• Claudia Kemfert |Foto: DIW

„Nötig sind Grenzwerte für Kohlendioxid“

Ökonomin Claudia Kemfert plädiert für Verschärfungen im Klimaschutzplan der Bundesregierung

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Von Hannes Koch

08. Nov. 2016 –

Hannes Koch: Die Bundesregierung scheint sich doch noch auf den Klimaschutzplan einigen zu können. Halten Sie für richtig, einen Mindestpreis für Verschmutzungszertifikate im Rahmen des europäischen Emissionshandel festzulegen?

Claudia Kemfert: Ja. Der Preis für Kohlendioxid (CO2) liegt derzeit viel zu niedrig, als dass er finanzielle Anreize für Investitionen in Klimaschutztechnologien setzen könnte. Ein Mindestpreis ist vernünftig. Er müsste allerdings mindestens 40 bis 60 Euro pro Tonne CO2 betragen. Erst ab dieser Größenordnung würden die Energieerzeuger auf Kohle verzichten. Dies jedoch wird man in der Europäischen Union politisch kaum durchsetzen können. Daher sollte die Bundesregierung zusätzlich auch CO2-Grenzwerte anpeilen.

Koch: Möglicherweise sollen schon 2030 bis zu 70 Prozent unseres Stroms aus Wind-, Sonne- und Biomasse-Kraftwerken kommen. Ist es realistisch, den Umbau des Elektrizitätssystems derart zu beschleunigen?

Kemfert: Es ist machbar, auch sinnvoll, aber mit den aktuellen Regeln nicht umsetzbar. Schließlich hat die Bundesregierung den Ausbau der erneuerbaren Energien mit ihrer Reform des entsprechenden Gesetzes unlängst selbst gedeckelt. Wenn sie nun höhere Ziele anstrebt, muss sie das EEG wieder ändern und die Deckelung aufheben.

Koch: Union und SPD debattieren darüber, schneller als bisher geplant aus der Verstromung der Braunkohle auszusteigen. Muss das sein?

Kemfert: Die Braunkohle ist die umwelt- und klimaschädlichste Energieform. Deshalb brauchen wir konkrete Ziele und politische Unterstützung, um vor allem auch den Braunkohletagebau in Deutschland möglichst bald zu beenden und den Strukturwandel klug zu begleiten.

Koch: Die Sektoren Verkehr und Landwirtschaft kommen vorläufig mit einer relativ geringen Einsparung klimaschädlicher Emissionen davon. Die Kraftwerke und die Industrie müssen deshalb einen größeren Beitrag leisten. Gefährdet diese Gewichtung das wirtschaftliche Wachstum?

Kemfert: Im Gegenteil. Weil in Innovationen und neue Technologien investiert wird, schafft Klimaschutz wirtschaftliche Chancen, Wertschöpfung und Arbeitsplätze - auch und gerade in der Industrie. Dies gilt besonders im Verkehrssektor. Wenn die Bundesregierung die Autokonzerne nicht zu einem schnellen Umstieg auf nachhaltige Mobilität drängt, droht Deutschland bei einem seiner Kernprodukte den Anschluss an die internationale Konkurrenz zu verlieren.

Koch: Haben Sie den Eindruck, dass die große Koalition grundsätzlich das tut, was klimapolitisch nötig ist?

Kemfert: Teilweise. Wir brauchen einen konsequenten und raschen Kohleausstieg, aber auch eine klimaschonende Mobilität und Landwirtschaft. Die große Koalition sollte die wirtschaftlichen Chancen des Klimaschutzes viel besser als bisher nutzen.

Bio-Kasten
Claudia Kemfert (47) leitet die Abteilung für Energie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Als Professorin für Energieökonomie lehrt sie an der privaten Hertie School of Governance.

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