„Klimaschutz kostet pro Kopf jährlich 200 Euro“

Wirtschaftswachstum und wirksamer Klimaschutz sind mit einander vereinbar, sagt Klimaforscher Ottmar Edenhofer – kostenlos ist der Umbau aber nicht

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Von Hannes Koch

11. Dez. 2009 –

Hannes Koch: Herr Edenhofer, wir sind daran gewöhnt, dass unser Wohlstand permanent zunimmt. Können wir unser Wirtschafts- und Lebensmodell beibehalten, wenn wir gleichzeitig die Erwärmung der Erdatmosphäre und den Klimawandel bremsen wollen?

Ottmar Edenhofer: Ja, grundsätzlich spricht nichts dagegen, dass Wirtschaftswachstum und Klimaschutz miteinander vereinbar sind. Allerdings werden wir viel weniger Kohle, Öl und Gas verbrauchen und unsere Kohlendioxid-Emissionen bis 2050 um mindestens 65 Prozent gegenüber 1990 reduzieren müssen. Das erfordert eine höhere Geschwindigkeit beim Umbau unseres Wirtschaftssystems, als heute bei manchem Unternehmen angekommen zu sein scheint.

Koch: Die Entkopplung von Energieverbrauch und Wachstum kann also funktionieren?

Edenhofer: Ganz klar: Ja. Um das zu schaffen, dürfen wir den technischen Fortschritt aber nicht mehr nur darauf konzentrieren, menschliche Arbeit durch Maschinen zu ersetzen. Stattdessen müssen wir fossile Energieträger effizienter nutzen und sie durch erneuerbare Energien oder Kernenergie ersetzen.

Koch: Wie kann die Politik den gesellschaftlichen Wandel hin zu einem klimafreundlichen Energiesystem fördern?

Edenhofer: Sie muss klar kommunizieren, dass die Menschheit bis zum Ende dieses Jahrhunderts nur noch 830 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in der Atmosphäre abladen kann. Nach heutigem Maßstab reicht dies aber gerade für etwa 30 Jahre. Mehr Emissionen würden dazu führen, dass die Temperaturen über zwei Grad Celsius ansteigen. Der Punkt ist: Es besteht kein Mangel an fossilen Energieträgern, sondern der Deponieraum der Atmosphäre ist begrenzt. Deshalb sollten Verschmutzungsrechte weltweit einen Preis erhalten, der diese Knappheit reflektiert. Unternehmen, die CO2 einsparen, könnten dann ihren Gewinn steigern. Die höhere Energieproduktivität brächte mehr Rendite als die Zunahme der Arbeitsproduktivität.

Koch: Der Umbau kostet Geld. Diese Mittel fehlen uns an anderer Stelle – für Schulen, Kitas oder die Altersvorsorge.

Edenhofer: Nein, das ist eine Milchmädchenrechnung. Um die notwendigen Maßnahmen gegen den Klimawandel zu finanzieren, müsste die Menschheit ein bis zwei Prozent des weltweiten Sozialprodukts jährlich aufbringen. Für Deutschland würde das Ausgaben bedeuten, die in der Größe von einem oder zwei Prozentpunkten der Mehrwertsteuer liegen. Oder noch einfacher: Wenn jeder Deutsche vier Euro pro Woche aufbrächte, wäre ambitionierter Klimaschutz finanzierbar.

Koch: Das macht pro Person durchschnittlich gut 200 Euro im Jahr. Insgesamt reden wir also über Kosten von 16 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Summe kann selbst ein reiches Land wie Deutschland nicht ohne Schwierigkeiten aufbringen.

Edenhofer: Ich behaupte nicht, dass es einfach ist, den Wandel einzuleiten. Aber es ist möglich, ohne dass hier alles zusammenbricht. 2006 hat die große Koalition die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte angehoben - und die Wirtschaft ist nicht die Knie gegangen.

Koch: Die Staaten können die Kosten zum Teil dadurch aufbringen, dass sie die Verschmutzungsrechte an Firmen und Verbraucher nicht verschenken, sondern verkaufen. Müssen die Emissionszertifikate so teuer werden, dass Wirtschaft und Bürger sich gezwungen sehen, auf den CO2-Ausstoß allmählich ganz zu verzichten?

Edenhofer: Der Preis für CO2 wird mit der Zeit deutlich steigen.

Koch: Die Energie, die wir verbrauchen, wird also permanent teurer?

Edenhofer: Nein, nicht der Preis für Energie, sondern der Preis für CO2-Emissionen nimmt zu. Wird die fossile Energie entsprechend effizienter genutzt oder ersetzt man sie durch wettbewerbsfähige erneuerbare Energien, kann der Preis für Energiepreise sogar stabil bleiben. Er wächst umso weniger, je innovativer die Wirtschaft handelt.

Koch: Wir, die Bürger der reichen Industrieländer, haben durch unsere Wirtschaftsweise die Atmosphäre viel stärker mit CO2 belastet als die meisten Bewohner Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Dürfen wir künftig nur noch dieselbe Menge CO2 verursachen wie jene?

Edenhofer: Eigentlich müssten wir pro Kopf sogar weniger CO2 ausstoßen als die Bewohner der Entwicklungs- und Schwellenländer. Das erscheint zwar gerecht, würde aber selbst die Menschen der reichen Länder überfordern und zu massiven Verteilungskonflikten führen. Deshalb wäre schon viel gewonnen, wenn langfristig alle Menschen wenigstens die gleichen Verschmutzungsrechte wahrnehmen könnten.

Koch: 2050 erreicht die Weltbevölkerung mit neun Milliarden Menschen ihren Höhepunkt, danach nimmt sie wieder ab. Erledigt sich dann das Klimaproblem von alleine?

Edenhofer: Vor diesem Trugschluss kann ich nur warnen. Die abnehmende Bevölkerungszahl kann bedeuten, dass bei zunehmenden Wohlstand jeder Einzelne wohlhabender wird und das Pro-Kopf-Vermögen steigt. Und damit werden auch die Konsumbedürfnisse wachsen – das lehrt zumindest die historische Erfahrung in den Industriestaaten. Nur durch den Rückgang der Bevölkerung werden wir den Umbau also nicht schaffen. Was wir brauchen, ist eine dritte industrielle Revolution.

Professor Ottmar Edenhofer (48) arbeitet als Vize-Direktor und Chefökonom am Potsdam Institute für Klimafolgen-Forschung. Im Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), dem Wissenschaftler-Gremium der Vereinten Nationen für Klima, leitet Edenhofer die Arbeitsgruppe, die sich mit der Reduzierung der Treibhausgase in der Atmosphäre beschäftigt.

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