Merkel hat die Mehrheit

Sieht die Kanzlerin eine Chance für ein drittes Griechenland-Paket, bekommt sie von ihrer Fraktion die geforderte Unterstützung

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Von Hannes Koch

10. Jul. 2015 –

Die kritischen Äußerungen zu Griechenland in der Unionsfraktion im Bundestag sind lauter geworden. Beispielsweise Fraktionsvize Ralph Brinkhaus, direkt gewählter Abgeordneter aus Gütersloh, hegte am Freitag öffentlich Zweifel an der „Glaubwürdigkeit“ der neuen griechischen Reformvorschläge. Seltsamerweise würde die Regierung in Athen nun das zubilligen, was sie vor ein paar Tagen noch abgelehnt habe. Kollege Hans-Peter Friedrich von der CSU ging einen Schritt weiter und bezeichnete die Sparliste von Ministerpräsident Alexis Tsipras als „Trick“.

 

Solche Äußerungen waren in jüngster Zeit häufiger zu hören als früher. Parallel zur steigenden Pleitegefahr beim südlichen Euro-Mitglied nahm der Konflikt darüber zu, ob jetzt nicht mal Schluss sein müsse mit den endlosen Verhandlungen. Und nun wird der Bundestag zu Beginn der kommenden Woche möglicherweise über den Start eines dritten Griechenland-Kreditprogramms abstimmen. Sollten die europäischen Institutionen die neuen Vorschläge aus Athen als tragfähig betrachten, braucht Bundeskanzlerin Angela Merkel dann die Stimmen ihrer Abgeordneten. Deshalb stellt sich die Frage: Welche Mehrheit hat die Kanzlerin noch, wenn sie der griechischen Regierung eine weitere Chance geben will?

 

Schon bei den zurückliegenden Abstimmungen im Bundestag war das massive Unwohlsein in der CDU-CSU nicht zu übersehen. 29 der 311 Unionsabgeordneten stimmten im Februar offen gegen die Verlängerung des zweiten Griechenland-Programms. Hinzu kamen einige Enthaltungen. Dutzende Abgeordnete aus Merkels Fraktion gaben außerdem kritische Erklärungen zu Protokoll.

 

Seitdem ist die Auseinandersetzung schärfer geworden – auch wegen des Referendums, bei dem die griechische Bevölkerung die europäischen Sparauflagen ablehnte. So ging der einflussreiche Merkel-Kritiker Wolfgang Bosbach so weit, dass er die Mehrheit in der Fraktion für ein weiteres Hilfsprogramm öffentlich in Frage stellte. Der Vorsitzende des Bundestags-Wirtschaftsausschusses, Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), empfahl schlicht: „Schluss machen. Schluss. Aus.“ Die Liste der öffentlich aktiven Zweifler ließe sich um mehrere Namen fortschreiben.

 

Am Freitag nun – kurz nach den neuen Vorschlägen aus Griechenland - fand zunächst keine organisierte Meinungsbildung in der Union im größeren Rahmen statt. Die Skepsis gegenüber der Athener Last-Minute-Initiative war aber deutlich zu hören. „Da muss noch Butter bei die Fische“, hieß es. Insgesamt hatte man sich verabredet, auf die Bewertung der Tsipras-Liste durch die Euro-Finanzminister, die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank (EZB) und den Internationalen Währungsfonds (IWF) zu warten.

 

Sollte die Bewertung positiv ausfallen, wird das Merkel-Lager am Wochenende intensive Gespräche mit den Kritikern führen, um den Ausgang der Bundestagsabstimmung zu beeinflussen. Manche Unionspolitiker hatten jüngst schon versucht, Dampf aus dem Topf zu lassen. So widersprach Unionsfraktionsvize Thomas Strobl dem Eindruck, dass der Rückhalt für Merkel abnehme: „Das sehe ich überhaupt nicht.“ Peter Hintze, der Chef der nordrhein-westfälischen CDU-Landesgruppe im Bundestag, pflichtete ihm bei.

 

Sollte doch noch eine Einigung mit Griechenland erreichbar erscheinen, wird ein wesentlicher Punkt der Argumentation dieser sein: Was Merkel nützt, ist gut für die Union. Die Pleite Griechenlands, der Zusammenbruch seiner Wirtschaft, der Austritt aus dem Euro, die grassierende Verarmung von zehn Millionen Menschen würden jedoch Merkels Image als erfolgreiche Spitzenpolitikerin schwer beschädigen. Ihr Satz „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ ist nicht aus der Welt zu schaffen. Eine Einigung mit Griechenland dient damit der Kanzlerin und auch der auf sie zugeschnittenen Partei eindeutig mehr als der Grexit. Dieser Logik werden sich die meisten Unionsabgeordneten, die wiedergewählt werden möchten, nicht verschließen. „Wenn die drei Institutionen EU-Kommission, EZB und IWF Ja sagen, geht die Fraktion mit“, vermutet deshalb ein Mitarbeiter, der nicht genannt werden will.

 

Und klar ist auch: Schon alleine verfügt die Union fast über die absolute Mehrheit der Stimmen im Bundestag – 311 von 316. Zusammen mit der SPD bekäme Merkel die Mehrheit für ein Griechenlandpaket mit großer Wahrscheinlichkeit zusammen – wenn sie es will. Die Frage lautet, welchen Preis der Gegenwehr sie zu zahlen bereit ist. Bis zu 60 Gegenstimmen in der Fraktion – etwa ein Fünftel der Mitglieder – seien gerade noch verkraftbar, hieß es.

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