Mehr Mensch als Maschine
Wie fair ist das Fairphone?
20. Jul. 2014 –
Erfolg – und alle können ihn sehen. Das Portraitfoto des Arbeiters Zhu Yu wird an die Wand der Eingangshalle projeziert – neben die Gesichter der anderen. Gestern war die Wahl, heute morgen stand das Ergebnis fest. 18 Kollegen vertreten von nun an die Interessen der Beschäftigten – und Zhu ist einer von ihnen. „Ich bin stolz“, sagt der 21Jährige, der in dieser Fabrik in China Smartphones zusammenbaut, die man auch in Deutschland kaufen kann.
Zhu trägt die Arbeitskluft der Firma Guohong: dunkelblaue Hose, hellblaues Hemd mit dem Firmenlogo über dem Herzen. Um das linke Handgelenk des stabilen Kerls liegt ein gelbes Plastikarmband mit dem Schriftzug der Los Angeles Lakers. Zhu ist Fan des Basketball-Teams aus Kalifornien. Jetzt aber ist er begeistert über sich selbst und seine Fabrik: „So eine Wahl gab es hier vorher noch nie.“
27 Kollegen haben ihm ihre Stimme gegeben. Nicht viele angesichts der Belegschaft von etwa 700. Aber es hat gereicht. In der Ecke steht noch die rote Pappkiste, die sie als Wahlurne benutzten. Jeder Beschäftigte konnte seinen Stimmzettel hineinwerfen und einen der Kandidaten wählen. Was hier gerade stattfindet, ist ein soziales Experiment, ein kleiner Versuch von Mitbestimmung in einem Land, in dem frei gewählte Vertretungen von Arbeitnehmern eigentlich nicht existieren.
Die Firma Guohong, die etwa fünf Millionen Smartphones jährlich herstellt, ist ein Zwerg im Vergleich zu Weltmarktfabriken wie Foxconn, die hunderte Millionen Telefone, Tablets und Laptops im Auftrag von Apple oder Samsung ausstoßen. Aber Guohong ist ein besonderer Betrieb. Er kooperiert mit Fairphone aus Amsterdam. Die niederländische Firma hat einen ziemlich großen Anspruch: Sie will erstmals beweisen, dass man Smartphones unter Bedingungen herstellen kann, die sozial und ökologisch halbwegs akzeptabel sind.
In Fabriken die für Apple produzierten, sprangen ArbeiterInnen vom Dach in den Tod, weil sie den Druck und die Perspektivlosigkeit nicht mehr aushielten. Hier bei Guohong sollen die Arbeitsbedingungen besser sein. Deshalb „Fairphone“. Die Frage ist: Stimmt das? Und wie fair kann ein Smartphone heute überhaupt produziert werden?
Zhu arbeitet an den Produktionsbändern, die in der zweiten und dritten Etage des fünfstöckigen, grauen Fabrikgebäudes stehen. In diesen Wochen produzieren er und seine KollegInnen die zweite Serie der Alternativ-Handys – 35.000 Stück. Die ersten 25.000 sind seit Anfang des Jahres bei den Kunden in Betrieb.
Um reinzukommen, muss jeder durch die Kontrolle der beiden Sicherheitsleute. Plastikmantel anziehen, Käppi auf den Kopf und Überzieher für die Schuhe, eigenes Smartphone abgeben, außerdem die Armbanduhr – warum dies so ist, weiß keiner.
Drinnen bewegt sich das grüne Fließband gemächlich vorwärts. Daran sitzen zu beiden Seiten jeweils gut 20 Arbeiter. Sie bauen nacheinander die Festplatte, die berührungsempfindliche Glasoberfläche und andere Kompenenten in die Metallrahmen des Fairphones ein. Winzige Schräubchen, mit elektrischen Schraubern angezogen, halten das Ganze zusammen. Software draufspielen, Funktionen testen. Hektik herrscht nicht am Band, aber Monotonie – bis zu 1.200 Mal am Tag dieselben Handgriffe. So viele Fairphones schafft die Mannschaft.
Hier also will der gewählte Repräsentant helfen „die Interessen der Arbeiter“ zu vertreten. Welche sind das? „Ich möchte über das Geld des Sozialfonds mitentscheiden“, sagt Zhu. In diesem stecken mittlerweile 120.000 Dollar, umgerechnet rund 86.000 Euro. Für jedes verkaufte Fairphone haben die Amsterdamer zwei Euro eingezahlt, die Firma Guohong ebensoviel. Damit will man den Lohn der Beschäftigten im Vergleich zur normalen Produktion aufbessern. Würde das Geld einfach gleichmäßig auf alle Arbeiter und Angestellten der chinesischen Firma verteilt, bekäme jeder etwa 125 Euro zusätzlich – das entspräche etwa einem Drittel eines durchschnittlichen Arbeiter-Monatslohns.
