Komplexität

Kolumne: Wir retten die Welt

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Von Hannes Koch

04. Jan. 2015 –

„Darf man sich jetzt nicht mal mehr was schenken lassen?“ Mein Sohn (15) regt sich auf. Meine Tochter (17) hat gerade schärfstens verurteilt, dass der Radiosender beim Weihnachtsratespiel 500-Euro-Kameras für die Gewinner auslobt. Er (konsumaffin) hätte gerne solch ein Gerät gewonnen. „Wir haben doch schon eine“, prangert sie (konsumkritisch) an.

 

Eine typische Unterhaltung am Frühstückstisch. „Das brauchen wir nicht“, ruft meine Tochter. Beispielsweise, wenn ich ankündige, einen neuen Computerdrucker zu erwerben. Der alte harmoniert nicht mit dem neuen Betriebssystem des Laptops, keine Chance. Sie: „Zu Hause muss man nicht drucken, ich kann zu meiner Freundin gehen.“ Ich frage, wie sie dann morgens vor der Schule mal eben schnell das Arbeitsblatt für den Matheunterricht ausdrucken will. Mein Sohn rollt die Augen. Er hält sie für Steinzeit.

 

Obwohl auch ihm die Wir-müssen-weniger-verbrauchen-um-die-Welt-zu-retten-Debatte nicht fremd ist. Nun kann er einen Punkt machen. Glaubt er. Via Spotify schaltet er seinen aktuellen Lieblingsrapper dazu. Die Musik kommt direkt aus dem Internet. Man muss keine CDs kaufen. Er: „Kein Plastik, keine Rohstoffe, voll öko, oder?“ Er will jetzt mal das Lob seiner Schwester.

 

Sie, auf dem Sofa, in der Umwelt-Zeitschrift blätternd: „Hier steht, dass Musik-Streamen mehr Energie verbraucht als die Produktion einer CD!“ Wir staunen. Ist das Internet ebenfalls ein Sargnagel fürs Klima? „Klar doch“, kolportiert sie den Artikel, „die riesigen Rechenzentren brauchen Zehntausende Megawattstunden Strom pro Jahr, aus Dutzenden Atom- und Kohlekraftwerken.“

 

Mein Sohn gibt nicht auf. Er argumentiert für den Öko-Vorteil des Netzes. Wenn er mit der U-Bahn zum CD-Geschäft fahre, verbrauche das auch Energie. Zusätzlich müsse man den Strom für unseren alten CD-Spieler einkalkulieren, der mehr Saft benötigt als das neue Smartphone, mit dem wir streamen. „Was sagt Deine Schlaumeier-Öko-Zeitschrift dazu?“, will er wissen. Nichts, muss meine Tochter einräumen.

 

An solche Punkte kommen wir oft. Die Komplexität ist überwältigend. Der ökologische Fußabdruck unseres Alltags hängt von tausend Randbedingungen ab. Werden die Internet-Fabriken, die Spotify nutzt, mit Atom-, Kohle- oder Sonnenstrom betrieben? Stehen sie in kalten Regionen, wo man nicht so viele Kühlaggregate braucht oder in wärmeren Gegenden, wo sie mehr Elektrizität ziehen? Keine Ahnung, wer weiß das schon. Uns fehlen Daten. Wir suchen Antwort. Und surfen im Netz. Mist, schon wieder CO2 verursacht.

 

Was bleibt uns übrig? Entscheidungen auf Basis unvöllständiger Informationen. Damit sind wir nicht alleine. Unternehmer bauen Fabriken, ohne sicher zu wissen, ob die Produkte Käufer finden. Politiker können niemals genau einschätzen, ob die Koalition, die sie jetzt für die beste halten, nicht ein Jahr nach der Wahl wegen eines kaum vorhersehbaren Skandals auseinanderfliegt. Spotify oder CD? Unklar, was besser ist. Aus alltags-, klima- und weltpolitischen Gründen würde man solche Unwägbarkeiten gerne ausräumen. Einen Vorteil haben sie immerhin: Es gibt immer was zu diskutieren.

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