Neue Ladenschluss-Frage

Supermärkte sparen Energie. Und auch Personal fehlt

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Von Björn Hartmann

29. Okt. 2022 –

Aldi Nord geht voran: Von kommender Woche an schließen zahlreiche Märkte des Discounters bereits um 20 Uhr statt 21 oder gar 22 Uhr, was das Unternehmen öffentlichkeitswirksam Mitte Oktober verkündete. Das Ziel: teure Energie sparen. Andere Supermarktketten machen an einzelnen Standorten ohnehin schon früher das Licht aus. Experten vermuten, dass das Vorgehen noch etwas anderes kaschieren soll: Personalmangel. Und es könnte eine neue Debatte um den Ladenschluss entfachen.

Bereits im September hatte Thomas Gutberlet, Chef der hessischen Supermarktkette Tegut, vorgeschlagen, alle in der Branche sollten früher zumachen, um Energie zu sparen. Weil der Wettbewerb in der Branche hoch ist, fand das zunächst kaum Resonanz. Aldi, üblicherweise auch bei Preisvorgabe der Taktgeber, ging dann als erstes an die Öffentlichkeit. Die große Freiheit beim Einkaufen ist allerdings schon länger vorbei: In Berlin etwa schlossen einzelne Supermärkte bereits zuvor früher als üblich – 21 statt 22 Uhr. Noch vor der Corona-Pandemie im Jahr 2019 ließen sich in der Hauptstadt problemlos bis 23.30 Uhr eingelegte Gurken, Nudeln und Klopapier im Supermarkt einkaufen. Die Idee ist also nicht neu, der Hintergrund nicht nur Energiesparen.

Die Stromkosten sind ein großer Block in den Ausgaben eines Supermarkts. Und sie sind kräftig gestiegen. Der HDE berichtete im Juli davon, dass ein moderner Supermarkt mit 1000 Quadratmeter Größe inzwischen 140.000 statt 80.000 Euro für Strom ausgeben müsse. Und dass diese Mehrausgaben nicht vollständig über teurere Waren an die Kunden weitergegeben werden könnten. Schließen die Märkte früher, lässt sich also Strom sparen – allerdings nicht so viel, wie vermutet. Denn die Kühlung muss rund um die Uhr laufen, damit die Waren nicht verderben. Und sie verbraucht mit 48 Prozent fast die Hälfte des gesamten Stroms, wie das EHI Retail Institut in Köln ermittelt hat. Das EHI forscht im Auftrag des Handels und berät Unternehmen.

„Wenn die Unternehmen jetzt früher schließen, lösen sie auch ein mögliches Personalproblem in ihrem Geschäft“, sagt Stefanie Nutzenberger, im Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi zuständig für den Handel. „Beschäftigte aus dem Handel, haben sich andere Jobs gesucht, die vor allem bessere Arbeitszeiten haben. Die Branche ist für Nachwuchs unattraktiv.“ Sie spricht davon, dass Beschäftigte prekär eingesetzt wurden.

Der Handel leidet, wie viele andere Branchen auch unter Fachkräftemangel. In der Corona-Pandemie haben sich viele Beschäftigte in Deutschland in weniger gut bezahlter Arbeit neue Jobs gesucht. Verständlich aus Sicht der Gewerkschaft: „Beschäftigte im Einzelhandel sind oft gut ausgebildet, haben eine hohe soziale Kompetenz und können schnell reagieren – solche Personen sind auch in anderen Branchen gefragt“, sagt Nutzenberger.

Im Handel sind besonders viele Menschen in Teilzeit beschäftigt, oft mit Arbeitszeiten am frühen Morgen oder späten Abend. Tatsächlich ist die Zahl der Vollzeitbeschäftigten seit 2006, als der Ladenschluss Ländersache wurde, von 1,22 Millionen auf 1,19 Millionen im vergangenen Jahr gesunken. Gleichzeitig sind immer mehr Menschen in Teilzeit beschäftigt. Nach gut 658.000 im Jahr 2006 waren es 2021 rund 1,143 Millionen.

Vor allem im Lebensmitteleinzelhandel zeigen sich Lücken: Bereits in der Vergangenheit standen Kunden vor schlecht befüllten Regalen. Frischetheken für Käse und Wurst sind zum Teil ohnehin nicht mehr nach 18 Uhr besetzt. Wie zu hören ist, fehlt Personal mit den entsprechenden fachlichen Bescheinigungen.

Und häufig ist der Umsatz nach 21 Uhr auch übersichtlich. Oder wie es ein Mitarbeiter in einer zentral gelegenen Berliner Lidl-Filiale sagte: „Für die drei Bier, die wir um 22 Uhr verkaufen, lohnt es sich nicht, den Laden offen zu halten.“ Hinzu kommt, dass die Menschen wegen der hohen Inflation weniger ausgeben. Der Ausblick des Handels ist deshalb düster. Der entsprechende Index des Münchener Ifo-Instituts fiel im Oktober auf -31,9. Zum letzten Mal positiv blickte die Branche im Februar (6,3) in die Zukunft.

Stromsparen, fehlendes Personal, Kaufzurückhaltung: All das könnte eine neue Debatte über den Ladenschluss an sich entfachen.

„Es hat keinen Sinn, am Sonnabend um 23 Uhr Bier zu verkaufen. Das hat keine gesellschaftliche Relevanz“, sagt Verdi-Vorstandsmitglied Nutzenberger. „Es wird keine Probleme mit der Versorgung der Bevölkerung geben, wenn früher geschlossen wird.“ Für sie „rächt sich die umfassende Freigabe der Ladenschlusszeiten in manchen Bundesländern“. Nur Bayern und das Saarland begrenzen die Öffnungszeiten von Montag bis Sonnabend auf 6 bis 20 Uhr.

Die Branche beruft sich auf den Service, den sie dem Kunden bieten. Ein Manager schränkt aber ein: „Nur weil länger geöffnet ist, ist der Kunde ja nicht mehr.“ Der Umsatz verteilt sich also nur weiter über den Tag. Oder auch nicht, wie die aktuelle Situation zeigt. Nutzenberger hält engere Regeln für deutlich besser als die bestehende Lösung: „Geregelte Ladenschlusszeiten sind von Vorteil. Das gibt den Kunden klarere Zeiten, wann geöffnet ist, und verbessert die Arbeitsbedingungen im Handel. Dann wird die Branche auch wieder attraktiver.“

Deutschlands Einzelhändler setzten nach Angaben des Handelsverbands HDE 2021 rund 588,7 Milliarden Euro um, 36,9 Prozent davon entfielen auf den Lebensmitteleinzelhandel, den die vier großen Ketten dominieren: Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) stehen für drei Viertel des Geschäfts, wie die Ernährungsindustrie ermittelt hat. Apotheken, Brennstoffhändler, Autohäuser und Tankstellen zählen nicht zum klassischen Einzelhandel.

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