Bisher wurde erst ein kleiner Teil nach diesem Prinzip ausgeschüttet. Künftig werden die Beschäftigtenvertreter Vorschläge aus der Belegschaft sammeln. Soll man die Mittel beispielsweise dafür verwenden, den Lohn aufzustocken, Fortbildungskurse für Englisch zu bezahlen oder die Kantine und das Essen verbessern? „Dass alle an einem so wichtigen Punkt mitwirken können, war früher undenkbar“, sagt Zhu. Die Existenz des Sozialfonds bringt ihn zu der Schlussfolgerung: „Wegen der Kooperation mit Fairphone sind die Bedingungen tatsächlich jetzt besser als früher.“ Wieso aber lassen die Institution ein dieses demokratische Verfahren überhaupt zu? „Weil es hier nicht um Politik geht, sondern um wirtschaftliche Angelegenheiten der Firma“, erklärt Weif Chen, Vizepräsident von Guohong.
Der Ort für diese Debatten ist der Versammlungsraum im Erdgeschoss. Dort stehen lange, dunkelbraune Holztische, so schwer, dass sie nur ein Kran bewegen kann. In den breiten Stühlen nehmen an diesem Vormittag erstmal die gewählten Repräsentanten Platz. Es herrscht Befangenheit. Keiner traut sich, das erste Wort zu ergreifen. Es gibt weder einen Vorsitz, noch eine Moderation oder Redeliste. Schließlich reisst der Chef der Kantine, ein breiter Mann mit dickem Nacken, die Initiative an sich. Dann redet er, und redet, und redet. Geraume Zeit dauert es, bis Zhu seine Zurückhaltung überwindet. Für ihn steht fest, dass auch die Lohnfrage auf den Tisch muss. Manchmal würden beispielsweise die Zulagen für Überstunden nicht korrekt ausgezahlt, bemängelt er.
Wie sieht es überhaupt aus mit der Bezahlung, ist die jetzt fair – dank Fairphone? Mit dem Lohnsystem kennt sich Zeng Ying aus. Die Frau mit den langen dunklen Haaren und der dunklen Stimme ist 28 Jahre alt, hat Ökonomie in der benachbarten Stadt Chengdu studiert und ist bereits Personalverantwortliche der Firma. Sie sagt, dass ein Arbeiter in der normalen Produktion, in der Smartphones für den chinesischen Markt entstehen, maximal rund 3.000 Yuan monatlich verdient (etwa 330 Euro), inklusive Leistungs- und Überstundenzuschlag. Die 45 Fairphone-Beschäftigten erhalten nur geringfügig mehr Lohn, nämlich 200 Yuan (22 Euro) zusätzlich. Das aber auch nur für die rund zwei Monate, in denen die Fairphones hergestellt werden. Länger dauert es nicht, 35.000 Stück zu produzieren.
Ohne oder mit Fairphone-Zuschlag verdienen die Arbeiter bei Guohong so nicht besser als ihre Kollegen in den umstrittenen Foxconn-Fabriken. Und ein grundsätzliches Problem besteht auch hier: „Mein Lohn reicht für mich“, sagt Arbeiter-Vertreter Zhu, „für eine Familie aber nicht.“ Noch hat der Mann keine Frau und Kinder. Und was ist später? „Wenn ich eine Familie gründen will, muss ich mir eine besser bezahlte Arbeit suchen“. So ist das in sehr vielen chinesischen Fabriken. Die Produktion beruht darauf, dass hunderte Millionen junger Leute für niedrige Löhne schuften. Bezahlung, die Reproduktion ermöglicht, ist nicht vorgesehen.
Damit widerspricht die Entlohnung in der Fairphone-Firma einer Forderung, die Kritiker wie Germanwatch oder die Asiatische Fabriklohn-Kampagne immer wieder erheben: Die Unternehmen sollen „Existenzlöhne“ zahlen, die es Arbeiterfamilien auch ermöglichen, Kinder aufzuziehen, sie in die Schule zu schicken und für´s Alter anzusparen.
„Wir haben das Ziel, allen Fairphone-Beschäftigten existenzsichernde Löhne zu zahlen“, sagt Tessa Wernink, die Sprecherin von Fairphone aus Amsterdam, die zur Wahl der Arbeitervertreter nach Chongqing gereist ist. Warum machen sie es dann nicht einfach? Um den Lohn für Arbeiter am Fairphone-Band für zwei Monate zu verdoppeln, müsste der Endverkaufspreis nur um einen Euro pro Gerät steigen. Und sollten alle Guohong-Arbeiter zwei Monate den Familienlohn erhalten, würde das Alternativphone nur um 13 Euro teurer.
Warum also geht das nicht? Wernink begründet: Es sei nicht möglich, die Beschäftigten am Fairphone-Band deutlich zu bevorzugen gegenüber ihren Kollegen in den normalen Produktionslinien. „Diese würden sich benachteiligt fühlen. Das wäre eine Zerreißprobe für die Belegschaft und die Firma.“ Und kann man nicht allen deutlich mehr zahlen? „Nach der Fairphone-Produktion, die nur zwei Monate dauert, müsste Guohong die Beschäftigten dann wieder auf den Normallohn zurückgestufen“, erklärt Wernink. Auch in diesem Fall wäre das vermutliche Ergebnis Unzufriedenheit in der Firma. Angesichts der geringen Gewinnmargen bei den normalen Smartphones, die Guohong auf dem chinesischen Markt verkaufe, kann sich die Firma den doppelten Lohn angeblich nicht leisten.
