Kein Kandidat in Aussicht

Die Suche nach einem Kandidaten für die Bahnführung ist kompliziert. Neben Wirtschaftskompetenz ist auch politisches Gespür gefragt.

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Von Wolfgang Mulke

01. Feb. 2017 –

Der scheidende Vorstandschef Rüdiger Grube hat seinen Platz im Bahntower noch nicht richtig verlassen, als die Diskussion über einen Nachfolgekandidaten losgeht. Doch heiße Kandidaten sind noch nicht in Sicht. Eine schnelle Besetzung des Postens erscheint wenig wahrscheinlich, weil darauf niemand vorbereitet war und die Position „sehr spezielle“ Voraussetzungen verlangt, wie es ein Bundestagsabgeordneter umschreibt. Doch was genau muss der neue Spitzenbahner können?

Zunächst einmal muss er das Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich leiten. Die Deutsche Bahn ist ein Konzern mit 40 Milliarden Euro Jahresumsatz und 300.000 Beschäftigten, von denen knapp zwei Drittel in Deutschland ihren Dienst verrichten. Dazu gehört ein Schienennetz von 36.000 Kilometern Länge, die größte Spedition Europas, eine erfolgreiche britische Bahn, Züge, Busse und Grundstücke. Millionen Fahrgäste sind im Nahverkehr auf die Leistungen des Unternehmens angewiesen, das praktisch überall in Deutschland präsent ist.

Gesucht wird aber auch jemand, der die Energie, das Durchhalte- wie Leidensvermögen für den „zweitverrücktesten Job der Republik“ mitbringt. So hat der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder den Posten des Bahnchefs einmal beschrieben. Kanzler ist natürlich noch verrückter. Diese Einordnung hat mit den Besonderheiten der Bahn zu tun. Es ist das größte noch in Staatsbesitz befindliche Unternehmen. Die Vorgaben für den neuen Chef kommen daher von Politikern, nicht von Aktionären. Die Bahn muss zugleich wirtschaftlich sein und die Mobilität der Gesellschaft in der Fläche sicherstellen. Im Arbeitsvertrag wird die politische Präsens üblicherweise auch festgeschrieben, zum Beispiel, wie oft der Bahnchef im Bundestag erscheinen muss. Zudem steht der Vorstandsvorsitzende im Rampenlicht der Öffentlichkeit und muss oft auch persönliche Kritik aushalten. „Da muss man einen Hintern in der Hose haben“, stellte ein Vorgänger Grubes einmal fest.

Die Erwartungen sind an den neuen Bahnchef sind auf allen Seiten hoch. Die Fahrgäste erwarten einen verlässlichen Service und pünktliche Züge zu akzeptablen Preisen. Der Bund will mehrere Hundert Millionen Euro jährlich als Dividende kassieren. Die Oppositionsparteien wollen eine Verlagerung von Verkehr auf die Schiene. Die Bundesregierung will vor allem Ruhe rund um den Konzern. Dabei trägt sie als Vertreter des Eigentümers Staat selbst zum gelegentlichen Chaos bei, weil es nach wie vor keine konkrete Vorgaben dafür gibt, was die Bahn eigentlich leisten soll. Stehen Gewinne im Vordergrund oder eine möglichst gute Verkehrsleistung? Soll die Bahn international vorne mitmischen oder sich auf Eisenbahnfahrten in Deutschland konzentrieren? Soll sie doch irgendwann privatisiert werden oder Staatskonzern bleiben?

Potenziellen Kandidaten für den Chefposten hat das Unternehmen vor allem Aufregung zu bieten. Das Salär des Vorstandsvorsitzenden ist im Vergleich zu anderen Großkonzernen eher überschaubar. Zu einem Festgehalt von 900.000 Euro summerien sich noch erfolgsabhängige Bonuszahlungen. Im Verlustjahr 2015 kam Grube insgesamt auf 1,4 Millionen Euro. Daimler-Chef Dieter Zetsche konnte im gleichen Jahr das Zehnfache einstreichen.

Bewerben können sich Interessenten um diesen Job nicht. Man wird gefragt. Für eine Aufgabe dieser Größenordnung und Komplexität kommen in Deutschland nach Einschätzung des Personalberaters Wolfram Tröger vom Fachverband Personalberatung nur ein paar Manager in Frage. „Die Auswahl ist nicht trivial“, sagt der Experte. Zunächst müsse der Eigentümer aber eine strategische Diskussion über die Ausrichtung des Konzerns führen. Blindbewerbungen sind auf jeden Fall zwecklos. Das letzte Wort über die Besetzung des Postens liegt am Ende bei der Bundeskanzlerin.

Ob es vor der Bundestagswahl überhaupt zu einer Neubesetzung kommt, wird in Fachkreisen schon angezweifelt. Derzeit führt Finanzvorstand Richard Lutz die Geschäfte. Hausintern wurde bislang nur der ehemalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla als Nachfolger genannt. Doch Pofallas Chancen sind durch den vorzeitigen Rückzug Grubes geschwunden, auch weil er nach Einschätzung aus Unternehmenskreisen noch nicht genügend Erfahrungen im Management gesammelt hat. Die anderen Vorstände signalisieren, dass sie nicht weiter aufsteigen wollen.

Eine Neubesetzung von Außen stößt auf ein anderes Problem. Wer geht schon gerne zu einem Konzern, der nicht weiß, wo er hin will und dessen Aufsichtsrat gerade auf schmähliche Weise einen Topmanager vertrieben hat. So befürchten Bahnkenner schon eine lange Vakanz auf der Chefposition, die sich womöglich bis nach der Bundestagswahl hinziehen könnte. Für wahrscheinlich halten es die Beobachter, dass auch ein zweiter Job neu besetzt werden muss. Aufsichtsratschef Utz Felcht wird nach dem Desaster rund um die Vertragsverlängerung von Rüdiger Grube keine Zukunft mehr im Aufsichtsrat gegeben.

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