• Bild: Reinhard Geißler

Kein Stammtisch ohne Lehman

Geschädigte der Bankenpleite kämpfen unverdrossen um eine Entschädigung

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Von Wolfgang Mulke

14. Sep. 2009 –

Der adrette Garten im Berliner Nobelquartier Schlachtensee dient als Bühne für die Generalprobe eines traurigen Stückes. Zwischen Blumenrabatten und kurz geschorenem Rasen geben zwei lebensgroße Puppen und schwarzen Anzügen, mit gefüllten Geldkoffern in der Hand, die Staffage ab. Sie stellen die Chefs der Dresdner Bank und der Citibank dar, wenn an diesem Dienstag vor den Filialen beider Institute die Premiere stattfindet. In einem Theaterstück spielen geschädigte Kleinanleger die tragische Geschichte ihrer Verluste nach, die bei allen ähnlich klingt und sich um Verluste mit Zertifikaten der US-Bank Lehman Brothers dreht. Bundesweit finden heute ähnliche Aktionen statt.

 

„Ich kämpfe bis zum Umfallen“, sagt Ingrid Otto. Die 71-jährige gehört dem Stammtisch der Lehman-Opfer in Berlin an. Einige Dutzend Betroffene, in der Regel ältere Anleger, treffen sich hier regelmäßig und wollen nicht locker lassen, bis die Banken ihren Schaden ersetzen. 10.000 Euro hat die Rentnerin mit den riskanten Papieren verloren. Dabei hatte sie beim Bankberater noch einer sicheren Geldanlage gefragt. „Es sollte für meine Beerdigung und für Notfälle angelegt werden“, erinnert sie sich. Ingrid Otto hat den Bankern vertraut, zumal sie die versprochene Verzinsung von 5,5 Prozent nicht aufhorchen ließ. Mit der Pleite der US-Bank heute vor einem Jahr waren die Zertifikate über Nacht wertlos. Das war ein nachhaltiger Schock für die Seniorin, die als Folge noch heute unter Stress und Schlaflosigkeit leidet.

 

Von solchen Symptomen erzählt auch Peter Jansen, der sich nach eigenen Angaben gemeinsam mit seiner Frau Lehman-Zertifikate für insgesamt 45.000 Euro andrehen ließ, die nun verloren sind. „Ich habe viel Lebensqualität eingebüßt“, berichtet der 74-jährige. Das Geld sollte die Altersvorsorge des ehemaligen Selbständigen sichern. Jansen steht nun zwar nicht am Rande des Ruins. Doch das schmucke Haus in Schlachtensee könnte er ohne die Einkünfte seiner Frau nicht halten. „Ich werde die Citibank schädigen, wo immer ich kann“, zürnt der Rentner dem Institut, das ihm die mittlerweile wertlosen Wertpapiere verkauft hat. Noch als der Kurs der Zertifikate im vergangenen September in den freien Fall überging, habe der Bankberater beruhigt und vom Verkauf abgeraten. Die US-Regierung werde Lehman stützen, waren sich die Citibanker demnach sicher. Das war, wie sich zeigte, eine krasse Fehleinschätzung. Immerhin ein Gutes hatte die Pleite, da sind sich die betagten Aktivisten bei selbstgebackenen Pflaumenkuchen einig. „Ohne Lehman hätte es den Stammtisch mit vielen interessanten Leuten nicht gegeben“, sagt Ingrid Otto.

 

Von Einzelfällen kann bei diesen Bankkunden nicht die Rede sein. Bundesweit wird die Zahl der Betroffenen auf rund 40.000 geschätzt. Mit dem Sturz der Großbank Lehman ging ein kaum abschätzbarer Kursverlust in ihren Depots einher. Kaum jemand wusste, was Zertifikate eigentlich sind, Schuldverschreibung der ausgebenden Bank. Kann das Institut nicht mehr zahlen, ist das angelegte Geld futsch. In einigen Kulanzfällen haben Banken und Sparkassen insbesondere unbedarften Kunden den Schaden ersetzt. Doch die Mehrzahl der Geschädigten ging bislang leer aus. Mitunter werden die Opfer zum zweiten Mal ausgenommen. Dubiose Anwälte versprechen Hilfe und kassieren dafür zunächst einmal happige Gebühren.

 

Klagen vor Gericht sind für die Geschädigten unwägbar. Einheitliche Urteile gibt es nicht und ein Spruch der höchsten Instanz steht wohl noch lange aus. Die Beweisführung ist schwierig. Der Kunde muss der Bank eine falsche Beratung nachweisen. Kaum ein Anleger habe vor Gericht eine Chance, beobachtet der Fachanwalt für Kapitalmarktrecht, Peter Mattil. Dabei drängt sich im Falle der Citibank der Verdacht auf, das Institut habe ihre Kunden bewusst ins offene Messer laufen lassen. Die Bank war damals an Lehman beteiligt und selbst einer der großen Gläubiger der Pleitebank.

 

Die Bundesregierung hat im Nachgang der Pleite den Anlegerschutz verbessert. So müssen Beratungsgespräche ab dem kommenden Jahr zum Beispiel protokolliert werden. Doch dem Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) gehen die Neuregelungen nicht weit genug. Der Verband kann sich ein Verbot besonders komplizierter Finanzprodukte vorstellen. In den USA dürfen Zertifikate an Privatleute auch nicht verkauft werden. Außerdem fordert der vzbv eine verstärkte unabhängige Finanzberatung. Es hat sich gezeigt, dass Banken anscheinend besonders stark für Papiere geworben haben, mit denen sich eine hohe Provision einstreichen lässt. Auch mehr Transparenz beim Risiko und den Kosten der Produkte wollen die Verbraucherschützer durchsetzen.

 

Für die Geschädigten der Lehman Brothers kämen diese Verbesserungen zu spät. Auf ihre Bank wollen sich die Stammtisch-Mitglieder ohnehin nicht mehr verlassen. Auch mehr Kenntnis über die Finanzprodukte hilft Jansens Meinung nach wenig. „Das nützt nichts, wenn sie wissentlich belogen werden“, glaubt der Berliner, der sein restliches Erspartes künftig nur noch in Bundesschatzbriefe und Festgeldanlagen stecken will.

 

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