Ein großer Anspruch trifft hier auf die Realität. Das Fairphone ist nicht komplett fair, sondern nur in einigen Punkten sozialverträglicher als die Produkte der Konzerne. „Wir demonstrieren, dass strukturelle Verbesserungen möglich sind“, sagt Wernink und verweist auf den Sozialfond. Man arbeite auch an einer Analyse, wie hoch der Existenzlohn sein sollte. „Das System auf den Kopf stellen können wir aber nicht. Dafür ist Fairphone augenblicklich noch zu klein.“
Weitere schrittweise Verbesserungen im Vergleich zum früheren Zustand sind diese: Nach sechs Arbeitstagen haben die Fairphone-Leute einen Tag frei – was sonst nicht garantiert ist. Die Überstunden sind auf zwei am Tag begrenzt. In der normalen Produktion können es sonst deutlich mehr werden. Trotzdem überschreitet die Fabrik auch in der Fairphone-Produktion oft die gesetzlich erlaubte Maximalarbeitszeit von 49 Stunden pro Woche – ein weit verbreiteter Missstand in chinesischen Fabriken. Dagegen steht ein zusätzlicher Pluspunkt: Zwei der im Fairphone verwendeten Metalle – Kupfer und Tantal – stammen aus zertifizierten Minen im Kongo, die angeblich nicht von Kriegsherren beherrscht werden und keine Sklavenarbeiter ausbeuten.
Für die Fairphone-Leute in Amsterdam und wohlhabende deutsche Verbraucher in Freiburg, Bielefeld, Essen oder Berlin, die mit Hilfe ihres Konsums Gutes tun wollen, mögen solche Fragen zentral sein. Arbeiter Zhu Yu interessiert aber mindestens genauso, wie es mit der Cafeteria in seiner Fabrik weitergeht.
Wer wissen will, was er meint, muss aus der Eingangshalle der Fabrik über den Vorplatz ins gegenüberliegende Gebäude gehen, und dann die schlüpfrige Treppe hinunter in den Keller. Der sportplatzgroße Raum mit den quadratischen Betonpfeilern ähnelt einer Tiefgarage, alte Tische und Stühle stapeln sich entlang der Wände, Dunst wabert. An der Essenausgabe stehen die jungen Guohong-Beschäftigten in langen Schlangen. Dort holen sie sich mit Blechtabletts Reis, Gemüse, Nudeln und Fleisch.
Über die Frauen auf der anderen Seite des Tresens gibt es jede Menge Beschwerden. Sie würden die Arbeiter benachteiligen, ihnen weniger Essen ausschenken, als den Angestellten, sie anschreien und beleidigen. Zhu und viele seiner Kollegen fühlen sich schlecht behandelt. Aber auch für so etwas soll die Vertreterversammlung ein Ventil sein: Man darf beispielsweise den Küchenchef einladen. Hat das erste Gespräch mit ihm etwas gebracht? Er ist stur. Trotzdem sagt einer der gewählten Repräsentanten: „Die Zeit, in denen wir nur gearbeitet haben wie Maschinen, ist vorbei.“
Fairphone – seine Herkunft
Die Idee stammt aus Amsterdam, das Telefon aber kommt aus Chongqing in der Provinz Sichuan, rund 1.100 Kilometer nordwestlich von Hongkong: sieben Millionen Einwohner, dazu gehören weitere 21 Millionen drumherum. Die Hochhäuser auf den steilen Hügeln sind tatsächlich Wolkenkratzer, denn sie stehen oft im Nebel der Flüsse Yiangtse und Yialing, die es von hier aus nicht mehr weit haben bis zum Dreischluchten-Staudamm. In der Stadt trug sich in den vergangenen Jahren das Drama um den Parteichef Bo Xilai zu, der unter anderem wegen angeblicher Verwicklung in den Mord an einem britischen Geschäftsmann zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.
Fairphone – seine Wirkung
Etwa 60 Prozent der Fairphones haben bisher Leute aus dem deutschsprachigen Raum bestellt. Vor Österreich und der Schweiz steht Deutschland an der Spitze. Später folgen die Niederlande und Großbritannien. Die Berichte über die schlechten Arbeitsbedingungen in der Produktionskette der Elektronikkonzerne, unter anderen in den Apple-Foxconn-Fabriken, scheinen besonders in diesen Ländern eine Wirkung hinterlassen zu haben. Weif Chen, Vizepräsident von Guohong, der Fairphone-Fabrik, beobachtet diese Entwicklung genau. Mit dem Alternativ-Telefon versucht er, seine Firma gegen Apple und die anderen großen Hersteller zu positionieren und einen neuen Markt zu eröffnen. Er sagt: „Wir bieten den Konsumenten nicht nur ein Smartphone, sondern ein Konzept.“