Nord-Grüne für Versuch mit Grundeinkommen
Kieler Jamaika-Koalition plant ein Zukunftslabor für soziale Sicherung. „Alle 25.000 Einwohner von Schleswig“ könnten an Experiment teilnehmen, sagte Grünen-Landeschef Arfst Wagner.
28. Jun. 2017 –
1.000 Euro monatlich für jeden vom Staat - ohne Bedingungen, ohne arbeiten zu müssen. Das ist der leicht paradiesische Kern des bedingungslosen Grundeinkommens, eines alternativen Modells der sozialen Sicherung, das seit der Einführung von Hartz IV immer wieder diskutiert wird. Mit der jungen Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP in Schleswig-Holstein hat nun erstmals eine Landesregierung beschlossen, darüber zumindest nachzudenken.
Die Spitzen der drei Parteien unterzeichneten ihren Koalitionsvertrag am Dienstag. Darin heißt es: „Wir werden ein Zukunftslabor ins Leben rufen, in dessen Rahmen die Umsetzbarkeit neuer Absicherungsmodelle, zum Beispiel ein Bürgergeld, ein Grundeinkommen oder die Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme, diskutiert werden sollen.“ Starken Anteil, dass dieser Satz drinsteht, hat Arfst Wagner, der Landesvorsitzende der Grünen. Er sagte: „Das Grundeinkommen steht für ein neues Politikmodell. Es führt heraus aus den alten Partei-Gräben.“
Ein Versuch zum Grundeinkommen mit 2.000 Arbeitslosen läuft zur Zeit in Finnland. Für eine solche Sozialleistung neuen Typs sprachen sich in letzter Zeit Manager wie Josef Kaeser (Siemens), Thimotheus Höttges (Deutsche Telekom) und Elon Musk (Tesla) aus.
Das grundsätzliche Modell: Die meisten heutigen Transferzahlungen, etwa Hartz IV, Bafög oder Grundsicherung im Alter würden durch ein Grundeinkommen ersetzt, das alle Bundesbürger unabhängig von ihrem eigenen Verdienst erhalten. Die Sanktionen im gegenwärtigen Sozialsystem fallen weg. Niemand wird gezwungen, für Geld zu arbeiten. Sinn der Sache: Alle Bürger sind auf einem vernünftigen Niveau abgesichert. Dies ermöglicht es ihnen beispielsweise, selbstständige Tätigkeiten zu entwickeln und auszuüben. Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Umbrüche wie die Digitalisierung können ihnen deshalb weniger anhaben.
Ein wesentlicher Nachteil sind jedoch die hohen Kosten, die in Deutschland bei 840 Milliarden Euro jährlich liegen, wenn Erwachene 1.000 Euro monatlich und Kinder die Hälfte bekommen. Auch wenn die meisten der heutigen Sozialleistungen mit dem Grundeinkommen verschmolzen würden, müsste der Staat wahrscheinlich zusätzliche Mittel mobilisieren.
Die Kieler Grünen gehen forsch an die Sache heran. „Ein Grundeinkommen wollen wir regierungsseitig entwickeln und in Schleswig-Holstein als Modellregion erproben“, erklärte Vize-Ministerpräsident Robert Habeck (Grüne) dem Flensburger Tageblatt. Landeschef Wagner ist noch schneller: „Einen Versuch mit dem bedingungslosen Grundeinkommen sollten wir beispielsweise in einer Stadt wie Schleswig durchführen. Alle 25.000 Einwohner würden daran teilnehmen.“
Bei der Formulierung im Koalitionsvertrag handelt es sich zunächst jedoch nur um eine Absichtserklärung, die auch andere Modelle beinhaltet – etwa das sogenannte Bürgergeld, für das sich die FDP stark macht. Diese Variante beschlossen die Liberalen bei ihrem Parteitag 2005. Die Transferzahlung des Staates ist dabei deutlich geringer, wird teilweise mit den Arbeitseinkommen der Bürger verrechnet und auch nicht bedingungslos gewährt. Für die FDP spielt die Verschlankung der angeblich zu teuren Sozialbürokratie eine wichtige Rolle. „Das Zukunftslabor soll mit offenem Ausgang verschiedene Varianten diskutieren. Darunter sind das Grundeinkommen, das Bürgergeld und die Weiterentwicklung der bisherigen sozialen Sicherung“, sagte der designierte Sozialminister Heiner Garg (FDP).
Zurückhaltend gibt sich die Kieler CDU. Die Idee sei von Grünen und FDP gekommen, heißt es dort. „Weder die Diskussion noch die Prüfung haben bislang begonnen. Deshalb ist es viel zu früh, bereits über einzelne konkrete Modelle zu spekulieren“, erklärte der kommende Ministerpräsident Daniel Günther. Viele Freunde hat das bedingungslose Grundeinkommen bei den Christdemokraten bisher ohnehin nicht. Wenig Unterstützung fand etwa Dieter Althaus, der früher als CDU-Ministerpräsident von Thüringen dieses Vorhaben propagierte. „Es ist gut, dass die Diskussion vorangeht“, sagte Ronald Blaschke vom Netzwerk Grundeinkommen. „Wir müssen aber abwarten, was dabei herauskommt.“