Neuerfindung der Währung
Die EZB entscheidet über digitalen Euro. Deutsche Banken sehen Risiken
18. Okt. 2023 –
Phase 1 ist beendet. Zwei Jahre lang hat die Europäische Zentralbank überlegt, wie ein neuer, rein digitaler Euro aussehen könnte. An diesem Mittwoch will der Rat der Bank entscheiden, ob Phase 2 beginnt, ob das neue E-Bargeld eingeführt werden soll. Experten rechnen mit einem Ja. Der digitale Euro gilt als Prestigeprojekt. Doch Kreditinstitute sind skeptisch – unter anderem wegen der zusätzlichen Macht, die die Zentralbank bekommen könnte.
„Die deutschen Banken unterstützen den digitalen Euro grundsätzlich, aber wir sehen einige Risiken“, sagt Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands, in dem private Geldinstitute wie Deutsche Bank, Commerzbank und ING organisiert sind. Da ist etwa die Sicherheit des Finanzsystems. Was für viele zu technisch klingt, betrifft aber doch alle, wie sich 2008 in der Finanzkrise zeigte. Damals drohte das Vertrauen ins Geld zu schwinden – mit unabsehbaren Folgen für Wirtschaft und Zusammenleben.
„Der digitale Euro könnte eine Art digitalen Bankrun auslösen, wenn alle Verbraucher im Fall einer Krise ihr Geld plötzlich abziehen wollen“, sagt Herkenhoff. „Das würde die Finanzstabilität der Euro-Zone gefährden. Die EZB muss hier vorsorgen.“ Und dann ist da noch so etwas wie die Sinnfrage: „Unklar ist bisher noch, was der digitale Euro den Verbrauchern genau bringt außer einer weiteren Möglichkeit, zu bezahlen“, sagt Herkenhoff.
Der digitale Euro wird eine Art Bargeld. Nur, dass er nicht als Scheine oder Münzen vorliegt, sondern virtuell. Auch sonst gibt es Parallelen. Wie klassisches Bargeld in einem Portemonnaie lässt sich der digitale Euro in einer digitalen Brieftasche (englisch: Wallet) aufbewahren. Eingeführt werden soll er, weil die Verbraucherinnen und Verbraucher zunehmend digital bezahlen. Dabei dominieren bisher US-Firmen wie die Kreditkartenunternehmen Mastercard und Visa oder Bezahldienste wie Apple Pay, Google Pay und Paypal. Die EZB will eine schnelle und sichere Möglichkeit anbieten, die beim Schuhhändler genauso funktioniert wie beim Bäcker – und ebenso anonym ist wie Bargeld. Es wäre eine einheitliche europäische Lösung, die es so bisher nicht gibt.
Technisch ist das alles anspruchsvoll. Er wird voraussichtlich auf einer vollkommen neuen Infrastruktur basieren, die anders funktioniert als die bestehende etwa für Karten. „Für den digitalen Euro arbeitet die EZB an einem einheitlichen europäischen Zahlungssystem. Parallel entwickeln auch die europäischen Geldinstitute ein solches System“, sagt Herkenhoff.
Die Sorge: Die EZB konzentriert zu viel Macht auf sich. „Wenn die EZB ein eigenes Zahlungsverkehrssystem aufbaut, wäre sie Notenbank, Aufsicht und Wettbewerber zugleich“, erklärt der Bankenverbandschef. Ganz unabhängig davon, wer das Zahlungssystem für den digitalen Euro aufbaut: Banken und Handel benötigen wohl künftig zwei Systeme, um klassische Zahlungen einerseits und die mit digitalem Euro andererseits abzuwickeln. Das kostet zusätzlich Geld.
Zudem fehlen den deutschen Banken wichtige Erkenntnisse. „Die EZB sollte dringend untersuchen, welche Folgen der digitale Euro für die Wirtschaft und die Stabilität des Finanzmarkts hat. Und zwar, bevor die Währung überhaupt eingeführt wird“, sagt Herkenhoff. „Und zwar, bevor die Währung überhaupt eingeführt wird.“ Er fordert zudem eine breite politische und vor allem öffentliche Debatte. „Das sehen wir bisher noch nicht.“ Man müsse genau erklären, was die Währung solle und wie sie funktioniere, sonst sei die Akzeptanz gering, sagt der Bankenverbands-Chef. Bei allem sei wichtig: „Es gibt auch weiterhin klassisches Bargeld. Die EU-Kommission hat das so festgelegt und das finden wir auch richtig.“
Beobachter erwarten, dass der EZB-Rat am Mittwoch entscheidet, die Einführung des digitalen Euro vorzubereiten. Offenbar sollen drei oder vier Notenbanken in Euro-Ländern federführend jeweils bestimmte technische Aspekte entwickeln. Auch die Bundesbank will dem Vernehmen nach in größerem Umfang dabei sein. Dann soll sich auch herausstellen, inwieweit die Banken und Sparkassen eingebunden werden.
Unklar ist bisher, wann der digitale Euro starten kann. Im Juni hatte die EU-Kommission ein entsprechendes Gesetz vorgelegt, die EU-Staaten und das Europäische Parlament müssen noch zustimmen. Das dauert. Und die EU-Parlamentswahl im kommenden Jahr könnte das Projekt noch verzögern. Burkhard Balz, Vorstandsmitglied der Bundesbank, schätzt, dass der rechtliche Rahmen nicht vor Ende 2024 steht. Beim Hamburger Bankenaufsichtstag diese Woche sprach er davon, dass der digitale Euro vier bis fünf Jahre bis zur Marktreife braucht. Der Bankenverband rechnet frühestens mit 2028.
Viele Zentralbanken weltweit arbeiten an digitalen Währungen. Auslöser war der US-Konzern Facebook, der mit Libra eine eigene digitale Währung herausbringen wollte. Die Notenbanken wollten das Thema nicht einem Unternehmen überlassen. Es begann eine Art Wettlauf untereinander und mit Libra: Wer schafft es als erstes? Facebook benannte Währung erst in Diem um und stieg dann 2022 aus – unter anderem unter dem Druck der US-Notenbank Fed. Seither planen Zentralbanken in vielen Ländern etwa in China, Indien, Ghana, Saudi-Arabien, Uruguay und den USA weiter, aber mit abnehmendem Elan. Die EZB gehört zu denen, die die digitale Währung noch vorantreiben. Auf den Bahamas und Jamaika, in Nigeria sowie in Kambodscha gibt es bereits E-Bargeld.