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Pillen für den Job

Zwei Millionen Deutschen dopen sich für bessere Leistungen und gute Stimmung

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Von Wolfgang Mulke

12. Feb. 2009 –

Rund zwei Millionen Deutsche greifen freiwillig zu Stimmungsaufhellern oder leistungsfördernden Arzneien, um ihre Leistungen im Job zu verbessern. 800.000 dopen sich sogar regelmäßig. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK), die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde.

Mit den steigenden Anforderungen am Arbeitsplatz können offenkundig viele Beschäftigte nicht umgehen. Obwohl sie gesund sind, nehmen sie Medikamente ein, die beruhigend, aufputschend  oder konzentrationsfördernd wirken. Vor allem unter Akademikern und Studenten sind die verschreibungspflichtigen kleinen Helfer verbreitet. „Wir können beobachten, dass ein Teil der Leute in dieselbe Falle tappt wie Hochleistungssportler“, sagt der Autor der Studie, Hans-Dieter Nolting. Doping für den Beruf, um beispielsweise besser den Stress zu vertragen, ist immerhin für 30 Prozent der Männer und für 40 Prozent der Frauen vertretbar.

Vier von zehn Arbeitnehmern wissen, dass Arzneien gegen Gedächtnisstörungen oder Depressionen auch bei gesunden Menschen wirken. Jeder fünfte hält die Risiken im Vergleich zum Nutzen für vertretbar. Unter Kollegen, Freunden und in der Familie wird sogar verbreitet zur Einnahme der kleinen Helfer geraten. Auch viele Ärzte sehen darin der Studie zufolge kein Problem.

Nolting sieht eine Reihe typischer Situationen, in denen Arbeitnehmer Pillen schlucken. Dauernder Termindruck, strenge Arbeitsbedingungen oder psychische Belastungen und Müdigkeit gehören dazu. Auch der Wunsch, besser und schneller als Kollegen zu arbeiten, reizt zum Nachhelfen. 28 Prozent der Frauen und 25 Prozent der Männer erachten das Bedürfnis nach einer besseren Konzentrations- und Gedächtnisleistung als guten Grund für die Einnahme von Medikamenten. Bei einer anderen Befragung unter Wissenschaftlern zeigte sich dieses Motiv besonders häufig. Jeder fünfte Forscher der Befragung gab Doping für den Kopf zu.

Die DAK hat über die Befragung hinaus die Arzneimittelverordnungen der Mitglieder unter die Lupe genommen. Das Ergebnis legt nahe, dass einige Ärzte Antidepressiva, Betablocker oder Gedächtnispräparate verschreiben, obwohl gar keine Krankheit festgestellt wurde. Bei dem Wirkstoff Piravetam, der gegen Demenz eingesetzt wird, stimmten Diagnose und Verordnung nur in drei Prozent der Fälle eindeutig ein. Jedes siebente Rezept wurde ohne jede Diagnose ausgestellt. Ähnliche Auffälligkeiten zeigten sich bei einer Arznei gegen das „Zappelphilipp-Syndrom“ AHDS. Vielfach werden die verschreibungspflichtigen Präparate auch ohne Rezept im Internet oder im Bekanntenkreis erworben. Zwischen Frauen und Männern gibt es beim Job-Doping beträchtliche Unterschiede. Frauen neigen eher zu Beruhigungsmitteln und Stimmungsaufhellern, Männer suchen aufputschende und konzentrationsfördernde Tabletten.

Medizinerin Isabella Heuser von der Berliner Charité hält die chemische Leistungssteigerung für legitim. „Die Menschen wollen sich verbessern“, sagt die Expertin. Auch die plastische Chirurgie boome. „Schönheit und Jugendlichkeit hat Vorteile im Arbeitsleben und anderswo“, erläutert die Professorin. Über Langzeitschäden beim Konsum der gefragten Arzneien für Gesunde ist nach Aussage Heusers nichts bekannt. Dennoch warnt die DAK vor dem Arzneimittelkonsum. „Der Wunsch, immer perfekt sein zu müssen, lässt sich auch durch Medikamente nicht erfüllen“, warnt DAK-Chef Herbert Rebscher.



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