Porträt Gazprom Germania

Staatliche Aufsicht für Gazprom-Tochter

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Von Björn Hartmann

06. Apr. 2022 –

In der Geschichte der Bundesrepublik ist der Schritt ohne Beispiel: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) unterstellt ein privates Unternehmen einem staatlichen Treuhänder. Gazprom Germania mit Sitz in Berlin wird jetzt von der Bundesnetzagentur gesteuert. Das Tochterunternehmen des größten Erdgaskonzerns der Welt ist nicht irgendeine Firma: Sie kontrolliert nicht nur Gaslieferungen nach Deutschland – noch immer kommen 40 Prozent des importierten Gases aus Russland –, sondern ist auch wesentlich für das Auslandsgeschäft des russischen Staatskonzerns Gazprom.

Für den Bundeswirtschaftsminister ist vor allem die sogenannte strukturelle Infrastruktur wichtig, die Gazprom Germania gehört oder an der das Unternehmen beteiligt ist. So betreibt das Unternehmen über die Tochter Astora drei Gasspeicher in Deutschland, unter anderem den größten deutschen im niedersächsischen Rehden, südlich von Bremen. Er steht für ein Fünftel der gesamten Speicherkapazität. Gazprom Germania besitzt auch knapp die Hälfte an Gascade, das Pipelines vor allem in Ostdeutschland betreibt.

Zum Unternehmen gehört auch Wingas in Kassel, das nach Angaben des Verbands Zukunft Gas zehn bis 15 Prozent des deutschen Gashandels steuert. Nach eigenen Angaben sind es sogar 20 Prozent. Es verkauft Gas auch nach Belgien, in die Niederlande, nach Österreich und Tschechien. Wingas betreibt auch 3000 Kilometer Glasfasernetz neben Gaspipelines.

Gazprom Schweiz mit Sitz in Zug wird ebenfalls von Gazprom Germania gesteuert. Die Firma kauft, transportiert und verkauft Gas aus Aserbeidschan, Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan. Und dann ist da noch Gazprom Marketing und Trading in London, wo inzwischen mehr als die Hälfte der Mitarbeiter von Gazprom Germania arbeiten. Die Firma handelt mit Erdgas, Öl, Strom und Raffinerieprodukten weltweit. Zudem beschäftigt sie sich mit intelligenten Stromzählern, Energiemanagement und CO2-Zertifikate-Handel.

Gazprom Germania setzte 2020 rund 12,8 Milliarden Euro um. Ein Jahr zuvor, als die Gaspreise noch höher waren, waren es sogar 24,3 Milliarden Euro. Der Gewinn betrug 277 (2019: 193) Millionen Euro, etwas mehr als 2019. Neuere Zahlen gibt es nicht, der Ausblick sah weniger Umsatz für 2021 vor. Die Berliner beschäftigten Ende 2020 etwa 1500 Mitarbeiter, knapp die Hälfte davon in Deutschland.

Gazprom hatte überraschend angekündigt, das deutsche Tochterunternehmen aufzugeben. Offenbar hatte der Konzern aus St. Petersburg Gazprom Germania an Gazprom Export Business Services und JSC Palmary übergeben, was in Deutschland nicht bekannt war – ein Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz. Da es um kritische Infrastruktur in Deutschland ging, ist der Verkauf eines Unternehmens an einen Käufer aus einem Nicht-EU-Staat melde- und genehmigungspflichtig. Die neuen Eigentümer hatten vergangenen Freitag beschlossen, Gazprom Germania solle sich abwickeln – unrechtmäßig, weil der Kauf nicht genehmigt war. Habeck ordnete deshalb den Treuhänder an, weil Gefahr im Verzug war.

Unklar ist bisher, wie sehr Gazprom Germania und seine Tochterunternehmen bisher unter den Sanktionen gegen Russland gelitten haben. Weltweit versuchen sich Länder, unabhängig von russischen Rohstoffen zu machen und möglichst wenig mit Firmen aus Russland zu tun zu haben. Ob Gazprom Germania überhaupt bestehen bleibt, ist auch unsicher. Einzelne Teile wie die Speicher, der Pipelinebetreiber und vor allem Wingas mit seiner jahrelangen Expertise ließen sich gut verkaufen, ist zu hören.

Folgen für die Gaslieferungen nach Deutschland sind auch offen. Bisher fließt das Gas. Wingas hat langfristige Verträge direkt mit Gazprom, ähnlich sieht es offenbar bei Uniper aus, dem größten Importeur russischen Gases. Wobei langfristig bis zu 25 Jahre bedeuten kann.

Zunächst ist die Bundesnetzagentur gefragt. Präsident Klaus Müller hat schon angekündigt, für eine ordnungsgemäße Geschäftsführung zu sorgen. Der Treuhänder ist bis 30. September bestellt. Gazprom kann gegen die Entscheidung noch klagen.

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