Leitplanken für die Energiewende

Erstmals will die Bundesregierung jährliche Ziele für den Neubau von Ökostrom-Kraftwerken beschließen. Die Ausbauziele für 2035 würden damit aber verfehlt, fürchtet das Institut Agora

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Von Hannes Koch

07. Jun. 2016 –

Den Ausbau der Ökoenergie will die Bundesregierung kostengünstiger gestalten. Dem dient die Reform des Gesetzes für die Erneuerbaren Energien, das Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Kabinett am Mittwoch voraussichtlich beschließen. Unnötige Ausgaben für die Stromkunden will man so vermeiden. Die Regierung reagiert unter anderem darauf, dass die Errichtung der neuen Energieleitungen, die Windstrom von Nord- nach Süddeutschland leiten sollen, hinter dem Plan zurückhängt. Unsere Zeitung beantwortet die wichtigsten Fragen.

 

Warum werden die Stromtrassen nicht so schnell gebaut, wie bisher geplant?

In ihrer aktuellen Überprüfung der Bauprojekte nimmt die Bundesnetzagentur an, dass die drei großen Nord-Süd-Leitungen frühestens 2025 in Betrieb gehen, zwei bis drei Jahre später als beabsichtigt. Dabei geht es um die neuen Stromkabel vom niedersächsischen Emden ins nordrhein-westfälische Osterath, von Brunsbüttel in Schleswig-Holstein bis Großgartach bei Heilbronn (Baden-Württemberg) und von Wilster in Schleswig-Holstein zum bayerischen Grafenrheinfeld. Ein Grund für die Verschiebung: Um die Anwohner von neuen, hohen Strommasten zu verschonen, sollen die Kabel über weite Strecken in der Erde verlegt werden. Diese Planung dauert länger. Aber auch insgesamt kommt die Modernisierung des Stromnetzes zu langsam voran. Die bestehenden Leitungen können die wachsende Menge an Ökostrom nicht immer aufnehmen.

 

Was bedeutet der langsame Trassenbau für die Stromkunden?

Die Milliarden-Kosten fallen etwas später an. Weil die Netzbetreiber die Ausgaben auf die Stromrechnungen der Kunden umlegen, entlastet das zunächst die Preise. Andererseits entstehen zusätzliche Kosten, weil überflüssiger Windstrom aus dem Norden nicht in den Süden transportiert werden kann. Die Netzbetreiber müssen die Kraftwerksbesitzer dafür entschädigen. Unter dem Strich hat die Verschiebung des Leitungsbaus deshalb wohl kurzfristig keine großen Effekte für die Stromkunden.

 

Was steht im neuen EEG?

Bis heute wird die Geschwindigkeit des Neubaus neuer Wind-, Solar- und Biomasse-Kraftwerke im Prinzip nicht reglementiert. Immer mal wieder kommt es deshalb zu sprunghaften Zuwächsen, inklusive entsprechender Mehrkosten für die Kunden. Denn die Privathaushalte und meisten Unternehmen müssen einen Teil der Aufwendungen mittragen. Deshalb macht die Regierung bei der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) nun genaue Vorgaben für einen gleichmäßigen Ausbau: Beispielsweise sollen bis 2019 nur noch rund 1.000 große Windräder pro Jahr an Land entstehen. Ähnliche Obergrenzen gibt es für Windkraftwerke auf See, Solar- und Biomasseanlagen. Zuerst kommen außerdem diejenigen Betreiber zum Zuge, deren Windparks den Strom zum günstigsten Preis produzieren. Schließlich will man den Zubau von Windkraftwerken in Norddeutschland im Vergleich zur Vergangenheit etwas reduzieren, im Süden dagegen etwas verstärken.

 

Würgt die Regierung die Energiewende ab?

Nein – auch wenn manche grünen Politiker und Ökoenergie-Lobbyisten das Gegenteil behaupten. Zum Beispiel bei Wind an Land lag der Zubau seit dem Jahr 2000 im Durchschnitt ungefähr in derselben Größenordnung, die die Regierung für die kommenden Jahre plant. „Bis 2025 ist die Energiewende auf gutem Weg, von einem Ausbremsen kann hier nicht die Rede sein“, sagt Patrick Graichen, Chef des Instituts Agora Energiewende.

 

Kann die Bundesregierung ihre Ausbauziele erreichen?

Bis 2025 sollen 40 bis 45 Prozent des deutschen Stroms aus Ökokraftwerken kommen. Das klappt mit der EEG-Reform wohl. Dann aber werde es schwierig, sagt Graichen: „Um das Ziel für 2035 – einen Anteil von 55 bis 60 Prozent erneuerbare Energien am Stromverbrauch - zu erreichen, müssen die Anstrengungen nach 2025 deutlich stärker werden. Hierfür reichen die im neuen EEG festgelegten Zubauzahlen für Wind und Photovoltaik bei weitem nicht.“ Als einen wesentlichen Grund führt das Institut an, dass ab 2028 viele dann alte Ökokraftwerke außer Betrieb gehen. Mit dem bisher geplanten Zubau kann man diese nicht ersetzen. „Für die weiteren Ausbauziele gibt es klare Festlegungen im EEG“, sagte dazu eine Sprecherin von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Man sei sicher, diese auch später zu erreichen. Bernd Westphal, Obmann der SPD im Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Energie, erklärte: „Ich bilde mir nicht ein, dass diese EEG-Reform alle zukünftigen Entwicklungen abdeckt. Deshalb wird es auch in Zukunft zu Reformen kommen, die dann die Zielerreichung bis 2035 und kommende Herausforderungen in Angriff nehmen müssen.“

 

Welche Aussichten bestehen für die Strompreise der Privathaushalte und Firmen?

Weil die Kosten für neue Ökokraftwerke künftig stärker sinken als früher, könnten auch die Stromrechnungen der Verbraucher abnehmen – vorausgesetzt, die Elektrizitätsanbieter geben die Kostensenkung an die Privathaushalte und Firmen weiter. Bisher haben sie das oft nicht getan.

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