Mehr Licht als Schatten

Zeichen der Hoffnung bringt der G20-Gipfel gegen die Finanzkrise in dieser Woche. Obama, Brown und Merkel können sich zwar nicht auf ein gemeinsames Konjunkturprogramm einigen, beschließen aber Kontrolle der Banken

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Von Hannes Koch

30. Mär. 2009 –

Die Situation entbehrt nicht einer gewissen Skurilität. Da ist die gefährlichste Finanz- und Wirtschaftskrise seit 100 Jahren im Gange, doch Bundeskanzlerin Angela Merkel redet vom Sparen. In ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag am 18. März plädierte sie für „nachhaltiges Wirtschaften“ - in Merkels Diktion die Formulierung dafür, dass der Staat nicht zu viel Geld ausgeben sollte. Mit dieser Botschaft reist die Kanzlerin nun zum Gipfel der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, der am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche in London stattfindet.


Die Antwort, die die Regierungen der USA, Japans, Deutschlands, Großbritanniens, Chinas, Indiens und anderer Wirtschaftsmächte auf die Krise geben, ist beeindruckend. Und sie deutet daraufhin, dass man den Ernst der Lage erkannt hat. In einem 47 Maßnahmen umfassenden Programm versuchen die Regierungen nichts weniger, als dem globalen Finanzsystem einen neuen Rahmen staatlicher Regulierung zu geben. Dieser Versuch ist vergleichbar mit den Anstrengungen, die die Siegermächte des 2. Weltkrieges 1944 bei ihrer Konferenz in Bretton Woods unternahmen. Damals wurden die Grundzüge des Weltfinanzsystems mit Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank entworfen, die noch heute gültig sind.


Und doch ist es erstaunlich, welche Punkte in dem großen Programm der G20 bislang nicht enthalten sind. Vor allem fehlt das Bekenntnis zu einem weltweiten Konjunkturprogramm gegen den Absturz der Wirtschaft. Ebensowenig planen die Regierung ein gemeinsames Vorgehen, um den Banken die so genannten giftigen Papiere abzunehmen, die noch immer in den Bilanzen lagern.


Über diese Punkte des Anti-Krisen-Pakets verhandeln die Regierungen in London:


Internationales Investitionsprogramm


Die Welthandelsorganisation (WTO) befürchtet, dass der weltweite Handel dieses Jahr um zehn Prozent einbricht. Der IWF rechnet mit der ersten Schrumpfung der Weltwirtschaft seit dem 2. Weltkrieg. Sänke die Wirtschaftsleistung der USA weiterhin so dramatisch wie im vierten Quartal 2008, würde das US-Bruttoinlandspordukt (BIP) 2009 um über sechs Prozent zurückgehen. Die Bundesregierung schätzt inzwischen, dass sich das deutsche BIP um über vier Prozent reduziert.


Und trotzdem bringen die Regierung der G20 nicht die Kraft einer koordinierten Anstrengung auf, um die Wirtschaft zu stützen. Zwar ist im Entwurf der Gipfel-Erklärung, den die Financial Times am Wochenende veröffentlichte, von „finanziellen Stimuli“ die Rede, doch dies bezieht sich nur auf die Programme, die die einzelnen Staaten bereits beschlossen haben. In den vergangenen Wochen plädierte vor allem US-Präsident Barack Obama für einen international koordinierten Versuch, die wegbrechende Nachfrage der Unternehmen und Bürger durch staatliche Investitionen zu ersetzen.


Unterstützung erhielt Obama von zahlreichen Ökonomen. Robert M. Solow, Nobelpreisträger des Jahres 1987, hat sich ebenso für einen zusätzlichen Konjunkturimpuls ausgesprochen, wie Heiner Flassbeck von der UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD). Zu den größten Bremsern gehören Kanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Auf ihre Anregung hin findet sich im Entwurf der Abschlusserklärung der Hinweis auf „fiskalpolitische Nachhaltigkeit“ und eine notwendige „Exitstrategie aus der expansiven Finanzpolitik“ - landläufig heißt das „Sparen“. Grundsätzlich erscheint es nicht falsch, Vorkehrungen gegen Preisauftrieb und Inflation zu treffen – jedoch sollte man zunächst einmal die aktuelle Gefahr der Deflation überwinden, bevor man auf die Bremse tritt.


Investitionsprogramm? Kommt vermutlich nicht.


Bankenrettung und Makrokoordinierung


An zwei weiteren wichtigen Punkten verpassen die G20-Regierungen die Gelegenheit zu gemeinsamem Vorgehen. Jeder einzelne Staat bemüht sich, so gut es geht, die angeschlagenen Banken von faulen, minderwertigen oder unverkäuflichen Wertpapieren zu entlasten. Bisher funktioniert das nirgendwo so richtig. Deshalb herrscht zwischen den Instituten weiterhin Misstrauen, und die Kreditgewährung untereinander kommt nicht in Schwung. Das ist eine wesentliche Ursache dafür, dass die Krise anhält. Gemeinsame Gegenmaßnahmen planen die Regierungen jedoch nicht.


