eine Hälfte der Bevölkerung mehr verdient, die andere Hälfte weniger. Wer weniger als 60 Prozent dieses Median im Monat zur Verfügung hat, gilt als arm, wer auf das doppelte zurückgreifen kann als reich. Die Armutsschwelle liegt laut Sozialministerium in Deutschland bei 781 Euro. Die Berechnung ist allerdings umstritten.

 

Wie viele Kinder sind von Armut betroffen?

 

Nach Berechnungen von Unicef Deutschland sind Kinder stärker von Armut betroffen als Erwachsene. Jedes sechste Kind lebt in einer armutsgefährdeten Familie. Fast 2,4 Millionen Kinder haben finanziell einen denkbar schlechten Start ins Leben. Damit steht Deutschland im internationalen Vergleich sogar noch gut da. Nur in den skandinavischen Ländern ist der Anteil armer Kinder niedriger.

 

Welche Bevölkerungsgruppen sind besonders betroffen?

 

Am häufigsten sind die Kinder von Alleinerziehenden von finanzieller Existenznot betroffen. Bis zu 40 Prozent der Familien mit nur einem Elternteil geraten in solch eine Notlage. Bei intakten Familien mit beiden Elternteilen steigt das Armutsrisiko mit der Zahl der Kinder. Die dritte Risikogruppe sind Bürger mit ausländischer Herkunft. Ihr Armutsrisiko ist etwa doppelt so hoch wie das der Deutschen.

 

Was sind die wichtigsten Gründe für die Kinderarmut?

 

Es gibt eine Reihe von Gründen für die seit Jahren wachsende Kinderarmut. So verschlechterte sich von Mitte der 90er Jahre bis 2005 die Lage am Arbeitsmarkt. Immer mehr Haushalte rutschten ins Arbeitslosengeld II und damit an den Rand der Armut. Auch die zunehmende Zahl der Teilzeitbeschäftigten hat in diesen Familien oft niedrige Einkommen zur Folge. Besonders fatal ist die Situation für viele Alleinerziehende. Sie können oft keine Vollzeittätigkeit annehmen, weil sie die Kinder versorgen müssen. Die Zahl der Alleinlebenden nimmt seit langem deutlich zu. In den östlichen Berliner Bezirken lag der Anteil nach der Wende bei gut einem Drittel. Heute erzieht mehr als jede zweite Mutter ihr Kind allein. Selbst vor dem familienorientierten Baden-Württemberg macht dieser Trend nicht halt. Dort stieg der Anteil der Alleinerziehenden von 15 auf 20 Prozent an. Die Experten sehen insgesamt ein Armutsgefälle in Deutschland. Es teilt das Land aber weniger in Ost und West als vielmehr in Stadt und Land. In den Großstädten ist die Armut viel weiter verbreitet als in den ländlichen Regionen.

 

Wie kann das Problem gelöst werden?

 

Unicef fordert eine weit über finanzielle Hilfen hinausgehende Unterstützung zur Verbesserung der Lage der Kinder in Deutschland. „Genauso wichtig ist es, Eigenaktivität, Verantwortungsfähigkeit und Konfliktfähigkeit von klein auf zu fördern“, sagt Unicef-Chef Jürgen Heraeus. So sollen die Kinder später im Leben mithalten und der Armut entfliehen können. Familienministerin Ursula von der Leyen sieht zwei Ansatzpunkte für den Kampf gegen die Armut. Sie will einerseits die Betreuungsmöglichkeiten für Kinder ausbauen, damit deren Eltern Beruf und Familie besser vereinbaren und dadurch mehr verdienen können. Und sie will mit direkten finanziellen Hilfen des Staates die Lage der Großfamilien verbessern. Ab dem dritten Kind soll es mehr Kindergeld geben.

 

Was will die Familienministerin unternehmen?

 

Von der Leyen will zunächst einen Bericht zum Existenzminimum abwarten, den das Finanzministerium im Herbst vorlegen wird. Dann will die CDU-Ministerin sich für ein gestaffeltes Kindergeld einsetzen. Die letzten Erhöhungen des Kindergeldes liegen schon eine Weile zurück. Vor sechs Jahren wurden die Beträge für das erste und zweite Kind angepasst, das Kindergeld für das dritte, vierte oder fünfte Kind stagniert seit 1996.

 

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