Kleine Tür und großes Tor

Wenn mehr Menschen zum Arbeiten nach Deutschland kommen könnten, würde die Zahl der spontanen Flüchtlinge und Asylsuchenden sinken. Debatte über das Einwanderungsgesetz

Teilen!

Von Hannes Koch

03. Sep. 2015 –

Wer heute vor den Bomben des syrischen Diktators Assad aus Damaskus oder vor der Armut aus Eritrea flieht, riskiert nicht selten sein Leben in einem Schlauchboot auf dem Mittelmeer. Und muss in Deutschland politisches Asyl beantragen. Obwohl sehr viele der Neuankömmlinge hier einfach arbeiten wollen – und die deutsche Wirtschaft diese Arbeitskräfte auch sucht.

 

Grundsätzlich ist sichere Einwanderung nach Deutschland schon heute möglich – legal, als Arbeitskraft, mit Visum. Aber dieser Weg ist sehr kompliziert. Er ist kaum bekannt. Und die deutsche Bürokratie macht es den Interessierten schwer. Trotzdem ist dieser Weg der Kern des Einwanderungsgesetzes, über das die Regierungsparteien nun diskutieren. Die SPD will es. Ihr Fraktionschef Thomas Oppermann hat das am Mittwoch noch einmal bekräftigt. Die Begeisterung in der Union dagegen ist begrenzt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hält es nicht für „vordringlich“.

 

Nehmen wir als Beispiel einen Klempner aus Damaskus, der gelernt hat, wie man Gas- und Wasserleitungen verlegt. Sein Beruf steht auf der „Positivliste“ der Bundesagentur für Arbeit – wie rund 80 weitere, etwa Bauelektriker, Kabelmonteur, Lokführer, Krankenschwester oder Altenpfleger. Für diese und andere Tätigkeiten finden Firmen in Deutschland nicht mehr genug einheimische Bewerber. Deshalb ist es seit zwei Jahren auch Syrern, Eritreern, Nigerianern oder Afghanen erlaubt, hierzulande eine solche Beschäftigung anzunehmen. Die ehemalige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat das durchgesetzt. Allerdings kamen 2014 durch diese Tür nur 311 Personen nach Deutschland. Zwischen Januar und Juli 2015 schafften es 337.

 

Im ersten Schritt muss der syrische Klempner, der in Deutschland arbeiten will, hier seine Ausbildung anerkennen lassen. Dazu kann er eine E-Mail an die Bundesagentur schicken, die diese an eine deutsche Industrie- und Handelskammer (IHK) weiterleitet. Fällt deren Prüfung positiv aus, entspricht also die syrische Bauklempner-Ausbildung deutschem Standard, darf der Syrer ein Visum bei einer deutschen Botschaft beantragen.

 

Haben die Bewerber aber überhaupt Chancen, die nötigen Papiere zu besorgen, um ihre Fähigkeiten nachzuweisen? „In vielen Ländern, aus denen die Flüchtlinge kommen, existiert kein Ausbildungsystem, das mit Deutschland vergleichbar wäre“, sagt Claudius Voigt von der Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender in Münster. Und dies ist nur eine von vielen Hürden, vor denen diejenigen stehen, die ihre Heimatländer verlassen wollen.

 

Nicht nur Flüchtlingsberater wie Voigt plädieren deshalb für eine Öffnung und Erleichterung der Einwanderung, sondern auch Manager und Firmenchefs. Viele Menschen, die dies gar nicht wollten, würden „gezwungen, Asylanträge zu stellen“, sagte unlängst Klaus Engel, der Chef des Chemiekonzerns Evonik in Essen. „Wir brauchen jetzt endlich ein Einwanderungsgesetz.“

 

