Menschenrechte sind nicht umsonst

Kommentar zum Fabrikeinsturz in Bangladesh und den Folgen

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Von Hannes Koch

24. Apr. 2014 –

Die schrecklichen Bilder der eingestürzten Textilfabrik in Bangladesh sind jetzt wieder in allen Medien. Vor einem Jahr starben über 1.100 Menschen und viele hundert wurden verletzt, als das Gebäude zusammenbrach, in dem auch für deutsche Geschäfte Kleidung genäht worden war. Trotz allem: Diese Katastrophe hat Fortschritte bewirkt.

 

Während sie sich vorher weigerten, zahlen internationale Textilkonzerne nun Entschädigungen an die Opfer. Vielleicht zu wenig – aber immerhin. Außerdem haben viele Unternehmen ein Abkommen mit Gewerkschaften in Bangladesh geschlossen, um die Gebäude sicherer zu machen und den Vertretern der Beschäftigten mehr Einfluss zu verleihen. Nicht zuletzt sind die Löhne in der Textilindustrie des asiatischen Landes gestiegen. Das sind wichtige Verbesserungen.

 

Auch in Europa hallt das Unglück nach. Dass die hiesigen Medien breit über den Jahrestag berichten, zeigt, wie nahe das Thema vielen Menschen geht. Und diese Aufmerksamkeit ist kein nur punktuelles Phänomen. Denn seit Jahren nimmt der Marktanteil von Produkten zu, die auf ökologisch und sozial verantwortliche Weise hergestellt werden. Mehr Bürger kaufen Lebensmittel, Kleidung und Smartphones, von denen sie beispielsweise wissen, dass die Produzenten vernünftige Löhne erhalten. Allerdings bleibt diese positive Entwicklung bisher auf Nischen und Randmärkte beschränkt, die nur wenige Prozent der gesamten Wirtschaft ausmachen.

 

Der große Teil des Marktes funktioniert wie früher. Ein zentrales Kriterium ist der günstige Preis. Dafür nehmen viele Verbraucher sogar sinkende Qualität in Kauf. Die Drei-Euro-T-Shirts aus den Billiggeschäften kann man ja nach dem dritten Waschen wegwerfen. Spielt aber keine Rolle, weil der Preis gegen Null tendiert. Auf der Basis solch haarsträubender Erwägungen boomt das Schnäppchen-Segment, die Zahl der Geschäfte steigt.

 

Fortschritt freilich ist immer umkämpft. Ökonomische Mechanismen können ihn bremsen oder befördern. Eine große Rolle spielt dabei das Verhalten einzelner Menschen und Bevölkerungsgruppen. Denn individuelle Vorlieben und Kaufentscheidungen beeinflussen das Wirken der Märkte. Einen noch stärkeren Einfluss allerdings hat die Politik. Sie bestimmt die Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns. An die Gesetze müssen sich die Unternehmen halten.

 

Der deutsche Gesetzgeber solle deshalb mehr tun, fordern unter anderem das katholische Hilfswerk Misereor, die Bürgerrechtsorganisation Germanwatch und die Gewerkschaft Ver.di. Ein Gesetz müsse her, um in Deutschland ansässige Unternehmen dazu zu verpflichten, die sozialen und politischen Rechte ihrer Arbeiter in den weltweiten Produktionsketten zu schützen – also auch in den Nähereien Bangladeshs und an den Fließbändern Chinas.

 

Erhalten die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Zulieferfirmen Löhne, die zum Leben reichen? Haben die Unternehmen stabile Gebäude errichtet? Waren Notausgänge vorhanden? Können die Beschäftigten unabhängige Vertretungen wählen? Wenn nicht, hätten die Arbeitnehmer der Zulieferfabriken das Recht, vor deutschen Gerichten gegen die hiesigen Handelsketten auf Schadensersatz zu klagen – ein vermutlich sehr wirksames Instrument. Die zugrundeliegende Rechtsnorm existiert bei den Vereinten Nationen bereits. Allerdings wird sie in den Nationalstaaten kaum durchgesetzt, auch in Deutschland nicht.

 

Warum? Es würde KiK, NKD, C&A, Metro, Karstadt, Saturn, Media Markt und all die anderen Handelskonzerne Geld kosten. Höhere Löhne, bessere Gebäude, Krankenversicherung: Menschenrechte sind nicht umsonst. Weil die Bundesregierung das weiß, ist sie einerseits zu lasch. Aber sie ist auch hin- und hergerissen zwischen den Wirtschaftsinteressen und der Forderung nach Fortschritt. Vielleicht kommt das Gesetz irgendwann: Dann würde es mehr Kraft entfalten, als die individuellen Kaufentscheidungen von Konsumenten.

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