Nur der Börsenwert zählt

Der Leitindex Dax wird grundlegend überarbeitet. Er soll die deutsche Wirtschaft besser abbilden. Das birgt manche Überraschung

Teilen!

Von Björn Hartmann

16. Aug. 2021 –

Er soll die deutsche Wirtschaft abbilden und bietet Orientierung für Anleger aus aller Welt: Der Deutsche Aktienindex Dax. Am 3. September wird die Liste zum ersten Mal seit dem Start 1988 grundlegend überarbeitet – Folge unter anderem des Wirecard-Skandals. Der Dax wird nicht nur größer, es sind mehr Techunternehmen vertreten und auf der Karte der Top-Börsenkonzerne tritt Norddeutschland deutlich stärker hervor.

Zwei Neulinge im wichtigsten deutschen Börsenindex kommen aus Berlin, Hamburg ist wieder prominenter vertreten und auch Firmen aus Göttingen und Holzminden tauchen sehr wahrscheinlich im neuen Dax auf. Wer genau künftig dabei ist, wird die Deutsche Börse am Freitag, 3. September, nach Börsenschluss verkünden.

Künftig wird der Dax nicht mehr nur 30, sondern 40 Konzerne umfassen. Der MDax, der die mittelgroßen Börsenunternehmen auflistet, wird von 60 auf 50 verkleinert. Der Punktestand der jeweiligen Indizes wird sich nicht verändern, die einzelnen Unternehmen werden neu gewichtet.

Einziges Kriterium ist künftig die Marktkapitalisierung, der Wert, den die Menge der handelbaren Aktien eines Unternehmens an der Börse hat. Zum Stichtag listet die Deutsche Börse die notierten Unternehmen auf, die oberen 40 sind dann im Dax, die nächsten 50 im MDax. Berücksichtigt wird der durchschnittliche Börsenwert der 20 Handelstage vor dem Stichtag. Überprüft wird jeweils Anfang März und Anfang September. Den Börsenumsatz, wie viele Aktien eines Unternehmens gehandelt werden, betrachten die Hüter des Index nicht mehr. Die Regeln wurden bereits im November 2020 beschlossen.

Für viele Anleger, die mit ETF, standardisierten Fonds, Geld im Dax anlegen, wird sich kaum etwas ändern. Die Anbieter der ETF werden Anteile der neuen Dax-Mitglieder kaufen und Anteile anderer Dax-Mitglieder verkaufen, um den Index genau abzubilden. Auch Anbieter aktiv gemanagter Fonds auf den Dax werden Aktien der Aufsteiger kaufen müssen, was die Kurse treiben könnte. Andererseits wird bereits seit Monaten über die neue Dax-Zusammensetzung spekuliert. Entsprechend sind viele Kurse bereits gestiegen.

Auslöser für die große Dax-Reform war der Fall Wirecard. Der Zahlungsabwickler konnte 2020 monatelang keinen Geschäftsbericht für 2019 vorlegen, meldete im Juni sogar Insolvenz an, weil offenbar große Teile des Geschäfts erfunden waren. Derartige Fälle waren im Regelwerk bisher nicht vorgesehen. Künftig müssen alle Vierteljahre bis zu einem bestimmten Termin Geschäftsberichte vorliegen. Ist das nicht der Fall, werden die betreffenden Firmen aus dem Index ausgeschlossen. Und ein insolventes Unternehmen wird binnen zwei Handelstagen ersetzt.

Für Wirecard rückte 2020 der Berliner Bestellessenvermittler Delivery Hero in den Dax auf. Kritik gab es, weil Delivery Hero seit seiner Gründung 2011 praktisch noch nie Gewinn geschrieben hatte. Künftig gilt, dass Firmen zwei Jahre lang operativ – vor Abschreibungen, Steuern und Zinsen – profitabel gewesen sein müssen, um in den Dax aufgenommen zu werden. Auch müssen mindestens zehn Prozent der Aktien frei handelbar sein, das Unternehmen zudem juristisch oder operativ in Deutschland sitzen.

Kritik gab es unter anderem immer wieder daran, dass der Dax die deutsche Wirtschaft nicht so gut abbildet, wie er könnte. Auch das soll die Neuordnung deutlich verbessern. Airbus etwa als deutsch-französisches Unternehmen mit Sitz im niederländischen Leiden und großen Standorten in Toulouse und Hamburg scheiterte bisher, weil die Aktien des Luft- und Raumfahrtkonzerns vor allem an der Börse in Paris gehandelt wurden und nur in geringer Menge in Frankfurt. Mit der neuen Regelung wird der Konzern sehr wahrscheinlich zu den fünf Schwergewichten gehören – neben Allianz, Linde, SAP und Siemens.

Ebenfalls im neuen Dax vertreten sein wird Zalando. Der Technologiekonzern und Onlinehändler, gegründet 2008, fand sich auf der letzten Übersicht der Deutschen Börse auf Rang 19. Und ein weiteres ehemaliges Berliner Start-up wird es in den höchsten Aktienindex schaffen: der Kochboxen-Versender Hellofresh, gegründet 2011.

Mit Siemens Healthineers wird ein weiterer Teil des Siemens-Konzerns in den Dax aufsteigen. Neu dabei sein wird der Duft- und Aromastoffhersteller Symrise, weshalb viele Investoren sich künftig mit der niedersächsischen Kleinstadt Holzminden im Weserbergland beschäftigen werden. Ebenfalls sicher im neuen Dax: die Porsche SE aus Stuttgart, die Familienholding der Porsche-Erben, die die Mehrheit am VW-Konzern hält; Brenntag aus Essen, Weltmarktführer für Chemikalienhandel; und der Labortechnikspezialist Sartorius aus Göttingen.

Unklar ist noch, ob der Sportartikelhersteller Puma den Sprung schafft. Auch der Konsumgüterkonzern Beiersdorf aus Hamburg, erst im März von Siemens Energy aus dem Dax gedrängt, kann hoffen, wieder dabei zu sein. Etwas geringere Chancen haben der Rückversicherer Hannover Rück, der Wohnungskonzern LEG aus Düsseldorf und das Diagnostikunternehmen Qiagen mit der Zentrale in Hilden bei Düsseldorf. Möglicherweise müssen sich einige alte Dax-Unternehmen aus dem Index verabschieden: der Münchener Triebwerksbauer MTU, Heidelbergcement oder Covestro aus Leverkusen, zuletzt auf den Rängen 36 bis 38.

Nicht im neuen Dax vertreten sein wird das deutsche Unternehmen mit der spektakulärsten Entwicklung der vergangenen zwei Jahre: Biontech aus Mainz. Der Hersteller des innovativen Corona-Impfstoffs ging im Oktober 2019 an die Börse, allerdings in den USA, unter anderem, weil man sich mehr Einnahmen versprach. Damals, vor Corona, war Biontech an der US-Technologiebörse Nasdaq umgerechnet rund 3,1 Milliarden Euro wert, vergangene Woche knackte das Unternehmen die Marke von 100 Milliarden Dollar – das reicht locker für einen Platz unter den zehn größten Konzernen im Dax.

« Zurück | Nachrichten »