Neue Klimaklage eingereicht

Jugendliche wollen Regierung zum Handeln zwingen

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Von Björn Hartmann

19. Okt. 2022 –

Sie wollen es noch einmal wissen: Weil sie die Arbeit der Bundesregierung für den Klimaschutz nicht für ausreichend halten, ziehen neun Jugendliche vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. „Ich fordere mein Recht auf Zukunft ein“, sagt die 14-jährige Marlene. Linus Steinmetz(18) ergänzt: „ Wir müssen die Bundesregierung dazu bringen, Ziele festzuschreiben.“ Es ist die erste Beschwerde dieser Art gegen die Bundesrepublik vor dem Gerichtshof (EMGR) in Den Haag.

Mit Klagen gegen die Bundesregierung kennen sich die Jugendlichen bereits aus: 2021 hatten sie vor dem Bundesverfassungsgericht ein wegweisendes Urteil erstritten: Die Richter bezeichneten das Klimaschutzgesetz der damaligen großen Koalition als unzureichend, weil es die Belange künftiger Generationen nicht ausreichend berücksichtigte. Es war das erste Mal, dass die Richter derartig entschieden. Das Gesetz, das seit 2019 galt, musste nachgebessert und verschärft werden.

Aus Sicht der Jugendlichen reicht aber auch die Neufassung nicht aus, um das Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 einzuhalten. Ihnen fehlen konkrete Maßnahmen. Aus ihrer Sicht hält sich die Bundesregierung beim Klimaschutz zu sehr zurück. Deshalb hatten sie im Januar eine weitere Verfassungsbeschwerde eingereicht, die das Bundesverfassungsgericht im Juni ablehnte.

Jetzt muss sich der EMGR damit beschäftigen (Az. 469 06/22). Die Jugendlichen berufen sich auf die Artikel 2 und 8 der deutschen Menschenrechtskonvention: Recht auf Leben und Recht auf Achtung des Privat-und Familienlebens. Unterstützt werden sie wie bereits bei den Verfassungsbeschwerden von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) – organisatorisch und finanziell. Das Verfahren vor dem EMGR ist kostenlos.

Remo Klinger, Anwalt der Jugendlichen, erwartet, dass der Gerichtshof in Den Haag recht zügig entscheidet. Dort sind bereits zwei ähnliche Verfahren anhängig. Schweizer Klimasenioren und Jugendliche aus Portugal, die gegen alle 32 Staaten vorgehen, die den Menschengerichtshof tragen. „Die Beschwerden sind priorisiert, ich schätze, dass auch diese Beschwerde entsprechend behandelt wird“, sagt Klinger. Er erwartet in diesem Fall eine Entscheidung in einem bis eineinhalb Jahren.

„Seit der erfolgreichen ersten Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesregierung spüren wir die Klimakrise immer deutlicher“, sagt Marlene. „Wenn wir jetzt nicht handeln, wird sich die Situation weiter verschlimmern.“ Sie hatte die Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht vor einigen Jahren angestoßen, als sie an die DUH schrieb und fragte, ob man die Bundesregierung verklagen könne. Die Sorge der Jugendlichen: „Bereits 2030 droht, unser Treibhausgasbudget in Deutschland aufgebraucht zu sein“, sagt Mitstreiter Steinmetz, der auch bei Fridays for Future aktiv ist. „Dann müssten alle CO2- und Methan-Quellen abgeschaltet werden – oder ein lebenswertes Leben wäre nicht mehr möglich.“

Das Klimaschutzgesetz von 2019 sah vor, dass Deutschland den CO2-Ausstoß bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 verringert. Die Zeit nach 2030 war nicht geregelt. Für die Richter verschob das Gesetz hohe Lasten auf künftige Generationen, etwa immer schneller immer mehr CO2 einsparen zu müssen, was diese in ihren Freiheiten einschränkt.

Nach dem Verfassungsgerichtsurteil im April 2021 besserte die Regierung nach, der Bundestag beschloss die Neufassung im Juni 2021. Danach sollen 2030 nur noch 65 Prozent der Treibhausgasmenge von 1990 ausgestoßen werden. 2045 soll Deutschland dann treibhausgas-neutral sein. Das Treibhausgas-Restbudget wird nicht berücksichtigt. Es orientiert sich daran, wie viel CO2 Deutschland noch in die Atmosphäre pusten darf, wenn die Erderwärmung auf deutlich unter zwei, besser auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit begrenzt werden soll.

Die Umwelthilfe vermisst ein konkretes Einsparsofortprogramm, zum Beispiel im Verkehrssektor mit einem Tempolimit oder der Energiekennzeichnung von Neuwagen. Sie schlägt auch vor, der Bund solle jährlich 25 Milliarden Euro bereitstellen, um bestehende Wohngebäude energiesparend zu sanieren. Auch in Schulen sollte Geld gesteckt werden, die aus Sicht der DUH zu den marodesten öffentlichen Gebäuden gehören und riesige Energiemengen verbrauchen.

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