Kurze Leben in der alten Schuhmetropole
In Pirmasens, Rheinland-Pfalz, sterben die Menschen durchschnittlich am frühesten
30. Mär. 2016 –
Frauen, die in der rheinland-pfälzischen Stadt Pirmasens leben, sterben am frühestens. Ihre durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 77,1 Jahre. Im baden-württembergischen Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald bei Freiburg leben Frauen im Durchschnitt dagegen 85 Jahre. Diese erstaunlichen Unterschiede der Lebensdauer ergibt eine Übersicht, die Sabine Zimmermann, Bundestagsabgeordnete der Linken, veröffentlicht hat.
Die Zahlen sind nicht neu, sie basieren unter anderem auf dem Bericht „Gesundheit in Deutschland 2015“ des öffentlichen Robert-Koch-Instituts und Statistiken des Bundesinstituts für Stadt- und Raumforschung. Zimmermann hat sie ausgewertet und aufbereitet.
Auch bei den Männern ist Pirmasens demnach Schlusslicht. Sie sterben dort nach durchschnittlich 73 Jahren. Im bayerischen Starnberg dagegen beträgt die männliche Lebenserwartung 81,3 Jahre. Wie die Tabellen zeigen, existieren in Deutschland ganze Regionen mit geringerer Lebensdauer. Dazu gehören beispielsweise größere Gebiete in Sachsen-Anhalt und Brandenburg, Teile des Ruhrgebiets, des Saarlandes und Frankens. In Städten wie Münster, Stuttgart oder Böblingen können die Menschen hingegen mit einem langen und vergleichsweise gesunden Leben rechnen.
Für Zimmermann ist die Interpretation klar. Sie führt die Unterschiede auf die sozialen Verhältnisse zurück. „Arme sterben früher“, sagt die Linken-Abgeordnete, „sie leiden häufiger an chronischen, aber auch an psychischen Krankheiten wie Depressionen.“
Allerdings greift diese Erklärung – zumindest in ihrer Eindeutigkeit – zu kurz. Denn Pirmasens ist durchaus nicht das Armenhaus der Republik. Die Arbeitslosigkeit ist dort mit 13,4 Prozent (Februar 2016) zwar hoch, aber nicht am höchsten in Deutschland. Im sachsen-anhaltinischen Landkreis Mansfeld-Südharz erreicht sie mit 14,2 Prozent einen höheren Wert. Trotzdem liegt die Lebenserwartung der Frauen dort um mehr als vier Jahre über Pirmasens.
Gleichwohl deutet die niedrige Lebenserwartung in der rheinland-pfälzischen Stadt auf besondere Probleme hin. Pirmasens war früher ein Zentrum der Schuhindustrie, die mittlerweile weitgehend verschwunden ist. Wegen des harten Strukturwandels ziehen viele junge Leute weg, die Älteren bleiben zurück. Durch diese demografische Entwicklung sinkt die durchschnittliche Lebenserwartung. Die rot-grüne Landesregierung versucht dieser Herausforderung unter anderem damit zu begegnen, dass sie für Kaiserslautern und Pirmasens ein Spezialprogramm zur Verbesserung der Lebensqualität, der Beschäftigungsfähigkeit und der Gesundheitssituation aufgelegt hat.
Soziale Nachteile wie Armut und geringes Einkommen können eine große Rolle für die Lebenserwartung spielen. Das zeigen Untersuchungen beispielsweise des sozio-oekonomischen Panels beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Demnach leben deutsche Frauen und Männer mit niedrigen Einkommen im Durchschnitt mehrere Jahre kürzer als reiche Mitbürger. Hier machen sich auch Folgeeffekte bemerkbar, die mit einem niedrigen sozialen Status zusammenhängen, beispielsweise geringe Bildung und mangelndes Gesundheitsbewusstsein.
Der Zusammenhang zwischen Armut und Lebenserwartung ist jedoch nicht monokausal. Andere Faktoren sind ebenfalls wichtig. So können besondere berufliche Belastungen das Leben verkürzen. Wegen ihrer harten Arbeit unter Tage starben die Bergleute im Ruhrgebiet früher als der Durchschnitt der Bevölkerung, obwohl sie vergleichsweise hohe Einkommen erwirtschafteten. Eine Umweltbelastung kann ebenso relevant sein, die Qualität der Krankenversorgung am Ort oder die individuelle Lebensweise.
Um soziale Nachteile wenigstens etwas auszugleichen, fordert Linkenpolitikerin Zimmermann Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) auf, „mehr Programme zur Gesundheitsprävention“ durchzuführen. Nötig sei aber auch „die umfassende Bekämpfung von Armut und gesundheitsschädlichen Lebensverhältnissen, also höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen gerade für Geringverdiener.“
Auf die entsprechende Anfrage der Linken antwortete Ingrid Fischbach (CDU), Staatssekretärin im Gesundheitsministerium: „Zahlreiche Maßnahmen der Bundesregierung zielen auf eine Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit.“ Beispielsweise mit dem 2015 verabschiedeten Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung würden die Krankenkasse verpflichtet zusätzliche Leistungen zu erbringen.