Käse aus dem Bioreaktor

Tierische Produkte könnten ohne Tiere hergestellt werden

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Von Björn Hartmann

06. Okt. 2022 –

Fischstäbchen aus der Petri-Schale, Burger aus dem Brutkasten, Käse aus dem Bioreaktor: Zahlreiche junge Firmen arbeiten an Lebensmitteln von Morgen. Das T-Bone-Steak wird es so schnell nicht aus der Retorte geben – dafür sind die technischen Herausforderungen groß. Und auch sonst sind weltweit erst zwei Produkte auf dem Markt. Aber die Branche hat Großes vor. Ein Nebeneffekt: weniger Treibhausgasemissionen.

Um Fleisch anzubieten, müssen heute Tiere gehalten und geschlachtet werden. Die Tierhaltung gehört zu den größten Quellen für Treibhausgase, der Anteil ist mit 14,5 Prozent etwa so hoch wie der des Verkehrs. Er ließe sich je nach Studie zum Thema um bis zu 90 Prozent senken – ein sehr optimistischer Wert. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung, in aufstrebenden Staaten steigt der Hunger auf Fleisch. Die Menschen müssten verzichten, doch das ist schwer durchzusetzen.

Die smarte Lösung vieler neuer gegründeter Firmen: Käse aus Fermentationsprodukten, Fleisch und Fisch aus dem Labor. Sprunginnovation nennt es Nick Lin-Hi, Professor für Wirtschaft und Ethik der Universität Vechta und Spezialist für „kultivierte tierische Proteine“. Die Kunden bekommen, was sie wollen, die Quelle ist nur anders. Letztlich, sagt Lin-Hi, entscheide sich der Kunde trotz aller guten Absichten vor allem nach dem Preis. Und das werde sich auch nicht ändern. Langfristig erfolgreich können die neuen Produkte deshalb nur sein, wenn sie höchstens genauso viel kosten wie die klassischen Angebote. Im Idealfall sind sie sogar günstiger.

Die Firmen geben sich selbstsicher und optimistisch. Formo aus Berlin etwa. Das Unternehmen arbeitet mit Präzisionsfermentation und stellt Käse aus dem Bioreaktor her. Dabei werden zum Beispiel Hefen so verändert, dass sie während der Fermentation Kasein bilden, den tierischen Grundstoff für Käse. Das Ergebnis ist ein weißes Pulver, wie Christian Poppe von Formo sagt. Zusammen mit Fett und Wasser reift daraus ein Käse heran, der sich nicht von Käse aus Milch unterscheidet. Das Ziel: „Wir wollen bis 2030 zehn Prozent Anteil am europäischen Markt für Milchprodukte“, sagt Poppe.

Bluu aus Berlin züchten Fisch im Labor, oder Innocent Meat aus Mecklenburg-Vorpommern, die sich mit kultiviertem Fleisch beschäftigen. Dabei werden Zellen des lebenden Tiers genommen und vermehrt. Es wächst echtes Fleisch, nur muss kein Tier fürs Filet getötet werden.

Der Markt ist riesig. Für 2022 schätzt die Welternährungsorganisation FAO den Verbrauch von Fleisch auf 360,5 Millionen Tonnen. Die Beratungsfirma BCG schätzt den Markt für alternative Proteine 2035 auf 290 Milliarden Dollar. Ihr Anteil könnte dann mindestens elf Prozent des Weltmarktes für Fleisch betragen. Davon wird das meiste durch pflanzliche Produkte, etwa Burger aus Erbseneiweiß, und Fermentation ersetzt, nur ein Bruchteil wird gezüchtetes Fleisch sein. Denn was im Labor funktioniert, muss nicht zwingend im industriellen Maßstab funktionieren. Die technischen Anforderungen sind groß.

Das Geschäft an sich ist noch recht neu. 2013 stellte der Niederländer Mark Frost den ersten Burger aus kultiviertem Fleisch vor. Er kostete 250.000 Euro. Der erste Fisch konnte 2017 in den USA kultiviert werden.

Bisher sind weltweit erst zwei Produkte mit kultiviertem Fleisch für den Verkauf zugelassen: eine Art Chicken Nuggets, ein Mix aus pflanzlichen und tierischen Proteinen, sowie Hühnerbrust. Beide stammen von der US-Firma Eat Just und sind ausschließlich in Singapur zu kaufen. Der Stadtstaat ist für viele Unternehmen besonders interessant, weil er neuartigen Lebensmitteln gegenüber besonders aufgeschlossen ist. Ein Grund: Es gibt fast keine Landwirtschaft im dicht besiedelten Gebiet.

Ebenfalls vorn dabei ist Israel. Andere Länder haben das Thema auch für sich entdeckt. Die USA wollen den Zugang vereinfachen. Die ersten Produkte sollen 2023 auf den Markt kommen. China hat kultiviertes Fleisch in den Fünf-Jahrs-Plan aufgenommen. In Europa setzt Großbritannien im Rahmen der nationalen Lebensmittelstrategie auf die neuen Techniken. In der EU wird es schwierig. Neue Lebensmittel müssen ein besonderes Zulassungsverfahren durchlaufen. „Im besten Fall dauert das 18 Monate, die Realität sind eher drei Jahre“, sagt Ivo Rzegotta vom Thinktank Good Food Institute in Berlin. Deshalb setzen die Firmen auf andere Märkte. In Deutschland könnten Produkte aus kultiviertem Fleisch Experten zufolge Ende der 20er Jahre in den Regalen liegen.

Denn Laboreinrichtungen, Bioreaktoren und Spezialisten sind teuer. Geld kommt von Investoren, die nach einer gewissen Zeit auch sehen wollen, ob sich ihre Investition rechnet. Deutschland hat Rzegotta zufolge großes Potenzial: Gründer, eine starke chemische Industrie und Spezialisten im Maschinen- und Anlagenbau. Was fehlt, sind Forschung und staatliche Hilfe. „Wir haben alle Voraussetzungen ins Spitzenfeld aufzurücken, nutzen sie aber im Moment nicht.“

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