Ebensowenig denken die Regierungschef daran, eine neue internationale Wirtschaftspolitik zu konstruieren. Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin weist daraufhin, dass die gigantische Verschuldung der USA die Krise erst ermöglicht habe. Um ähnliche Entwicklungen in Zukunft zu unterbinden, müssten die Staaten hohe Leistungsbilanzüberschüsse und Defizite vermeiden. Pläne für eine solche Makrokkoordinierung gibt es bislang allerdings nicht.


Bereinigung der Bankbilanzen? Kommt wohl nicht.


Kontrolle der Finanzmärkte


Von diesen Mängeln abgesehen, beraten die G20-Regierungen in London trotzdem ein Anti-Krisen-Programm, wie es seit Jahrzehnten keines gegeben hat. US-Präsident Obama, Großbritanniens Premierminister Gordon Brown, Kanzlerin Merkel und ihre Kollegen sind sich einig, dass alle „Finanzmärkte, Instrumente und Institutionen“ einen „stärker kontrollierenden und regulierenden Rahmen“ erhalten. Blinde Flecken, egal ob in Steueroasen, Bankbilanzen oder Geschäften von Hedgefonds, die der staatlichen Aufsicht entzogen sind, wollen die Regierungen nicht länger dulden.


Kontrolle der Finanzmärkte? Kommt.


Regulierung der Banken


Nach dem vergangenen G20-Gipfel in Washington im November 2008 ist auf diesem Gebiet schon einiges passiert. Über 30 transnationale Großbanken werden mittlerweile von neuen Aufsichtskollegien überwacht. In Deutschland gilt dies für die Deutsche Bank und die Allianz AG. In den Kontrollgremien arbeitet die deutsche Bankenaufsicht mit ihren Kollegen beispielsweise aus Großbritannien und den USA zusammen. Kritiker wie der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Gerhard Schick, oder Attac-Vordenker Peter Wahl reicht diese Kontrolle allerdings nicht. Sie fordern eine einheitliche europäische Bankenaufsicht, die alle Institute erfasst und nicht nur die wenigen Großbanken.


Bankenregulierung? Wird schon umgesetzt.


Ratingagenturen und Hedgefonds


Ratingagenturen wie Standard&Poors oder Moody´s sind mitverantwortlich für die Krise, weil sie verpackte Immobilienkredite und andere Wertpapiere zu positiv bewerteten. Gestützt auf die guten Ratings verkauften die Banken risikoreiche, inzwischen wertlose Papiere in alle Welt. Kritiker führen die mangelhafte Bewertungspraxis der Agenturen auch darauf zurück, dass diese von den Banken, die die Wertpapiere verkauften, für die Ratings bezahlt wurden. Als Konsequenz will man die Agenturen nun einer Registrierungspflicht und Kontrolle unterwerfen. Ein entsprechender Entwurf der Europäischen Kommission wird schon im EU-Parlament beraten. Um die Qualität der Ratings zu verbessern, sollte „Europa eine eigene Zertifizierung für Ratingagenturen entwickeln“, sagt außerdem Thomas Straubhaar, Chef der Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI).


Auch für Hedgefonds, die mit großen Summen geliehenen Geldes risikoreiche Geschäfte betreiben, ist das lockere Leben bald vorbei. In Umsetzung der G20-Pläne hat US-Finanzminister Thimothy Geithner angekündigt, dass sich die wichtigsten Hedgefonds künftig registrieren und beaufsichtigen lassen müssen. Ähnliches ist in Europa geplant – die EU-Kommission arbeitet an einem Entwurf.


Aufsicht über Agenturen und Hedgefonds? Kommt.


Steueroasen


Auf diesem Feld ist im vergangenen halben Jahr soviel passiert, wie vorher nicht in Jahrzehnten. Die USA haben das Bankgeheimnis der Schweiz geknackt und die Großbank UBS gezwungen, Daten von möglichen US-Steuerhinterziehern herauszugeben. Bislang unkooperative Länder wie Liechtenstein und die Kanalinseln kündigten an, ausländischen Finanzämtern gegen Steuerflucht zu helfen. Steuerhinterziehung gehört zwar nicht zu den Ursachen der Finanzkrise, doch Finanzminister wie Peer Steinbrück nutzen jetzt die Gunst der Stunde, um die bisherigen Steueroasen zur Zusammenarbeit zu bewegen. Um den Druck zu erhöhen, könnte der G20-Gipfel in London eine Liste der noch existierenden Steueroasen und möglichen Strafmaßnahmen veröffentlichen. Die chinesische Regierung ist dagegen, weil auch Kapital aus der Volksrepublik, das in Singapur oder Hongkong liegt, betroffen sein könnte.


Austrocknung von Steueroasen? Läuft bereits.


Internationaler Währungsfonds


Der IWF wird künftig mehr Geld erhalten, um Staaten in Krisenfällen zu unterstützen. Im Vorfeld des Londoner Gipfels wurde diskutiert die Reserven von 250 Milliarden auf 500 Milliarden Dollar aufzustocken. Zahlen enthält der Entwurf der Abschlusserklärung freilich noch nicht.


Mehr Geld für den IWF? Kommt.

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