Mein Preis, dein Preis

Welches Produkt künftig im Einkaufswagen liegen soll, lässt sich angeblich mathematisch berechnen. Mit diesem Geschäftsmodell will ein Berliner Start-up Geld verdienen. Dank der Vorhersage lassen sich Preise für jeden Kunden passgenau zuschneidern.

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10. Nov. 2015 –

Raimund Bau weiß genau, was seine Kunden im Supermarkt gerne einkaufen. Bonbons mit Zitronengeschmack oder lieber Himbeer? Die Getränke in der Flasche oder im Tetra-Pack? Frisches Obst und Gemüse oder doch eher die Tiefkühlvariante? „Wir lernen aus den Einkaufskörben der Kunden ihre Vorlieben“, sagt Bau. Der Marketing-Experte ist Gründer und Geschäftsführer von So1.


Mit „wir“ meint Bau eine Software, eine künstliche Intelligenz, die er gemeinsam mit seinen Kollegen entwickelt hat. Grundlage ist ein Algorithmus, der sich nicht nur die Lieblingswaren der Kundschaft merkt, sondern genau ausrechnet, was auch beim nächsten Einkauf in den Wagen wandern wird. Diese Vorhersage ist viel Geld wert – vor allem für den Einzelhandel. Passend zur Prognose schlägt der Algorithmus den Einkäufern maßgeschneiderte Angebote vor.


Ein Beispiel: Beim aktuellen Einkauf entscheidet sich die Familie für Schokoladencreme, Backpulver und Apfelsaft. Allerdings nicht vom Markenhersteller sondern vom billigeren Anbieter. An der Kasse speichert die Kassiererin die eingekauften Waren auf der Kundenkarte der Familie. Beim nächsten Besuch im Laden verspricht der Händler der Familie einen Sonderpreis - auch für Schokoladencreme und Backpulver. Aber nicht für die unbekannten Hersteller sondern für Nutella und Dr. Oetker. Dazu gibt es noch ein Angebot für Marmelade. Schließlich scheint der Kunde gerne Süßes zum Frühstück zu essen. Und eines für den neuen Mangosaft des Getränkeherstellers.


Persönliche Daten wie Namen, Alter, Adresse braucht Marketingfachmann Bau für Prognose und Angebot nicht. „Unsere Software kann nur über das Einkaufsverhalten auf die Vorlieben und Zahlungsbereitschaft der Konsumenten schließen“, sagt Bau. Ganz ohne Registrierung geht es allerdings nicht. Schließlich müssen die Einkaufsvorlieben auch einer Person zugeordnet werden. Der Kunde muss einen „Kanal“ schaffen, um an das Angebot heranzukommen. Von den Rabatten erfährt der Schnäppchenjäger beispielsweise über eine Kundenkarte oder eine App.

 

Was nach Einkaufen in der Zukunft klingt, testet derzeit die Supermarktkette Kaiser's Tengelmann in Berlin und Brandenburg. Für den Test hat das Unternehmen die „ExtraKarte“ erfunden. Vor jedem Einkauf kann der Kunde seine Kundenkarte an einer „Spar-Station“ scannen. Der rote Kasten am Eingang des Ladens spukt dann die maßgeschneiderten Rabatte aus. An der Kasse wird der Schnäppchenpreis verrechnet. Die Idee soll sich für den Supermarkt auszahlen. Das Unternehmen erwarte sich davon eine Steigerung der Kundenfrequenz, höhere Kundenloyalität und letztlich auch höhere Umsätze, teilt eine Sprecherin von Kaiser's Tengelmann mit.


Dass die Karte anonym ist und persönliche Daten nicht notwendig sind, ist nur ein Nebeneffekt des individuellen Rabattköders. Laut Tengelmann wurde die ExtraKarte seit Mai von mehr als 360.000 Menschen in Berlin und Brandenburg genutzt. Auch bundesweit will die Supermarktkette die Rabattkarte einsetzen. Man beobachte den Erfolg regelmäßig und prüfe, ob eine Ausweitung sinnvoll sei, heißt es aus der Unternehmenszentrale in Mühlheim an der Ruhr.


