• DIW-Chef Marcel Fratzscher |Foto: DIW
    DIW-Chef Marcel Fratzscher |Foto: DIW

„Nicht alles, was Athen vorschlägt, ist unsinnig“

Wirtschaftsforscher Marcel Fratzscher plädiert für einen Kompromiss mit Griechenland

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Von Hannes Koch

16. Feb. 2015 –

Hannes Koch: Die neue griechische Regierung fordert Erleichterungen beim Sparprogramm. Die europäischen Institutionen wollen den harten Reformkurs dagegen beibehalten. Wie könnte ein Kompromiss aussehen?

 

Marcel Fratzscher: Als Gegenleistung für europäische Hilfe muss Griechenland seinen Reformkurs fortsetzen und beschleunigen – nur dies kann das grundlegende Prinzip einer Einigung sein. Wir sollten jedoch auch einräumen, dass die Schuldenlast, die die Griechen schultern, noch immer zu hoch ist. Sie beträgt fast das Doppelte der Wirtschaftsleistung. Dies hemmt die Chancen des Landes sich von der Krise zu erholen und Wachstum zu schaffen.

 

Koch: Plädieren Sie dafür, einen Teil der Schulden zu annullieren?

 

Fratzscher: Nein, ohne ein Fortsetzen des Reformkurses wäre Griechenland dann in wenigen Jahren wieder überschuldet. Und sowohl bei der Bundesregierung als auch in Europa fehlt dafür der Rückhalt. Deshalb sollte man auf andere Art verhindern, dass Griechenland wieder zahlungsunfähig wird. Wir am DIW Berlin schlagen deshalb vor, die Kreditzinsen künftig an das Wachstum der griechischen Volkswirtschaft zu koppeln. Fällt dieses gering aus, bräuchte das Land nur wenige Zinsen zu zahlen. Bei größerer Dynamik wäre es mehr. Damit würde nicht nur die Zahlungsfähigkeit verbessert, sondern die griechische Regierung müsste endlich Eigenverantwortung für die Reformen übernehmen. Langfristig würde dies die Wachstumschancen Griechenlands verbessern, und letztlich auch uns Deutschen helfen, mehr unserer Forderungen zurück zu bekommen.

 

Koch: Können Sie im Euroraum die Bereitschaft dazu erkennen?

 

Fratzscher: Ich meine auch von der Bundesregierung Signale zu vernehmen, Griechenland weiterhin helfen zu wollen. Wenn die griechische Regierung grundsätzlich bereit ist, den Reformkurs fortzusetzen, wird sich Europa und die Bundesregierung einer sinnvollen Anpassung des Programms nicht widersetzen.

 

Koch: Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras will einen Teil seines finanziellen Spielraums nutzen, um armen Leuten beispielsweise den elektrischen Strom zu bezahlen und andere Sozialmaßnahmen durchzuführen. Halten Sie das für nachvollziehbar?

 

Fratzscher: Nicht alles, was die Regierung in Athen vorschlägt, ist unsinnig. Bürger unter die Armutsgrenze zu drücken und ihnen notwendige Medikamente vorzuenthalten, halte ich nicht nur aus humanitären, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen für falsch. Wenn ein wesentlicher Teil der Bevölkerung so marginalisiert wird, dass er nicht mehr am Wirtschaftsleben teilnimmt, kann sich das Land nicht erholen.

 

Koch: Was sollte die griechische Regierung sonst tun, um die Lage der Bevölkerung zu verbessern und die Wirtschaft anzukurbeln?

 

Fratzscher: Sie hat selbst vorgeschlagen, einige Reformen zu beschleunigen. So will sie die Steuerhinterziehung besser bekämpfen, um dem Staat mehr Einnahmen zu verschaffen. Außerdem plant sie, die Korruption einzudämmen. Sehr wichtig ist es allerdings auch, die Bürokratie zu verringern und staatliche Institutionen zu verbessern. Die ist der eigentliche Bremsklotz in Griechenland.

 

Koch: Gibt es eine Chance, dass das Land durch stärkeres Wachstum von seiner hohen Staatsverschuldung herunterkommt?

 

Fratzscher: Ein anderer Weg existiert realistischerweise nicht. Allerdings sind Wachstumsraten von vier Prozent oder mehr über einen Zeitraum von zehn Jahren nötig.

 

Koch: Das klingt illusorisch.

 

Fratzscher: Keineswegs, denn die Wirtschaftskraft ist seit Beginn der Krise um ein Viertel eingebrochen. Diesen Verlust kann das Land auch wieder aufholen. Es gibt ein riesiges Potenzial. Viele Arbeitskräfte sind gut ausgebildet, und die Unternehmen können wesentlich mehr leisten als gegenwärtig.

 

Koch: Ist Griechenland am Ende diesen Jahres noch im Euro?

 

Fratzscher: Ja, denn beide Seiten wissen um die gigantischen Schäden, die ein Austritt verursacht. Die Regierung in Athen schießt sich nicht selbst ins Knie, indem sie den Staatsbankrott heraufbeschwört. Und Europa weiß, dass man dann sehr große Kreditsummen als Verlust abschreiben müsste. Diese Variante sollten wir zu den Akten legen und uns auf die Reformen konzentrieren.

 

Bio-Kasten

Marcel Fratzscher (43) ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor an der Humboldt-Universität in Berlin. Zuvor arbeitete er bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main als Leiter der Abteilung Internationale Politikanalysen. Im Auftrag des Bundesfinanzministeriums leitet er eine Kommission, die ein Konzept für verstärkte öffentliche und private Investitionen ausarbeitet.

 

Info-Kasten

Geld für Athen

Die neue Regierung in Athen will weiterhin Milliarden Euro der anderen Euroländer, ist aber nicht mehr bereit, das vereinbarte Sanierungsprogramm fortzusetzen. Über diesen Konflikt und eine mögliche Lösung verhandeln die Finanzminister am Montag in Brüssel. Wird kein Ausweg gefunden, droht Griechenland der Staatsbankrott.

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