Mehr Armut bedeutet weniger Wohlstand für alle

Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, präsentierte sein Buch „Verteilungskampf“ - die sozialökonomische Analyse zum Erfolg der AfD

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Von Hannes Koch

14. Mär. 2016 –

Große soziale Ungleichheit schädigt die Gesellschaft. Sie löst individuelle Ängste aus, hindert Millionen Menschen daran, ihre Talente zu entfalten und kostet Wirtschaftswachstum. „Deutschland ist heute eines der ungleichsten Länder in der industrialisierten Welt,“ sagte Marcel Fratzscher am Montag. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) stellte sein Buch „Verteilungskampf“ vor.

 

Fratzschers Intervention passt zu den Ergebnissen der drei Landtagswahlen vom Wochenende, bei denen die fremdenfeindliche AfD Erfolge verbuchte. Laut einer Umfrage des Instituts infratest dimap für die ARD gaben die Wähler der Rechtspartei als zweitwichtigstes Thema die „soziale Ungerechtigkeit“ an. Auf Platz Eins stand die Ablehnung von Einwanderung.

 

Die jahrzehntelange Entwicklung hinter dieser Wahrnehmung beschrieb Fratzscher so: „Die deutsche Marktwirtschaft zeigt ihr wahres Gesicht in einer stark zunehmenden Ungleichheit.“ Die Einkommen und Vermögen armer und reicher Bevölkerungsgruppen würden auseinanderdriften.

 

Beispiel Einkommen: Die Reallöhne der Beschäftigten waren 2014 so hoch wie 1992. Wegen der Inflation hat „rund die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer in den vergangenen 15 Jahren Kaufkraft verloren“, so Fratzscher. Die verfügbaren Haushaltseinkommen der wohlhabensten zehn Prozent der Bevölkerung stiegen dagegen alleine von 2000 bis 2012 um 16 Prozent.

 

Beispiel Vermögen: Die ärmsten 20 Prozent der Deutschen haben keine Vermögen, sondern Schulden. Eine weitere große Gruppe von etwa 20 Prozent hat kaum etwas auf dem Konto und verfügt auch sonst über keinen wertvollen Besitz. Die zehn Prozent Reichsten besitzen dagegen durchschnittlich 1,2 Millionen Euro. Fratzscher: „Über 63 Prozent des gesamten Nettovermögens im Land gehören den reichsten zehn Prozent der Deutschen.“ Auch hier nimmt die soziale Spaltung zu.

 

Als Ursachen nannte der Ökonom weltwirtschaftliche Entwicklungen wie die Digitalisierung. Einfache Jobs, für die man keine hohe Ausbildung braucht, fallen weg. Dadurch büßen häufig Leute ihr Arbeitseinkommen ein, die ohnehin wenig Geld verdient haben. Hinzu kommt eine mitunter fragwürdige Politik: Das deutsche Sozial- und Steuersystem verteile zwar viel Geld um, sei dabei aber oft nicht effizient. So profitieren von der staatlich geförderten Riesterrente eher Leute mit guten, als mit niedrigen Einkommen. Fratzscher betonte aber auch, dass die Deutschen zwar viel Geld zurücklegten, ihre Ersparnisse jedoch zu wenig in lukrative Immobilien und Aktien steckten.

 

All das rächt sich. Millionen Menschen hätten keine Mittel, um in ihren eigenen Aufstieg und die Bildung ihrer Kinder zu investieren, erklärte der Wissenschaftler. „Die fehlende Chancengleichheit ist Deutschlands größtes Problem.“ Wer arm sei, bleibe in den meisten Fällen arm. Dies bewirke nicht nur individuelle Probleme, Angst und Enttäuschung, sondern schädige die gesamte Gesellschaft. Weil viele Leute ihre Talente nicht entwickeln, bleibt Deutschland als Ganzes unter seinen Möglichkeiten. Zwischen 1990 und 2010 kostete die wachsende Ungleichheit „sechs Prozentpunkte Wirtschaftswachstum“.

 

Als Gegenmittel schlug Fratzscher eine „smarte Umverteilung“ vor. Die Steuermilliarden müssten beispielsweise eher dort eingesetzt werden, wo sie den größten Vorteil zugunsten benachteiligter Bevölkerungsgruppen entfalteten. Seit Jahren plädiert das DIW für höhere staatliche Investitionen im Bildungsbereich. Fratzscher empfahl auch, bestimmte Steuergesetze zu überdenken. Die gegenwärtigen Regeln zur Erbschaftssteuer würden Firmenerben über Gebühr begünstigen.

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