Datenschützer freuen sich über die neue Kundenkarte bei Kaiser's. Schließlich kennen die Verbraucherzentralen etliche Fälle, in denen Kunden leichtfertig Email-Adressen oder Telefonnummern preisgeben und dann mit Werbung bombardiert werden. Dieses Problem sollte bei der Kaiser's Kundenkarte nicht der Fall sein. „Verbrauchern muss aber dennoch klar sein, dass über Rabattkarten Ihr Einkaufsverhalten und Ihre Zahlungsbereitschaft analysiert werden“, sagt Miika Blinn, Experte für Digitales und Medien beim Verbraucherzentrale Bundesverband. „Ziel ist es den Umsatz zu steigern, in dem Kunden gezielt angesprochen werden.“


Ob das personalisierte Marketing tatsächlich eine ernstzunehmende Konkurrenz für die Payback-Angebote oder die Kundenkarten einzelner Geschäfte sind, ist fraglich. Die Payback-Karte gibt es bereits seit 15 Jahren. Als sie im Jahr 2000 auf den Markt kam, schlugen Datenschützer Alarm. Sogar den Preis für die „Daten-Krake“ des Jahres bekam die Rabattkarte verliehen. Heute nutzen dem Unternehmen zufolge mehr als 27 Millionen Kunden die Payback-Karte.

Das ganze funktioniert über ein Punktesystem. Supermärkte, Drogerien, Tankstellen und sogar Apotheken gehören zum Netzwerk. Wird die Karte beim Einkauf vorgezeigt, gibt es für jeden Euro Punkte. Für sie gibt es nicht nur Preisnachlässe, sondern auch Prämien oder Gutscheine. Mit den Daten der Kunden werde sehr sorgsam umgegangen, heißt es bei Payback, die Teil der American Express Group ist. Diese Informationen lägen lediglich dem Einzelhändler vor, bei dem sich der Kunde für die Karte registriert hatte und natürlich Payback in Deutschland. Informationen würden weder an andere Geschäfte noch ans Ausland weitergegeben. Die firmeneigenen Datenschutzvorgaben hat Payback sich vom TÜV Saarland zertifizieren lassen.

Ihr größter Konkurrent ist die DeutschlandCard. Den Angaben nach sammeln mehr als 15 Millionen Kunden Punkte bei den Vertragspartnern. Auch hier betont man, dass der Datenschutz oberste Priorität hat. Jeder Teilnehmer muss bei der Anmeldung zum DeutschlandCard Programm ausdrücklich zustimmen, ob er Werbung bekommen möchte und seine Daten weiterverwendet werden dürfen. Freiwillig hat das Unternehmen einen Datenschutzbeauftragten bestellt.

Zwei Jahre haben Bau und seine Kollegen an den neuen Algorithmen geforscht. Über Kaiser's Tengelmann hat das Start-up den Einstieg in den Einzelhandel gewagt. Sie locken die Kunden nicht nur über den Preis, sondern auch die Herkunft der Waren. „Wer Spreewald-Gurken kauft, der interessiert sich vielleicht auch für andere Ost-Produkte“, sagt Bau. Das gleiche Prinzip gilt für Waren in Bio-Qualität oder mit der Vegan-Kennzeichnung. „All diese Angebote bekommt man im klassischen Prospekt nicht unter.“

In den kommenden Monaten wollen vier weitere Unternehmen So1 unter Vertrag nehmen. Dann könnten bis zu fünf Millionen Kunden, vom persönlichen Marketing-System erfasst werden. Auch in Großbritannien und in den USA wollen Bau und seine Kollegen Fuß fassen. „In kaum einem anderen Land haben die Menschen so viele Kundenkarten wie in den USA“, sagt Bau.

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