Managergipfel debattiert über Flüchtlinge

Bundespräsident Gauck redet beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Offizielles Thema des Kongresses ist die vierte industrielle Revolution: Wieviel Arbeit bleibt, wenn die Roboter regieren?

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Von Hannes Koch

18. Jan. 2016 –

Klaus Schwab, der 77jährige aus Augsburg stammende Organisator des Weltwirtschaftsforum von Davos, hat sich schon vor längerer Zeit auf dieses Thema eingelassen. „Vierte industrielle Revolution“ lautet das Motto des diesjährigen Managergipfels, der am kommenden Mittwoch in dem Schweizer Bergort beginnt. Wieviel Arbeit nehmen Roboter den Menschen ab, wieviele Jobs gibt es dann noch? Solche Fragen sollten im Mittelpunkt des Kongresses stehen. Nun aber schiebt sich ein drängenderes Problem nach vorne: Flucht und Migration.

 

Das beste Zeichen für die Verlagerung des Interesses ist die Rede, die Bundespräsident Joachim Gauck am Eröffnungstag im Kongresszentrum halten wird. Viel hat die Pressestelle des Bundespräsidialamtes bislang nicht mitgeteilt. Aber klar ist, dass Gauck über Flucht und Migration reden will. Dabei wird es vermutlich nicht an ein paar eindringlichen Mahnungen an die Bundesbürger, aber auch die anwesenden Spitzenpolitiker mangeln.

 

Denn die Herausforderungen, die die aktuellen Fluchtbewegungen nach Europa mit sich bringen, seien „viel größer, als wir sehen und sehen wollen“, sagt auch Christine Lagarde, die französische Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Lagarde hält es für möglich, dass 2016 ähnlich viele Menschen nach Europa kommen wie 2015. Und dann stellen sich die heute schon drängenden Fragen noch viel dringlicher: Welche Staaten nehmen die Neuankömmlinge auf, wer bezahlt das, wie lässt sich die Zuwanderung in naher Zukunft wieder auf ein leichter zu handhabendes Maß verringern? Um eine bessere internationale Zahlenbasis für die Antworten zu liefern, will Lagard in Davos eine neue IWF-Studie über Kosten und Nutzen von Migranten und deren Einfluss auf die Volkswirtschaft vorstellen.

 

Neben Gauck werden aus Deutschland unter anderem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nach Davos reisen. Hinzu kommen zahlreiche Vorstände und Manager von Unternehmen. Insgesamt soll das Weltwirtschaftsforum (WEF) dieses Jahr wieder über 2.500 Teilnehmer anlocken. Weltweit gibt es nur wenige Ereignisse, die eine ähnliche Anzahl von Entscheidern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik besucht. Mehr als 40 Staats- und Regierungschefs sollen zwischen Mittwoch und Samstag vor Ort sein, darunter der britische Premierminister David Cameron, Manuel Valls (Frankreich), Ahmet Davutoglu (Türkei), Alexis Tsipras (Griechenland), Mauricio Marci (Argentinien), Justin Trudeau (Kanada) und Benjamin Netanjahu (Israel). Aus den USA hat sich Vizepräsident Joe Biden angekündigt.

 

Angesichts der jüngsten Terroranschläge sind Tausende von Soldaten und Polizisten im Einsatz. Die Kontrollen und Absperrungen könnten noch dichter ausfallen als in früheren Jahren. Sowieso errichtet die Schweizer Armee zusätzliche Posten selbst in Dörfern, die weit von Davos entfernt sind. Die Prominenz wird mit Hubschraubern vom Flughafen Zürich in das Bergtal geflogen. Und permanent patroullieren die Jets der Schweizer Luftwaffe den gesperrten Luftraum über dem Skiort.

 

Eng mit dem Thema der Flüchtlinge hängt die Lage in Syrien zusammen. WEF-Chef Schwab hat bereits Gespräche hinter verschlossenen Türen über den Krieg in dem nahöstlichen Land angekündigt. So ist auch der Außenminister des Iran in Davos. Teheran unterstützt die Regierung des kriegführenden syrischen Präsidenten Baschar Assad. Die Frage ist hier, wie sich der Krieg beenden lässt, damit auf diese Art ein wesentlicher Grund für die Auswanderung nach Europa wegfällt.

 

Bereits vor dem Start des WEF hat die Entwicklungsorganisation Oxfam ein Problem angesprochen, das ebenfalls eine Ursache von Fluchtbewegungen ist: Armut. Mit ihrer neuen Studie „eine Wirtschaft für ein Prozent der Weltbevölkerung“ kritisiert die Organisation den zunehmenden Abstand der Vermögen zwischen Armen und Reichen. Die 62 reichsten Personen der Erde würden mittlerweile soviel Vermögen besitzen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung – über 1.500 Milliarden Euro, erklärt Oxfam. Dabei verschärfe sich die soziale Polarisierung weiter. In den vergangenen Jahren hätten die Vermögen der wohlhabensten Menschen um etwa 40 Prozent zugelegt, während der Besitz der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung um eine ähnliche Größenordnung zurückging, so Oxfam.

 

Unternehmen, die das Weltwirtschaftsforum (WEF) tragen, wirft die Organisation außerdem vor, sich planmäßig in Steueroasen anzusiedeln. Das sind Staaten wie die Schweiz, Luxemburg und die Cayman Inseln, die Ausländern niedrige Steuersätze gewähren oder den Heimatländern der Steuerpflichten keine Informationen über versteckte Konten geben. Dadurch würden diese anderen Staaten und damit auch deren Bevölkerung Geld vorenthalten, das beispielsweise für Gesundheits- und Bildungspolitik nicht zur Verfügung stehe. Die steuervermeidenden Unternehmen würden so die globale Armut verschärfen, lautet das Argument. Das WEF wollte sich zu der Studie nicht äußern.

 

Zur vierten industriellen Revolution stehen in Davos zahlreiche Veranstaltungen auf dem Programm. Dieser Begriff beschreibt den gegenwärtig stattfindenden technologischen Sprung, darunter die Leistungssteigerung des Internets. Wenn intelligente Maschinen selbstständig miteinander kommunizieren und produzieren, könnte mehr menschliche Arbeit überflüssig werden. Andererseits ermöglichen 3D-Drucker vielleicht, dass die Arbeitnehmer mit weniger Geld auskommen, weil sie bestimmte Konsumgüter selbst zu Hause herstellen.

 

An all diesen Debatten dürfen offizielle Vertreter aus Nordkorea übrigens nicht teilnehmen. Das WEF hat sie ausgeladen, weil die Regierung in Pjöngjang in der vergangenen Woche verkündete, eine Wasserstoffbombe getestet zu haben.

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