• Wirtschaftsweiser Peter Bofinger |Foto: SVR
    Wirtschaftsweiser Peter Bofinger |Foto: SVR

„Kein Bedarf, den Mindestlohn zu ändern“

Wirtschaftsweiser Peter Bofinger rät davon ab, die gegenwärtige Lohnuntergrenze für Flüchtlinge zu durchlöchern. Die Kosten der Zuwanderung seien verkraftbar.

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Von Hannes Koch

11. Nov. 2015 –

Hannes Koch: Eine Million Zuwanderer kommt dieses Jahr nach Deutschland, vielleicht eine weitere Million 2016. Kann der Sachverständigenrat eine ökonomische Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen?

 

Peter Bofinger: Nein, gegenwärtig liegen zu wenige Informationen beispielsweise über die Qualifikationen der Flüchtlinge vor. Wir haben aber versucht, die fiskalischen Kosten abzuschätzen, wobei das alles unter der großen Unsicherheit steht, ob es gelingen wird, die Migration deutlich zu reduzieren. Wenn man einmal unterstellt, dass dieses Jahr eine Million Menschen kommen und 2016 etwa 750.000, würden die zusätzlichen Ausgaben 2016 im günstigen Fall bei elf Milliarden Euro, im ungünstigen Fall bei 14 Milliarden Euro liegen.

 

Koch: Sind solche Kosten für den Staatshaushalt beherrschbar?

 

Bofinger: Diese Größenordnung wäre verkraftbar. Sie ließe sich sogar finanzieren, ohne dass der Gesamtstaat dafür zusätzliche Schulden aufnehmen müsste. Die ökonomische Lage in Deutschland ist augenblicklich ja relativ entspannt, die Wirtschaft läuft gut. Deshalb sind finanzielle Spielräume vorhanden.

 

Koch: Halten Sie angesichts der Zuwanderung Bundesfinanzminister Wolfgang Schäubles Versuch für richtig, auch im Bundeshaushalt 2016 keine neuen Schulden einzuplanen?

 

Bofinger: Unabhängig von der Flüchtlingssituation war ich noch nie ein Freund der schwarzen Null, da es dabei vor allem um Symbolpolitik geht. Man muss die Lage ja so betrachten: Der Bund kann sich zum Nulltarif verschulden, weil die Zinsen so niedrig liegen. Deshalb erscheint es ökonomisch sinnvoll, Geld zu leihen, um Investitionen beispielsweise in öffentliche Infrastruktur, Energieeffizienz von Unternehmen oder Bildung zu finanzieren. Solche Investitionen erbringen eine Rendite, die weitaus höher ist als Null. Auf dieses Potential zu verzichten, ist aus ökonomischer Sicht ein Fehler. Das gilt insbesondere auch für Investitionen in die Bildung und Qualifikation der Zuwanderer.

 

Koch: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat berechnet, dass ab etwa 2020 die Einwanderer hier mehr Wohlstand erwirtschaften als sie die Gemeinschaft kosten. Halten Sie das für realistisch?

 

Bofinger: Mit solchen Schätzungen sollte man sehr vorsichtig sein. Sicher verursachen die Flüchtlinge nicht nur Kosten, sondern sie erhöhen auch das ökonomische Potenzial unseres Landes. Deshalb muss man alles dafür tun, um ihre Berufsqualifikationen zu verbessern. Dann können viele von ihnen hier in einigen Jahren Arbeitsplätze übernehmen, die sonst unbesetzt blieben.

 

Koch: Gehen hiesige Arbeitslose möglicherweise leer aus, wenn Zuwanderer die Jobs besetzen?

 

Bofinger: Natürlich wird es zu Problemen kommen. Diese kann man aber mildern, indem die Politik mehr Geld in Bildung investiert. Dann kann es gelingen, sowohl Arbeitslose als auch Zuwanderer in bezahlte Tätigkeiten zu bringen. Wir dürfen nicht vergessen: Der Bedarf an Facharbeitern in den Unternehmen ist schon jetzt groß. Und er wird steigen.

 

Koch: Tragen Sie den Vorschlag Ihrer Kollegen mit, dass Zuwanderer während des ersten Jahres einer Tätigkeit unter dem gegenwärtigen Niveau des Mindestlohns bezahlt werden sollten?

 

Bofinger: Bisher hat der Mindestlohn keine Probleme bereitet. Ich sehe keinen Bedarf, ihn zu verändern. Heute schon können Langzeitarbeitslose während der ersten sechs Monate schlechter entlohnt werden. Das sollte auch für Flüchtlinge gelten.

 

Koch: Ist Europa ökonomisch und finanziell mittlerweile aus dem Gröbsten raus - oder täuscht dieser Eindruck, weil wir gegenwärtig nur nicht darüber reden?

 

Bofinger: Unter der Leitung von Mario Draghi hat die Europäische Zentralbank einen tollen Job gemacht. Sie hat die Zinsen für die Unternehmen gesenkt und den Euro im Vergleich zu anderen Währungen abgewertet. Dadurch sind die europäischen Produkte wettbewerbsfähiger geworden. So existiert im Euroraum nun wieder ein makroökonomischer Rahmen, der Wachstum ermöglicht. Das ist ein Grund dafür, warum die Notwendigkeit in den öffentlichen Haushalten zu sparen jetzt nicht mehr so betont wird. Beispielsweise die spanische Regierung hat erkannt, dass der Staat aus den Schulden herauswachsen kann.

 

Koch: Was muss passieren, damit Griechenland wieder auf einen grünen Zweig kommt?

 

Bofinger: Zunächst sehen wir, wie gut es war, dass Griechenland nicht aus dem Euro ausgestiegen ist. Denn nun spielt das Land ja eine zentrale Rolle in der Flüchtlingspolitik. Wäre es nicht mehr im Euro, wäre dort das Chaos ausgebrochen. Jetzt aber braucht Griechenland ein ernsthaftes Wachstumsprogramm. Man sollte beispielsweise überlegen, dort eine große Zahl von Unterkünften für Zuwanderer zu bauen. Dies würde der griechischen Wirtschaft einen Teil der Unterstützung geben, die sie dringend braucht.

 

Bio-Kasten

Peter Bofinger (61) ist einer der fünf Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung beraten. Im Sachverständigenrat für Wirtschaft sitzt er mit Unterstützung der Gewerkschaften. Bofinger vertritt eine nachfrageorientierte Politik, die eine angemessene Entwicklung der Beschäftigtenlöhne und die Bedeutung der Staatstätigkeit betont. Er lehrt und forscht als Professor für Volkswirtschaft an der Universität Würzburg.

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