So sieht das auch Cemile Giousouf. „In den letzten Jahren haben wir viele Gesetze liberalisiert, damit wir leichter Fachkräfte bekommen können. In der Realität zeigen diese Gesetze aber leider kaum Wirkung. Diese Regeln müssen wir durch ein einheitliches Gesetz vereinfachen“, sagt die Integrationsbeauftragte der CDU-CSU-Bundestagsfraktion. „Und es geht darum, die Strukturen der Verfahren in unseren Behörden so zu verändern, dass sie gut funktionieren. Heute sind die praktischen Hürden viel zu hoch.“

 

Giousouf ist eine derjenigen in der CDU, die ihren Generalsekretär Peter Tauber unterstützen. Der verlangte von seiner Partei zu Beginn diesen Jahres, dass „wir auch über ein Einwanderungsgesetz reden“. Ob sich der CDU-Bundesparteitag im Dezember aber wirklich zu diesem Anliegen bekennt, steht in den Sternen. Die Spitze der bayerischen CSU hat sich ohne ablehnend geäußert. Und über die Lage in ihrer Bundestagsfraktion sagt Giousouf: „Weil gegenwärtig so viele Menschen zu uns kommen, ist die Ablehnung eines Einwanderungsgesetzes in der Unionsfraktion jetzt vermutlich größer als die Zustimmung. Trotzdem ist es gut, dass wir diese Debatte führen.“

 

Die Linken und Grünen sind weiter. Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat sich festgelegt: „Wegen des demografischen Wandels droht bis 2050 ein massiver Fachkräftemangel. Deshalb sind wir auch auf Arbeitnehmer aus anderen Ländern angewiesen“, sagt Burkhard Lischka, der innenpolitische Sprecher. Angesichts der niedrigen Geburtenrate würden bald „6,7 Millionen Erwerbsfähige“ in Deutschland fehlen. Deshalb „brauchen wir ein einfaches und transparentes Einwanderungsgesetz, das sowohl für interessierte Fachkräfte als auch deutsche Arbeitgeber leicht verständlich ist.“

 

Im Papier der SPD-Fraktion vom März 2015 sind zahlreiche Vorschläge enthalten, wie aus der kleinen Tür ein großes Tor werden könnte. Unter anderem sei es nötig, das Gewirr der „über 50 verschiedenen Aufenthaltstitel“ zu vereinfachen und verringern. Außerdem schlägt die SPD ein Punktesystem ähnlich dem kanadischen vor. Bewerber würden nach Alter, Ausbildung, Berufserfahrung, Sprachkenntnissen und Jobangebot eingestuft. Wer eine hohe Punktzahl hat, darf rein. Das sei praktikabler als die heutige, langwierige Einzelfallprüfung unter Beteiligung der IHK.

 

Wer weiß, ob der Willen des kleinen Koalitionspartners ausreicht, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das die Union dermaßen in Fürsprecher und Kritiker spaltet. Zumal kurzfristig dringendere Probleme zu bewältigen sind: Wohnungen beschaffen für vielleicht 800.000 Einwanderer in diesem Jahr, Milliarden Euro aus öffentlichen Kassen zur Verfügung stellen, die Flüchtlinge innerhalb der EU verteilen. Trotzdem müsse man auch an die langfristige Lösung denken, meint Wolfgang Grenz von der Fachkommission Asyl bei Amnesty International: „Gäbe es bessere Möglichkeiten für legale Migration, würde der Druck auf das Asylrecht abnehmen.“

 

Info-Kasten

Arbeitsmigration heute

In den vergangenen Jahren wurden mehrere Möglichkeiten geschaffen, um legal zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen. Hochqualifizierte können die Blaue Karte der EU erhalten. Fachkräfte mit Berufsausbildung – Handwerker zum Beispiel – dürfen einreisen, wenn es im betreffenden Beruf zu wenige Bewerber auf dem deutschen Arbeitsmarkt gibt. Und seit kurzem gibt es eine neue Variante: ein Visum zur Arbeitsplatzsuche. Die Zahl der Einwanderer auf diesen Wegen ist allerdings gering. 2014 kamen beispielsweise nur 2.653 Hochqualifizierte mit Blue Card.

« Zurück | Nachrichten »